Der letzte Vorhang. Jay Baldwyn
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»Ich muss Don leider Recht geben«, sagte Jaques Marais. »Die Kleine ist noch nicht so weit.«
»Wir sind hier nicht an der Staatsoper, meine Herren. Sie muss nicht die Qualität einer Primaballerina haben. Entsprechend zurechtgemacht sieht sie aus wie eine Miss sonst was. Das Häschen ist ein Schminkkamel, falls das noch niemandem aufgefallen ist. Unscheinbar bei den Proben und ein Star auf der Bühne, genau das, was wir brauchen. Und wenn es Monsieur Jaques nicht gelingt, ihr die Choreographie fehlerfrei einzupauken, dann soll er sich sein Lehrgeld wiedergeben lassen.«
Der Choreograph hasste es, wenn man über ihn sprach, als sei er gar nicht anwesend. Deshalb drehte er sich beleidigt um, sagte kein Wort mehr und ging hinaus.
»Jetzt hast du unsere Diva gekränkt«, grinste Don Davis.
»Das geht mir am Arsch vorbei. Wäre ja noch schöner, wenn ich in meinem eigenen Haus nicht das Sagen hätte.«
»Ich bin für Mabel. Sieh dir die beiden doch mal im Vergleich an. Oder hast du an Violet besonderes Interesse?«
»Das geht dich einen Scheiß an … Die Kleine tanzt, und damit basta. Oder wolltest du bei der neuen Produktion nicht mehr dabei sein?«
»Sei doch nicht gleich so übelnehmerisch, wenn man mal anderer Meinung ist. Früher hast du solche Dinge gemeinsam mit Dick entschieden.«
»Früher war früher, und heute ist heute. Dick ist mit seiner jungen Ehe beschäftigt und zieht sich mehr und mehr aus dem Geschäft zurück.«
»Heißt das, Wanda Philipps steht beim nächsten Mal auch nicht mehr als Star zur Verfügung? Oder nennt sie sich jetzt Wanda Winston?«
»Hast du schon mal von einer Künstlerin gehört, die nach der Heirat ihren Künstlernamen geändert hat, du Dämlack? Und ob sie dabei ist, wirst du früh genug erfahren.«
»Vielen Dank. Hoffentlich muss ich nicht mit einem unbegabten Starlet zusammenarbeiten, nur weil sie besonders schöne Titten hat.«
Chuck machte ein derart finsteres Gesicht, dass man befürchten musste, er hole gleich zum Schlag aus.
»Schon gut, schon gut. Ich mache ja hier nur die Drecksarbeit. Und wenn die Show ein Reinfall wird, nennt man meinen Namen zuerst.«
»Sag nur Bescheid, falls es dir zuviel wird. Regisseure gibt’s wie Sand am Meer …«
Jetzt war es Don Davis, der beleidigt das Büro verließ. Ein Abgang, der Chuck nicht im Mindesten beeindruckte.
Die neue Produktion sollte unter dem Motto „Winter, Spring, Summer and Fall“ herauskommen. Die Ausstattung, die Bühnenbilder und der Kostümaufwand schlugen alle Rekorde. In allen vier Teilen war eine Braut der entsprechenden Jahreszeit der Höhepunkt.
Moira sah als Winterbraut wie die Schneekönigin persönlich aus. Sie trug weiße Haare, die sich am Hinterkopf zu einem Eiszapfen formten. Ihr Kleid war über und über mit Schneekristallen und funkelnden Eiszapfen geschmückt. Selbst ihre grünen Augen nahmen durch geschickte Ausleuchtung einen eher bläulichen Farbton an.
Violet stand ihr im zweiten Teil in nichts nach. Ihr Gewand aus duftigem Chiffon zusammen mit dem in allen Regenbogenfarben schillernden Schleier repräsentierte den Frühling mit ersten Blütenknospen und vereinzelten Sonnenstrahlen.
Die Sommerbraut war wieder Moira, diesmal mit goldblonden Locken, Blumengirlanden und Vogelfedern. Violet, die sich privat gerne mit violetter Garderobe in zarten Abtönungen kleidete, um ihrem Namen gerecht zu werden, trug als Herbstbraut einen Kranz aus Kornähren, frischem Grün und verschiedenen Früchten. Die Blätter in allen Schattierungen von Orange bis Braun taten ihrer Schönheit keinen Abbruch. Selbst ihr Haar hatte die gleichen Farbabstufungen wie die Blätter.
Bei den Ziegfeld Follies war an dieser Stelle Fanny Brice als Höhepunkt gekommen. Die nicht sehr hübsche, aber komische Aktrice hatte gegen die ganzen Schönheiten um sich herum nicht ankommen können, und deshalb war sie mithilfe eines Kissens als schwangere Braut aufgetreten, damit man nicht über sie, sondern mit ihr lachte.
So weit wollte Don Davis nicht gehen. Außerdem war er der Meinung, ein guter Gag könne nicht zweimal zünden, und er wollte sich nicht den Vorwurf des Plagiats machen lassen. Deshalb ließ er Wanda Philipps zum krönenden Abschluss als Braut der Liebe auftreten. In einem atemberaubenden Gewand aus roséfarbener Seide, verziert mit roten Rosenblättern und kleinen Herzen. Die zarte Liebesweise, die Wanda sang, tat das Übrige. Das Publikum raste, und man musste viermal den Vorhang wieder öffnen.
Trotz des großen Premierenerfolgs gingen die Besucherzahlen in den nächsten Monaten zurück. Eine mögliche Ursache, die sich schnell herumsprach, war ein tragischer Unfall mit tödlicher Folge.
In dem Teil der Revue, der den Sommer zum Thema hatte, planschten einige Girls in einem im Boden versenkten Bassin. Zwar noch in züchtiger Badekleidung, aber der feuchte Stoff gab mehr preis als erlaubt. Dementsprechend gut kam die Nummer beim männlichen Publikum an.
Auf einer morgendlichen Probe verließen gerade alle das Becken, als Clara feststellte, dass sie ihren Ohrring verloren hatte. Übermütig sprang sie noch einmal ins Wasser, um das Schmuckstück zu suchen. Als sie wieder auftauchte, den Ohrring siegesgewiss in der Hand, löste sich aus unbekannter Ursache ein Scheinwerfer aus der Verankerung und fiel noch immer verkabelt in das Becken. Clara wäre nicht erschlagen worden, da das Ungetüm ein ganzes Stück weiter aufschlug, aber die Elektrizität in Verbindung mit Wasser versetzte ihr einen tödlichen Stromschlag. Bevor die Sicherung heraussprang, war es schon zu spät.
Die Girls kreischten hysterisch. Keins von ihnen hatte jemals so etwas Schreckliches gesehen. Claras zuckenden Körper, der förmlich gegrillt wurde, konnten sie nicht mehr vergessen. Einzig Meryl wollte ganz genau wissen, wie das passieren konnte.
»Das war Rhonda«, sagte sie später überzeugt. »Ihr habt doch alle mitbekommen, wie sie sich mit Clara gestritten hat. Jetzt nimmt sie Rache aus dem Jenseits.«
»Du liest zu viele Kitschromane, meine Liebe«, sagte Don Davis. »Und tu mir einen Gefallen und mach mir die Girls nicht noch nervöser als sie schon sind. Auch wenn den Quatsch mit dem mordenden Geist niemand glaubt, aber …«
»Ich selbst habe Ethel in der Seitengasse stehen sehen und habe Mr. Winston Meldung darüber gemacht.«
»Und, hat er dir geglaubt?«
Meryl sah betreten zu Boden.
»Hat heute jemand Rhonda beziehungsweise das durchscheinende Abbild von ihr gesehen?«, fragte er in die Runde. »Oder hat jemand gesehen, wie sich Rhondas Geist am Scheinwerfer zu schaffen gemacht hat?«
Niemand antwortete.
»Na, also. Setz keine Gerüchte in die Welt, Meryl.«
Der Besucherschwund verstärkte sich noch bei den nächsten beiden Produktionen „Nights of Arabia“ und „Roman Impressions“. Es gab andernorts zu viele Revuen, und immer mehr Zuschauer wanderten in die neu entstandenen Lichtspieltheater ab, um sich die inzwischen auf Spielfilmlänge angewachsenen Stummfilme anzusehen.
Dick und Chuck Winston überlegten, ob sie das Theater umrüsten sollten. Die