DIE NOVIZEN. Michael Stuhr

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schließlich um halb neun aus der Stadt kam, war an eine vernünftige Unterhaltung überhaupt nicht mehr zu denken. Carstens beschuldigte sie der Verschwendung, weil sie schon wieder mit dem Bus und nicht mit ihm gefahren war, und er verstieg sich sogar dazu, ihr einen zügellosen Lebenswandel vorzuwerfen. Er wollte genau wissen, mit wem sie sich getroffen hatte, und behauptete, Arbeitskollegen hätten sie gestern schon wieder in der Eisdiele gesehen. - Er habe ihr doch ausdrücklich verboten, dort herumzulungern, und überhaupt ...

      Dem Mann wurde diese würdelose Demonstration väterlicher Fürsorge schnell zu viel. Er verabschiedete sich von Carstens und gab auch Änne, die die Tiraden größtenteils verstockt schweigend über sich hatte ergehen lassen, die Hand, wobei er ihr aufmunternd zulächelte, als Carstens es nicht sehen konnte. Änne war überrascht. Mit Beistand von seiner Seite hatte sie wohl nicht gerechnet; aber sie war klug genug, vor ihrem Vater nicht weiter darauf einzugehen.

      Kurze Zeit später ließ der Mann den 220er langsam über die schmale Nebenstraße gleiten. Es war noch hell, und er merkte sich die Stelle genau, von der aus man den Wagen vom Haus aus nicht mehr sehen konnte. Er würde seine Tour so einrichten, dass er morgen Abend wieder in der Gegend war. - Das Mädchen war ja selbst schuld, wenn es hier, auf diesem einsamen Feldweg, allein herumlief; aber so waren diese kleinen Schlampen eben: Sie forderten es ja regelrecht heraus!

       KAPITEL 7 – 1962 - ÄNNE

      "Guten Tag! - Haben Sie eine Panne?" Änne hatte den Wagen in der Abendsonne natürlich schon von Weitem erkannt, aber sie konnte sich nicht erklären, warum der Freund ihres Vaters hier auf dem Feldweg, offensichtlich in ein Buch vertieft, hinter dem Lenkrad saß. Unsicher blieb sie neben der Fahrertür stehen und sah durch die heruntergekurbelte Scheibe in den Wagen.

      "Tag Änne! - Nein, keine Panne. Ich lese nur ein bisschen." Der Mann hob das Buch etwas an, damit Änne den Titel erkennen konnte.

      "In einem anderen Land", las Änne laut. "Das ist ja was von Hemingway!", stellte sie entzückt fest. "Wie ist es? - Wir haben in der Schule "Der alte Mann und das Meer gelesen. Kennen Sie das auch? Das ist ganz toll! Die Mädchen haben alle geschluchzt."

      "Das hier geht so", meinte der Mann. "Ist ein Kriegsroman. - Gefällt mir nicht so gut." Der Mann war wirklich nicht sehr angetan von dem Buch. Von Soldatenehre hatte er selbst zwar nie viel gehalten, aber das hier war ja direkt wehrkraftzersetzend - als Köder schien das Buch aber ganz gut zu sein.

      "Kriegsroman?" Änne zog eine Schnute. "Ich glaub', das ist nichts für mich."

      "Bestimmt nicht", lachte der Mann und steckte das Buch in seine Aktentasche. "Steig doch mal ein. - Ich habe extra auf dich gewartet."

      "Warum?" Eine steile Falte erschien auf Ännes Stirn und sie ging unbewusst einen halben Schritt zurück. "Hat mein Vater Sie geschickt? Sollen Sie mir ins Gewissen reden?"

      "Nicht direkt", sagte der Mann. "Aber er macht sich deinetwegen große Sorgen, das weißt du ja, und da habe ich mir gedacht ..."

      "Ich kann auf mich selbst aufpassen", fiel Änne ihm ins Wort. Es wirkte nicht unhöflich, weil sie leise sprach und den Mann dabei anlächelte, aber es klang sehr bestimmt.

      Der Mann glaubte ihr fast. Änne war ein Mädchen, das wusste, was es wollte. Ihr ganzes Wesen strahlte etwas aus, das schwer zu definieren war, das aber etwas mit Sauberkeit, Anstand und Ehrlichkeit zu tun hatte. Der Mann staunte, unter welch perfekter Maske die Liederlichkeit sich verbarg, mit welcher Frechheit sie ihre zügellose Geilheit leugnete, die für ihn so offensichtlich war. Änne war selbstbewusst. - Zu verdammt selbstbewusst, fand der Mann. Warum stieg sie nicht ein, wenn er sie dazu aufforderte?

      Der Mann schaute unauffällig in den Rückspiegel. Er hatte seine Ankunft hier auf den Busfahrplan abgestimmt und stand erst seit fünf Minuten auf dem Feldweg. Noch war niemand vorbeigekommen, der seinen Plan hätte gefährden können, aber so abgelegen die Gegend auch war, irgendwann würde doch ein Passant auftauchen, und dann war alles zunichte.

      "Ich weiß, dass du vernünftig bist", sagte der Mann lächelnd. "Aber schau mal, da gibt es so ein paar Sachen ..."

      "Ich weiß schon:" Ännes Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an. "Geh nicht ins Kino - bleib von der Eisdiele weg - komm von der Arbeit direkt nach Hause! - Darfst ja auch Radio hören! - Stimmt's?"

      Änne hatte das Gesicht abgewandt und schaute nun mit erhobenem Kopf über die Felder. Der Mann konnte sie aus seiner sitzenden Stellung heraus im Profil sehen. Aus dem knapp sitzenden, dünnen Pulli stachen die kleinen Brüste spitz hervor. Ihre kleine Tasche hatte Änne mit beiden Händen umfasst und hielt sie dicht an ihren flachen Bauch gedrückt. Der Mann sah, dass sie langsam eine Fuß vorsetzte. Sie wirkte im Moment auf ihn gar nicht wie eine Fünfzehnjährige, sondern er sah eine junge Frau in ihr. Eine sehr entschlossene junge Frau. - Entschlossen, jetzt weiterzugehen.

      So klappte es also nicht! Der Mann entschied sich, schwerere Geschütze aufzufahren. "Schätze, ich habe dich vor ein paar Tagen mit einem Jungen zusammen gesehen", sagte er bedeutsam. Das war mehr oder weniger ein Schuss ins Blaue, aber Änne zuckte zusammen und warf den Kopf herum. "Wo denn wohl?", wollte sie wissen.

      "In der Stadt natürlich", sagte der Mann. "Frag doch nicht so dumm! - Ihr scheint euch ja gut zu verstehen."

      Änne schien einen Moment lang zu überlegen, ob sie es riskieren sollte, zu lügen, entschied sich dann aber dafür, es sich mit dem Freund ihres Vaters lieber nicht zu verderben. "Werden Sie das meinem Vater erzählen?", fragte sie unsicher.

      "Ja, sage mal, wofür hältst du mich?" In der Stimme des Mannes schwang ein empörter Unterton mit. Jetzt hatte er fast schon gewonnen. - Die Angst vor ihrem Vater würde Änne direkt in seine Arme treiben. "Wenn dein Vater davon wissen sollte, dann würde dein Freund dich ja wohl heimbringen, oder?"

      "Papa darf das nicht wissen!" Es war etwas Flehendes in Ännes Stimme, das dem Mann einen Schauer des Wohlbehagens durch den Körper laufen ließ. - So mochte eine Katze sich fühlen, die ein Mäuschen in einen Mauerwinkel getrieben hat. Jetzt wirkte Änne wieder wie ein kleines Mädchen. Die Füße leicht nach innen gestellt stand sie in ihren engen Jeans wie festgenagelt da, hielt die Tasche krampfhaft an sich gepresst und sah ihn mit großen Augen an. Der Mann wusste, dass er nun Macht über sie zu gewinnen begann, und er genoss den Augenblick.

      "Änne?"

      "Ja?"

      "Sag mal, hast du eigentlich Angst vor deinem Vater?"

      "Er wird manchmal so schrecklich wütend." Änne stand immer noch neben der Fahrertür. Sie sah zu Boden und fingerte vor Verlegenheit an ihrer Tasche herum. "Das gestern war noch überhaupt nichts."

      "Fasst er dich hart an? - Hast du Angst vor Schlägen?" Die Stimme des Mannes floss über vor Verständnis.

      "Nein, nein!" Änne schüttelte heftig den Kopf. "Aber er schimpft immer mit mir. Seit Mutti tot ist, ist er richtig gemein geworden. Er nennt mich sogar eine ..."

      Es war nicht nötig, dass Änne das aussprach, was ihr nicht über die Lippen wollte. Der Mann konnte es sich durchaus vorstellen, wie Carstens seiner Tochter das Wort "Nutte" entgegenbrüllte. "Wie wäre es, wenn wir ein bisschen herumfahren, und du erzählst mir alles? Ich könnte deinen Vater dann vielleicht ein wenig beruhigen, damit er nicht mehr gar so streng mit dir ist."

      "Das würden Sie für mich machen?", fragte Änne ungläubig und schaute auf.

      "Natürlich!"

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