Neander-Tales. Alexander Siewers
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Arthur Besenbinder war seit seiner frühesten Jugend ein leidenschaftlicher Jäger gewesen. Sein heimisches Jagdrevier begann am Zaun des erwähnten Südfriedhofs, weitet sich in Heide und Auenwälder und wird im Osten von der A3 begrenzt. Seine Tochter, Gudrun Nachtigall, fand ihn unweit des Zaunes zum Südfriedhof unter einer Nachkriegseiche. Das angeschossene Türkentäubchen, das wohl noch eine gewisse Zeit überlebt hatte, und die Schrotflinte lagen neben ihm – wie frühzeitige Grabbeigaben. Man ließ verlauten, es sei ein Herzanfall gewesen.
In den Besenbinderschen Betriebsabläufen ändert sich durch den Tod des Seniorchefs nichts Gravierendes. Schon seit einigen Jahren war Gudrun Nachtigall, Besenbinders einziges Kind als eingetragene Kauffrau Inhaberin des Unternehmens. Der Betrieb ist glänzend organisiert, Gudrun Nachtigall befreit von alltäglichen Leitungsaufgaben. Sie übt Kontrolle aus, trifft die gewichtigen Firmenentscheidungen. Da sich das Unternehmen vorwiegend auf die Verwaltung des in den Wirtschaftswunderjahren geschaffenen Besitzes beschränkt – und auch Gudrun Nachtigall auf Expansion keinen Wert legt – sind außergewöhnliche Entscheidungsanforderungen für sie überschaubar. So lebt Gudrun Nachtigall, verheiratet mit einem angesehenen Biochemiker im entfernten Kiel. Alle vier Wochen reist sie an, um in der Besenbinderschen Firma nach dem Rechten zu sehen. Erst viel später sollte ans Tageslicht kommen, dass sich hinter der scheinbar glänzenden Fassade, hinter wunderbar zuverlässigen Mitarbeitern eine gleichfalls gut funktionierende Schattenwelt mit fingierten Handwerkerrechnungen, getürkten Mietkonten und anderen fein installierten betrügerischen Aktionen verbirgt.
Marita Dobermann behält die Putzstelle bei der Witwe Besenbinder bei. Die Witwe hat den Führerschein abgegeben, so fährt sie die alte Frau zu Arztterminen, zur Fußpflege. Zusätzlich übernimmt Marita Dobermann jetzt erste kleine pflegerische Hilfestellungen. Sie kaufen gemeinsam frisches Gemüse auf dem Wochenmarkt. Frau Besenbinder liebt üppig deutsche Hausmannskost zu kochen. Ihr Favorit: Mangold.
Die Putzstelle verwandelt sich in eine Betreuungsstelle – die Frauen verbringen viele Stunden des Tages zusammen. Alle vier Wochen schaut die Tochter Gudrun kurz bei ihrer Mutter vorbei.
2. Kapitel
In der Dachgeschosswohnung des Mietshauses, in dem Dobermann tot aufgefunden wurde, lebt seit 1953, seit Errichtung des Hauses, bei der er als Maurer bei Besenbinder selbst mitgebaut hatte „ehrlich gesagt – Scheißnachkriegsqualität, viel zu viel Sand“ der 78jähriger Paul Keller – unter seinen alten Kumpels nur bekannt als „Zementpaule“ – eingefleischter Junggeselle – und als Maurer ein Arbeitsleben lang Arthur Besenbinder treu geblieben. Die Treppenstufen ins Dachgeschoss schafft er ehrgeizig schnaufend.
Am Tage von Besenbinders Beerdigung lädt er die noch lebenden ehemaligen Besenbinderkumpel – nach 30 Jahren das erste Mal – in seine verstaubte Hausbar im Keller des Mietshauses ein. Hier hatten sie – mit wechselndem Anhang – ungeniert die Asbach Uraltnächte der Fünfziger und Sechziger Jahre durchzecht – mit Lale Andersen, Rocco Granata, Mariacron, Formosamandarinchen aus der Dose, Käsespießchen, Manuela, Martin Lauer, Weintrauben, Buko, Pumpernickel, temporären Gefährtinnen in Kunstseide gekleidet, mit „nur die“ Strümpfen, Pfennigabsätzen, Lord Extra lang und dünn zwischen Mittel- und Zeigefinger, in Feuchtzucker getunkten Gläsern, Cinzano, sonderbar eingelegten Kirschen von bunten Spießchen penetriert. Jahresend-Eroberungen erhitzten an Sylvester in Zementpaules Dachwohnung schnell ein Backblech voller Toast Hawaii für ihre verschwitzten Nyltestmänner und stießen um Mitternacht mit MM Sekt auf die Zukunft an. Das vorläufige Ende der lustigen Kellerbarära läutete Alexandra ein – und man versuchte sich an Curacao Blue.
Jetzt hocken da unter dem staubgrau rissigen Leder eines schwach illuminierten Pferdekummets wackelige alte Männer in gegerbten Häuten auf gefährlich hohen – aus der Zeit gewachsenen Barhockern – an der vor langen Jahren selbstgezimmerten Theke.
Das „Dicke Fränzchen“ – immer noch dick, aber jetzt zusätzlich mit Rasselatem zu charakterisieren und einem phänomenal fetten Resthals, der in beeindruckenden Wülsten über seinen zwangsläufig weit geöffneten Hemdkragen schwappt.
„Karate Hotte“ lange Jahre Wochenendtürsteher in der Altstadtdisco „Pferdestall“ mit Elvis-Tolle – unbesiegbar – unantastbar. Momentan lebt er – fast ohne Zähne – im Übergangswohnheim der Caritas. „Pulles Män“ hatte nur drei Jahre lang bei Besenbinder als Hilfsmaurer gearbeitet – und behauptete sich dann – männlich attraktiv und charakterlich entsprechend ausgestattet als schillernde Provinzlokalgröße und fleißiger Lude in Frauenfleischgeschäften. „Die Weiber sind mir ja nachgelaufen, es blieb mir ja nichts anderes übrig.“ Seine Luxushuren verflüchtigten sich schon vor etlichen Jahren in Zockerrunden, Goldketten verloren sich in Pfandhäusern. Heute erhält er das Gnadenbrot von einem ehemaligen Rivalen, der pfiffigerweise seine schnell erworbenen Dukaten in Ziegel und Parzellen seriöser Bürgerlichkeit transferiert hatte. Pulles Män wacht zusammen mit Trixi, einer Schäferhundundsonstwasmischung auf einem Stellplatz am Stadtrand über 30 Wohnmobile – und wohnt gnädiger Weise in einem solchen. „Die Zeiten sind Scheiße geworden: Albaner, Kurden, Türken – wirklich Scheiße, gegen die waren wir Gentlemen“, spuckt er in den Aschenbecher. „Nur die Pelztierchen, die vermiss ich echt“. Er fährt sich zärtlich mit der rechten Hand über den linken Arm, als streichele er das Fell eines Fuchses. „Und die Stiefeletten! Das könnt ihr euch nicht vorstellen! So was weiches, schmiegsames, son’ Kalbsleder – ganz junge Kälber, ehrlich schärfer als jeder Weiberskalp. Apfelgrün, Orange, Lehm! Da hat jeder geglotzt, wusste was Sache war. Und meine schwarzweißen Schlangentreter mit den Geilabsätzen! Leute, gebt zu, ich war schon ein feines Kerlchen!“ „Klar Män, mit deinem Mustang warst du schon ’ne Hausnummer, “ hofiert das Dicke Fränzchen seinen alten Kumpel. Pulles Män schüttelt den Kopf gerührt von der Großartigkeit seines vergangenen Lebens. Er hatte zur Feier des Tages keine Kosten gescheut, sich seine Resthaare schwarz färben lassen. „0h Jungs, ich krieg’ ehrlich ’ne feuchte Hose, wenn ich nur an den Mustang denke. Die Ledersitze! Wow!“ Pulles Män kommt aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Die alten Männer starren in das schimmernde Schmeißfliegengold der Cognacschwenker – „Der Besenbinder war ein feiner Kerl“ stellt das Dicke Fränzchen fest – und beendet die Gedenkminuten für Mäns glorreiche Vergangenheit. „War schon mal ein Giftzwerg, und die große Nase“ die Männer lachen „schon komisch, aber Schlag bei den Weibern hat er gehabt. Na ja, kein Wunder?... da war doch früher die Ellerbecksche, Dobermann heißt die doch heute, aber der Alte von der ist doch auch schon abgekratzt, Marita, ja Marita, das war son’ heißes Gestell mit roter Mähne. Scheiße, sah die scharf aus!“ „Die hatte ich damals auch laufen lassen können“ bestätigt Pulles Män die Attraktivität Marita Dobermanns. „Der Besenbinder war ganz schön hinter der her. Da war doch mal was. Irgend’ne Sache.“
Zementpaule aufgeregt „Irgend’ne Sache ist jetzt hier mit der Dobermannschen Sippe. lrgend’ne Sache“ ergänzt er verächtlich. „Das war doch der Sohn von eurer schönen Marita, der hier im Hause um die Ecke gebracht worden ist.“
Die Männerrunde verfällt in kollektives Grübeln, aber niemand teilt das Ergebnis des Nachdenkens dem anderen mit. „Eh, Zementpaule, hoffentlich bist du nicht der Nächste auf der Liste“ lispelt Karate Hotte den als Scherz gemeinten Satz durch den Korridor seiner zwei verbliebenen