DIE NOVIZEN. Michael Stuhr

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KAPITEL 4 - Juni 1994 - DAS HAUS

      Die Unterhaltung mit Sander war alles andere als angenehm für Julia und Gunther. Zeitweise schien der Alte verwirrt und gar nicht bei der Sache zu sein; dann wechselte er sprunghaft das Thema und ging auf das Gesagte überhaupt nicht ein. Das Schlimmste aber war, dass er bald schon wieder begann, bei jeder Gelegenheit seine schlüpfrigen Anspielungen abzusondern, von denen er wissen musste, dass sie die Gefühle der beiden verletzten.

      Besonders perfide war, dass er das alles mit dem Anschein der Naivität vorbrachte, und gänzlich verständnislos auf die Verstimmung seiner Gäste reagierte. Leutselig beugte er sich vor und gab sich den Anschein größter Besorgnis: "Wenn Sie richtig verheiratet wären - wäre dann nicht vieles einfacher? - Mit den Banken zum Beispiel. - Geben die denn Geld an solche Leute? Früher hat man solche - na ja - Liebesverhältnisse in keiner Weise unterstützt. Da konnte ein Mann seine Geliebte beschenken, ja, er durfte sich sogar für sie ruinieren; aber niemand wäre je auf die Idee gekommen, mit so einer Frau zusammenzuziehen. - Ist das heute denn anders? Denken die Leute nicht mehr so?"

      "Die Zeiten haben sich geändert", sagte Gunther spröde.

      Julia war verärgert, verschreckt und verlegen zugleich. Die Ruhe, die sie zuerst in diesem Zimmer empfunden hatte, war gestört, der Friede dahin. - Das war sie also in Sanders Augen: So eine Frau! Sie spürte, wie das Blut ihr ins Gesicht schoss. Sie war drauf und dran, aufzuspringen und aus dem Raum zu rennen, wie ein gedemütigtes Kind. - Nur weg von diesem ekelhaften, schmierigen Alten, der mit seinem kranken Gerede alles beschmutzte, aber Gunther legte ihr seine Hand auf den Arm. "Bleib!", sagte diese Geste. "Bleib, denn wir wollen das Haus!"

      Julia war sich zwar im Moment nicht so sicher, dass sie das Haus noch wollte. Ihr war heiß vor Scham und Wut, aber sie blieb trotzdem sitzen. Die Zeiten haben sich geändert! - War das alles, was Gunther zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatte? Und wieso überhaupt Verteidigung? Hatten sie das nötig? Langsam beruhigte Julia sich wieder. Sander war steinalt, ein Überbleibsel aus einer vergangenen Epoche. Seine Maßstäbe stimmten nicht mehr mit der Realität überein. Das war alles.

      Plötzlich ging es Julia besser und sie konnte wieder freier atmen. Endlich hatte sie erkannt, dass man Sander einfach nicht ernst nehmen durfte. Sie nahm sich zusammen und durchbrach die Oberfläche dieses Tümpels von Erniedrigung, in dem sie fast versunken wäre.

      "...tut man nicht alles für ein Büschel Haare", faselte Sander gerade - und es war nur zu klar, was für ein Büschel Haare er meinte.

      "Hören Sie!" Gunther reichte es jetzt. Er richtete sich auf, sprach dann aber doch nicht weiter, sondern schaute Sander nur einen Moment lang mit zusammengekniffenen Augen an.

      Der Alte hielt diesem schwachen Aufflackern von Protest mühelos stand. Dennoch tat er so, als merke er jetzt erst, dass er seinen Besuchern zu nahe getreten war. "Ach", seufzte er schwer auf und ließ sich noch tiefer in die Polster sinken, "vergeben Sie einem alten Mann, der nur noch in der Erinnerung lebt." Er sagte das mit dem Ausdruck ehrlichsten Bedauerns, und Julia hätte ihm fast verziehen, aber da grinste er sie plötzlich von unten herauf an. "Tja", meinte er, "ich habe wenigstens noch so Einiges, woran ich mich erinnern kann!"

      Julia und Gunther hielten durch. Gunther wollte das Haus und Julia hielt zu ihm, weil sie es, wenn sie ehrlich mit sich war, auch wollte. Wenn der Vertrag erst zustande gekommen und der Alte von hier verschwunden war, konnten sie immer noch ihre Wunden lecken - aber jetzt galt es sich zu behaupten. Also hatten sie sich, als Sander einmal kurz zum 'Pissen' gegangen war, wie er sagte, abgesprochen, sich von ihm nicht provozieren zu lassen, da seine Ausfälle wahrscheinlich auf seine Verkalkung zurückzuführen seien.

      "Trotzdem ist er eine richtige Sau", hatte Julia Gunther schnell noch zugeflüstert, als die Schritte des Alten schon wieder auf der Deele zu hören waren.

      "Warum beleidigst du unschuldige Tiere?" wollte Gunther daraufhin von ihr wissen. - Altbekannt und nicht sehr lustig, aber die Anspannung fand endlich ein Ventil und als Sander die Tür öffnete, fand er seine Besucher nervös und schuldbewusst kichernd vor.

      Misstrauisch blieb der Alte in der Tür stehen. "Wenn Sie sich ausgealbert haben, können Sie sich jetzt Haus und Grundstück ansehen." Sofort standen Julia und Gunther brav auf und folgten ihm. Obwohl sie im Recht waren, fühlten sie sich wie Kinder, die ein strenger Lehrer beim Schwatzen erwischt hatte.

      Im Inneren hielt das Haus noch mehr, als es von außen schon versprochen hatte. Wenn auch keiner der Räume auch nur annähernd so groß war, wie das Kaminzimmer, so gab es doch eine Reihe einfach eingerichteter, aber gemütlich aussehender Kammern. In einem Verschlag stand das Aggregat der Hauswasserversorgung und es gab ein komplett, wenn auch charmant unmodern eingerichtetes Badezimmer.

      "Na, wie gefällt es Ihnen?", wollte Sander wissen, als sie mit der Besichtigung fertig waren. "Kann man so hier leben - oder wollen Sie auch alles umstricken und von einem Innenarchitekten einrichten lassen?"

      "Wollte der Typ mit dem Jaguar das?", fragte Gunther.

      "Seine Schnepfe!", bestätigte Sander. "Dies muss weg, Frank, und da muss was hin, Frank, und das will ich aber neu haben!", äffte er die Frau nach. "Und der Trottel von Kerl steht daneben und nickt mit dem Kopf wie ein großes, blödes, geldspuckendes Kamel. - Ja, mein Schatz! - Klar, mein Schatz! - Wo soll ich's dir hinstecken, mein Schatz? - Hochkant oder quer? So ging das in einer Tour. - Ich bin erstmal Kotzen gegangen, nachdem ich sie vom Hof gejagt habe."

      "Wenn ich in einem Neubau wohnen will, dann miete ich mir kein Fachwerkhaus", bemerkte Gunther weise und wartete heimlich auf Sanders' Beifall.

      "Darum geht es nicht!" Sander hatte Gunthers Versuch, sich einzuschleimen sofort durchschaut, und gab ihm jetzt eine Lektion fürs Leben: "Ein armer Kerl ist ein Sklave", stellte er fest, "und ein reicher Kerl ist ein König! - Warum aber, um alles in der Welt, benimmt sich ein reicher Kerl wie ein Sklave, bloß weil sein Fickverhältnis in der Nähe ist?"

      "Liebe?" mutmaßte Gunther.

      "Ach!", wehrte Sander unwillig ab. "Schwäche! - Ich verachte das!"

      "Ich finde es schön hier", schaltete sich nun Julia in das Gespräch ein. Sie befürchtete, Sander würde gleich wieder in seine dumpfen, sexistischen Redensarten verfallen. "Ich finde, hier soll alles so bleiben, wie es ist."

      "Wir würden das Haus vorsichtig renovieren", bestätigte Gunther. "Aber an der Bausubstanz muss überhaupt nichts verändert werden."

      "Da lege ich auch allergrößten Wert drauf!", grollte Sander. Er hatte sich noch nicht ganz beruhigt und sah die beiden prüfend an. "Neu streichen - in Ordnung! Defekte Teile erneuern - auch in Ordnung! Aber niemand soll es wagen, hier auch nur eine Wand herauszureißen!"

      "Nein, nein", beeilten sich Julia und Gunther schnell zu versichern, "Würden wir nie tun", denn die Gedanken sind frei, und zwischen der Planungsabteilung des Gehirns und der Zunge gibt es zum Glück keine direkte Verbindung. Der Vertrag würde auf jeden Fall länger laufen, als Sander noch zu leben hatte, und wenn sie erst einmal hier wohnten ...

      "Gehen wir hinaus", sagte Sander und zog den Torflügel auf. Gleißende Helligkeit schlug ihnen entgegen, und die Hitze des Sommernachmittags nahm ihnen nach der Kühle des Hauses fast den Atem.

      "Gibt es den Hund eigentlich noch?" Gunther ging hinter Sander über den Hof. Julia hielt sich ein wenig abseits und schaute sich gerade das Bauerngärtchen an, dessen uralte Bepflanzung von Unkraut überwuchert war.

      "Was für einen Hund?" Der Alte schaute

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