Neander-Tales. Alexander Siewers

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Ceska zückende Rächerin der verletzten Hausordnung vorstellen, auch wenn sie natürlich nicht gut auf Dobermann zu sprechen war.

      Als Dobermann vor einem Jahr in die Wohnung einzog, sollte er das Rasenmähen auf der kleinen Fläche hinter dem Haus übernehmen. Doch schon beim ersten Mähen sah Frau Lungenstraß durchs Küchenfenster, dass der vierschrötige Dobermann mit drei, vier Versuchen den Elektromäher in ungelenken Bewegungen eines Frankensteindarstellers durch das mittlerweile hohe Gras drückte, nur kurzwegige archaische Rasenmuster produzierte, während zwischen den Gänseblümchen das Elektrokabel auf die Chance einer Sezession lauerte. Und schon verließ Dobermann als schweißtriefender Hiob eilig und unvermittelt diese Wirkungsstätte seiner sommerlich anstrengenden elektrisch angetriebenen Kurzzeitarbeitsanarchie – um diese – auf Geheiß des Vermieters Weyrauch – nie mehr zu betreten.

      Bevor die Räumungslage des Vermieters griff, das Amtsgericht benötigte 6 lange Monate, bevor es sich überhaupt dieser kostspieligen Maßnahme widmen konnte, war Rolf Dobermann schon aus dem Leben ausgezogen – und als emphatischen Gruß an die Nachwelt und den überlebenden Vermieter – hatte er die 60 qm der Wohnung als Kultstätte mannigfaltiger Verwandlungs – und Gärungsprozesse hinterlassen – bevor er letztendlich sich selbst der totalen Verwesung anheim geben durfte. Anzumerken ist, dass ihm dieser letzte Akt der vollkommenen Verrottung vorenthalten bleibt, da ihn die Mutter nach der Liegezeit im Kühlfach kurzerhand verbrennen lässt. Außerhalb etlicher vitaler Kleinstlebewesen aus dem Insektenreich, emsig wuchernder Pilze, übermütiger Sporen, unermüdlicher Bakterien – ist einzig überlebende Kreatur in Dobermanns Wohnung – mutmaßliche Zeugin des Verbrechens – die im tiefsten Kern verstörte Katze, die, sobald jemand die Wohnung betritt, in blinder Panik versucht – sich an den Küchenvorhängen hochkratzend – in eine dort oben nicht vorhandene Herrenlosigkeit zu flüchten. Der Versuch scheitert, da die bemitleidenswerte Katze mitsamt des nur nachlässig befestigten, jetzt in ihren Krallen verhakten Stores, auf dem Küchentisch landet. Da das irrsinnige Tier es nicht sofort schafft, seine Krallen aus der fettigen Übergardine zu reißen, taumelt es wie ein ungesteuertes, gefährliches, in Textil verpacktes, ansonsten nur aus B-Filmen bekanntes Monster durch die Küche, um dann, von der Gardine befreit – doch der Panik noch tiefer verfallen – gegen das mit eigenem Kot verschmierte Küchenfenster zu springen. Während weiterhin die ureigenen Urindämpfe aus Teppichen und Polstern dampfen, erfasst das Tier die Unmöglichkeit seines Tuns, sitzt nun vollkommen erschöpft, zitternd, mit riesigen Angstaugen unter dem Bett – und lässt sich erst von den professionellen Fängern des Tierheims aus der Wohnung schaffen. Weyrauch steht mit Tirolerhut inmitten des Kriegsgebiets. Seine Arthrose Knie schwächeln, sein Herz schlägt angestrengt, dumpf, schmerzhaft. Gallertartiges Blut schießt tobsüchtig in seinen mürben Schädel. Trotz jäh aufsteigender Furcht umzufallen, einfach so umzufallen, schreckt er davor zurück, sich irgendwo in diesen Pfuhl fauligen Elends hinzuhocken, in diese Deponie verschorfter Ausscheidungen, verschlackten Auswurfs zu sinken. Im Übrigen war es unzulässig sich niederzulassen. Jetzt, da die Katze eingefangen und aus der Wohnung geholt war, wird die Wohnungstüre wieder versiegelt. Zeitig bevor die amtliche Sperrung vollzogen ist, scheinen sich die festen Bestandteile in Weyrauchs Körper aufzulösen, sich zu verflüssigen, als amorph liquide Masse durch den Spalt der Dobermannschen Wohnungstüre davonzugleiten. Weyrauch betastet seinen Körper, der doch noch als dröhnend schmerzhafte Hülle schweißfeucht anwesend ist. Der Überfall durch dieses ihm schon bekannte unberechenbare Scheusal hatte pures Entsetzen, Todesangst ausgelöst. Weyrauch schleppt seinen Körper aus der Dobermannschen Wohnung, schleicht, sich am Geländer hochangelnd, die Treppe hinauf, schließt die Türe zu seiner Wohnung in der ersten Etage auf, rettet sich schweratmend auf ein Ledersofa. Er wirkt jetzt gebrechlich, fast ein wenig greisenhaft, mit weißen, unschlüssigen Händen. Automatisch setzt Weyrauch seinen braunen Tirolerhut mit dreifacher Hutschnur ab, dessen Hasenhaarfilz auch schon bessere Tage gesehen hatte, tastet nach der in Armweite entfernten Kommode, greift von einem Bakalitmodellkopf mit jugendlichen Gesichtszügen eine Schwarzhaarperücke aus ersichtlich billig synthetischem Material, drahtig steif, mit akkurat gezogenem Seitenscheitel. Er legt die Perücke auf seinen nackten Schädel – wie der Richter sein Barett, der judge sein Rosshaar – um sich immerhin ein klein wenig vollständig zu fühlen. „Wenn Sie kein Geld für einen Prozess haben, dann verkaufen Sie doch Ihr Haus!“ keift die Richterin ohne Barett, da das Urteil ja noch aussteht. Weyrauch fährt roboterhaft mit der rechten Hand in die Schublade unterhalb des jugendlichen Modellkopfs und fingert die Wehrmachtspistole seines Vaters, eine Walther P 38. heraus; legt sie wie eine Beschwichtigungs- oder Heilungsreliquie auf sein mörderisch pochendes Herz. Weyrauch schaut in den Spiegel. Der wesenhafte Schnäuzer fehlt. Ansonsten wirkt er wie ein überalterter abgetakelter Hitlerdarsteller auf Tingeltour über entlegene Grenzdörfer Transnistriens. Er sieht seinen alten Kumpel Hüpperling die Erzberger Straße hinunterhüpfen, auf einem Bein – Artistenniveau – ohne Gehhilfe, ohne Prothese – nur dann und wann Halt an Ampeln, Verkehrsschildern, Trafokästen, Hauswänden suchend. Hüpperling, der Eisenfresser, der Verwegene, Unverwüstliche – Weyrauch vorsichtig, nicht so leichtsinnig beim Durchstromern der Trümmergrundstücke. Der unerschrockene Hüpperling konnte nicht helfen. Seine ihm zugestandene Liegezeit auf dem Südfriedhof hatte er längst überschritten.

      Woher sollte Weyrauch das Geld nehmen für die Sanierung der verkommenen Dobermannschen Wohnung? Und die Forderung des Amtsgerichts lag auf dem Tisch: die schon entstandenen Kosten der Räumungsklage. Der Gerichtsvollzieher wetzte das Messer am Schleifstein. Eine weitere Hypothek konnte er nicht stemmen, musste die alte Schuld mühsam abbezahlen. Keine Bank würde ihm nur einen Pfifferling geben. Es sei denn, sie wären scharf darauf, sein Haus in die Zwangsversteigerung zu schicken. Und die zwei zerschlagenen Lampen im Treppenhause – niemand hatte etwas bemerkt – und das undichte Dach.

      Bolls Kollegen hatten mittlerweile Alibis und mögliche Motive von Dobermanns Kumpeln überprüft. Zur Tatzeit, Freitag zwischen 17 und 19 Uhr – verfügten alle bekannten Freunde und ehemaligen Arbeitskollegen, insbesondere Wesendonk, über Alibis, wenn auch einige Zeugen als etwas fragwürdig eingeschätzt wurden. Der Kommissar sitzt in seinem Büro. Er betrachtet seine Fingernägel, resümiert: Dobermanns Kumpel – Computerfreaks wie er, aber nach jetzigen Erkenntnissen keine Hacker, Politaktivisten oder in irgendwelche mafiösen Strukturen eingebunden. Ansonsten: Kiffer mit roten Augen, träge Hartz IV Jünglinge, einige Kleinkriminelle, notorische Schwarzfahrer und An- und Verkaufstrickser bei E-Bay – eben diese Sorte. Streitfutter wohl gerade ergiebig genug eine wortlastige Zwei Minuten Kneipenschlägerei anzuzetteln – trödelige Racheglut würde ausreichen, einen schuftigen Kumpel fürs Erschleichen von Sozialleistungen oder Schwarzarbeit zu verpfeifen. Boll konnte hier kein Motiv für den Mord erkennen. Die Kunden von Wesendonk und Dobermanns kurzzeitigem Reparaturunternehmen im Keller der Erzberger Straße wollte man möglichst schnell ausfindig machen. Wesendonk gab zu, dass sie schwarzgearbeitet hatten – und deshalb würde er die Namen der Kunden nicht kennen – oder er hätte „die Namen leider vergessen, oder so ähnlich.“

      Boll überlegt einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft zu stellen, um per Gerichtsbeschluss Wesendonks Computer zu beschlagnahmen. Vielleicht kam er so an die Namen der Kunden. Und ein Antrag auf Telefonüberwachung? Da hatte er wohl keine Chance. Und der Umweg über die Steuerbehörde? Na ja. Erst mal wird jetzt der beschlagnahmte Computer des Toten von Spezialisten gecheckt – vielleicht warten ja noch ein paar Überraschungen. Bisher spricht nichts dafür, dass professionell mit Hehlerware gehandelt wurde. Mal abwarten.

      Einbruchsspuren fehlen. Dobermann hatte wohl nicht mit dem Angriff gerechnet, sich nicht gewehrt. Es mangelt an Anhaltspunkten, dass etwas gestohlen wurde. Nur eine Sache: Dobermanns Handy ist nicht aufzufinden, weder in der Wohnung, in Mülleimern, im Keller oder sonst wo im Garten. Welche Rückschlüsse muss Boll aus diesem Umstand ziehen? Der Täter hatte mit seinem späteren Opfer telefoniert. Da zurzeit die Vorratsdatenspeicherung außer Kraft gesetzt ist, können die Ermittler auch nicht beim Telefonanbieter nachfragen. Auch das Antelefonieren von Dobermanns Handy zeigt keinen Erfolg. Das Handy wie sein ehemaliger Besitzer wohl gleichfalls „tot“, ruht vielleicht zerstückelt auf dem Grund des Rheins. Und da auch ein angemeldeter Festnetzanschluss in der Wohnung fehlt, wurde jetzt das gründliche Durchchecken des Computers umso

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