DIE NOVIZEN. Michael Stuhr
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Etwas klickte neben Gunthers Ohr und er sah, dass Sander ihm seine leere Flasche hinhielt. Sofort stand er auf, um zwei neue Granaten zu besorgen. In einer großtuerischen Anwandlung blieb er vor dem Haustor stehen, legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Giebel hinauf. Die Bohlen, die die Giebelseite über dem Fachwerk abdeckten, waren altersgrau, verwittert und verzogen. Zwei Schwalbennester klebten unter dem Dachvorsprung und ein solide aussehender Balken ragte über einer Brettertür aus der Fassade. Es gab fingerbreite Spalten zwischen den Bohlen. "Ist Heu auf dem Boden?", fragte er, ohne sich umzusehen.
"Seit ewigen Zeiten." Sander drehte sich in seinem Sessel um. "Hier vorne Stroh und hinten Heu. Über zwei Meter hoch - die beste Isolierung, die es gibt."
"Gut!" Gunther nickte mit der Ernsthaftigkeit des Halbbetrunkenen. Er interessierte sich schon länger für alte Häuser und fühlte sich im Moment ganz als Fachmann. Ohne die dicke Heuschicht auf dem Boden wäre das Heizen ein Problem geworden. - Dass es das sowieso war, weil die Lehmputzwände im Winter jedes bisschen Wärme aufsaugten und nach draußen abgaben, kam ihm aber nicht in den Sinn.
Er ging in die Deele und besah sich die Deckenkonstruktion, so gut es bei der Dunkelheit möglich war. Nachdem seine Augen sich dem schwachen Licht angepasst hatten, wollte er die Balken und die Bretterlage nach Schäden absuchen. - Aber sofort wurde Gunthers Blick abgelenkt. Fast direkt unter der Decke hingen auf beiden Seiten und an der Stirnwand Trophäen: Stirnplatten von Böcken, Flugwild auf Birkenstangen, Füchse in seltsam gekrümmter Haltung und große Hirschköpfe mit weit ausladendem Geweih hingen dort dicht bei dicht. - Und Wildschweinschädel. Es mussten etwa zwanzig sein, schätzte Gunther. - Seltsam, dass ihnen das bei der Besichtigung nicht aufgefallen war - aber schließlich hingen die Trophäen sehr weit oben und auf der Deele war es sehr dunkel. Alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt und so sehr von alten Spinnweben überzogen, dass manche der Trophäen dahinter nur wie durch einen schmutzigen Schleier zu erkennen waren.
"Sind Sie Jäger?", fragte Gunther laut in die Deele hinein, sodass Sander ihn draußen hören musste, aber der gab keine Antwort. Der Anblick war auf eine seltsame Art unheimlich. Gunther wandte sich ab und ging zu dem Bierkasten. Dabei fiel sein Blick auf die Schrotflinte, die hinter dem anderen Torflügel lehnte. Es war ein doppelläufiges Modell, das jetzt, da es nicht auf seine Füße gerichtet war, klein und billig aussah. "Ist das eigentlich geladen? - Das Gewehr, meine ich!", rief er nach draußen, während er zwei volle Flaschen aus dem Kasten nahm.
"Die Flinte? - Weiß nicht! - hab's vergessen! - Probieren Sie's doch aus! - Aber passen Sie auf", fügte er dann hinzu, "das ist 'ne 12er Franchi, wenn die losgeht, dann rappelt's im Karton!"
Gunther nahm die Flinte am Lauf hoch. -Was, zum Teufel, war eine 12er Franchi? Auf jeden Fall sah sie nicht nur billig aus, sie fühlte sich auch so an. Sie war geradezu lächerlich leicht - das reinste Spielzeug! Er trug die Waffe hinaus und stellte die Bierflaschen auf dem Tisch ab. Dann nahm er den Kolben in die rechte Armbeuge und brachte den Zeigefinger in die Nähe des Doppelabzugs.
"Erst spannen!", riet Sander, der ihm amüsiert zusah.
Gunther war den Umgang mit Waffen nicht gewöhnt und schwenkte die Läufe wild durch die Gegend. "Worauf soll ich zielen?"
"Auf Ihren Wagen vielleicht?", schlug Sander grinsend vor, und da wusste Gunther plötzlich, dass die Flinte geladen war. Er wusste es mit absoluter Sicherheit. So sicher, wie man sich nur überhaupt sein kann. "Ich könnte Ihnen auch den Sessel unterm Arsch wegschießen", meinte er, und grinste ebenso schäbig zurück.
"Möglich", meinte Sander. "Aber nur, wenn sie wirklich geladen ist."
Gunther sah auf die Waffe. So weit kannte er sich damit aus, dass man den Haken der Verriegelung lösen konnte, um nachzusehen, ob Patronen im Lauf waren - aber es so herauszukriegen, war interessanter. Er legte den Daumen an die Hähne und zog sie beide nach hinten, bis sie mit einem knackenden Geräusch einrasteten. Sander tat so, als ginge ihn das alles gar nichts an. Fast gelangweilt beugte er sich vor und nahm sich eine Flasche vom Tisch.
Gunthers Überzeugung geriet ins Wanken. Konnte man sich so uninteressiert geben, wenn ein Fremder, und noch dazu ein absoluter Laie, in unmittelbarer Nähe mit einer Schrotflinte hantierte? Nein! - Wahrscheinlich legte Sander ihn rein, und er würde nur ein müdes Klicken zu hören bekommen, wenn er den Abzug betätigte.
"Die Schubkarre da." Sander zeigte beiläufig auf einen der Schutthaufen, die sich im Lauf der Jahre auf dem Hof angesammelt hatten. Obenauf lag eine alte Schubkarre, deren Wanne an einigen Stellen durchgerostet war. Gunther hob die Waffe, zog sie fest an die Schulter, zielte kurz und drückte ab.
Es klickte, als der Hahn nach vorne schnellte, aber sonst passierte gar nichts. Gunther setzte die Waffe ab, und sah Sander mit herabgezogenen Mundwinkeln leicht verächtlich an. - Das sah dem alten Zausel ähnlich, mit einer ungeladenen Flinte herumzukaspern und den Leuten Angst zu machen. Alles nur Schau und nichts dahinter.
"Und der zweite Lauf?" Sanders kalter Blick hätte ihn warnen müssen, aber Gunther war halb betrunken. Lässig nahm er die Waffe hoch, zielte grob, drückte ab, und noch bevor er begriff, was geschah, saß er neben dem umgestürzten Korbtisch auf dem Pflaster. Der Kolben der Flinte war mit der Wucht eines Vorschlaghammers gegen seine Schulter geprallt und hatte ihn herumgerissen. Die Schubkarre war hochgewirbelt und hatte sich zweimal in der Luft überschlagen, bevor sie fünf Meter hinter dem Schutthaufen zu Boden gekracht war. Gleichzeitig war ein Donnerschlag losgebrochen, der Gunthers ganzen Körper gelähmt hätte, wenn er nicht gerade damit beschäftigt gewesen wäre, den Tisch umzureißen. Der Rückstoß der Flinte war so enorm gewesen, und der Schock so groß, dass Gunther mit dem Tisch zusammen zu Boden gegangen war. Die Waffe war ihm aus der Hand gefallen und ein Stück weit auf dem Ziegelpflaster entlang geschlittert.
Die Stille nach dem Schuss war unnatürlich. Gunther war halb taub. Er richtete sich unbeholfen auf und stolperte über die eigenen Füße. Dann nahm er sich zusammen, bückte sich und stellte den Tisch wieder hin. Die Flinte ließ er liegen, wo sie war, und steuerte seinen Korbsessel an.
"Jetzt erinnere ich mich" hörte er Sanders Stimme wie durch Watte "Flintenlaufgeschoss! Genau!" Gunther sah zu ihm hinüber. Er war immer noch total geschockt.
Sander beugte sich vor, und reichte ihm die noch ungeöffnete Flasche Bier. Automatisch griff Gunther zu und biss die Zähne zusammen. Seine Schulter fühlte sich an, als sei ein Kleinlaster - nein, ein Konvoi von Kleinlastern - darüber gefahren. "Sie wussten, was passieren würde!", unterstellte er Sander giftig. "Sonst hätten Sie mein Bier nicht vom Tisch genommen."
"Sie werden es einem armen, alten Mann doch nicht verübeln, dass er sich um seine Pfandflaschen sorgt?", lachte Sander. "Regen Sie sich bloß nicht auf; es war schließlich Ihr Scheiß - Anfängerfehler. Wenn Sie das Ding so locker halten, wie einen Staubwedel, dann muss sowas ja passieren."
"Ach!" Gunther schüttelte unwillig den Kopf und schielte misstrauisch zu der Flinte hin. "Sie hätten es mir sagen müssen!"
"Nö", meinte Sander. "Ich wusst's ja selbst nicht mehr genau. - Ehrlich!"
Sander log! Er log sogar mit Absicht so schlecht, dass Gunther es merken musste.
"Ausserdem