DIE NOVIZEN. Michael Stuhr
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу DIE NOVIZEN - Michael Stuhr страница 4
Gunther warf Julia einen bedeutsamen Blick zu. "Zwischen den beiden Ortschaften hier", erklärte er dem Mann nochmals betont langsam und deutlich. "In der alten Mühle am Ende des Waldweges. - Aber welchen Waldweges?"
Die beiden waren zwischen den Dörfern in zwei der vielen Wege eingebogen, aber sie hatten sich fast festgefahren und in Muckels Karosserie hatte es bei den Schlaglöchern verdächtig geknackt. Gunthers Handy war im Moment nicht zu gebrauchen. "Kein Netz" stand auf dem Display; die ganze Gegend war ein einziges, riesiges Funkloch.
"Mühle? Mühle? Waldweg?" Der Mann schüttelte den Kopf. "Aber nicht an dieser Straße! - Nicht wahr, Flocki?", wandte er sich an seinen Hund. Flocki schnüffelte uninteressiert an Gunthers Hosenbein und sah, wenn möglich, noch stumpfsinniger aus, als sein Herrchen.
"Ja, dann danke." Gunther wandte sich ab, und hatte den Wagen fast schon erreicht, als die Stimme des Mannes ihn aufhielt: "Warten Sie mal! - Da gibt es doch die alte Nebenstrecke, die wird aber kaum noch benutzt. - Da fahren nur die Bauern mit ihren Treckern lang."
Gunther drehte sich um. "Und? - Gibt es da eine alte Mühle?", fragte er in dem leiernden Tonfall, der Julia verriet, wie gereizt er war.
"Ja, natürlich!", bestätigte der Mann und nickte heftig. "Auf halber Strecke. - Da steht so ein Häuschen an der Straße, wegen der Wildschweine."
"So eine Futterstelle?"
"Ach was!" wehrte der Mann unwillig ab und sah Gunther an, als sei der nicht ganz bei Trost. "Wir füttern hier doch keine Wildschweine! - Nicht wahr, Flocki? - Da sind die Mülleimer drin und die gelben Säcke, damit die ..."
"Und wo ist die Straße?" Das war alles, was Gunther noch wissen wollte, und das expressi-galoppi bitte.
"Sie wollen zur alten Mühle, ja?" Der Mann legte den Kopf schräg.
"Ja-a!"
"Da lang!" Das Kopfnicken des Mannes deutete knapp die Richtung an, wo direkt hinter dem Ortsschild ein schmaler, kopfsteingepflasterter Weg von der Hauptstraße abbog. "Das ist die alte Hauptstraße. - Nicht wahr, Flocki?", beugte er sich wieder zu dem Hund hinab.
Flockis Antwort, wenn er denn eine gab, hörten die beiden nicht mehr. Nach einem hastig hingeworfenen "Danke!" hatte Gunther sich wieder hinter Muckels Lenkrad geklemmt und die Tür zugeknallt. Der kleine Wagen machte einen wilden Hopser, als er anfuhr, und Augenblicke später bogen sie in die Seitenstraße ein, die zwar an den Rändern von Gebüsch und Unkraut überwuchert, aber sonst in einem erstaunlich guten Zustand war.
Gunther fuhr zu schnell, und Muckels Karosserie dröhnte auf dem Kopfsteinpflaster. Es ging an einem Neubau vorbei, auf dessen Garagenhof zwei Ball spielende Kinder innehielten, und dem Wagen neugierig hinterherschauten.
"Mami, Mami! Guck mal, ein Auto!", meinte Julia mit künstlich hoch geschraubter Stimme und setzte noch ein im tiefsten Steinkohlenbass gebrummtes "Nicht wahr, Flocki?" drauf.
Gunther musste grinsen und sah seine Partnerin belustigt an. Fast augenblicklich war seine schlechte Laune verflogen und er fuhr etwas langsamer. Das war es, was Julia hatte bezwecken wollen und nun entspannte sie sich wieder.
"Wenn wir das Haus pachten", meinte Gunther, "werden wir uns wohl einen Geländewagen kaufen müssen."
"Wieso?" überschrie Julia das Rasseln der Heckklappe. "Geht doch prima!"
"Denk mal an den Winter!" Gunther ließ den Wagen vorsichtig ein steiles Gefälle hinabrollen, das in der Senke sofort in eine ebenso steile Steigung überging.
"Winterreifen, Schneeketten", schlug Julia vor. Sie dachte überhaupt nicht daran, sich ohne Not von ihrem Muckel zu trennen. Es fraß zwar an ihrem Öko-Gewissen, dass der Katalysator wahrscheinlich nicht mehr so richtig funktionierte, aber Bäume gab es viele, Muckel jedoch nur einmal.
Im Moment war es sogar so, dass die Bäume die Sicht auf die Landschaft komplett verstellten. Die schmale Straße führte durch dichten Wald und das Laubdach versperrte den Blick auf den Himmel fast vollständig. Dennoch war es nicht dunkel unter den Bäumen. Vereinzelt drang die Sonne durch die Blätter, und die Straße vor ihnen war mit einem wirren Muster aus goldenen Flecken gesprenkelt.
Je weiter die Fahrt ging, desto besser gefiel Julia die Umgebung. Nur die Strommasten, an denen auch eine Telefonleitung befestigt war, deuteten darauf hin, dass in dieser Wildnis vielleicht wirklich irgendwo ein Haus liegen mochte. Sie hoffte jetzt schon, dass sie den Zuschlag erhalten würden. So einsam zu wohnen, das hatte sie sich schon immer gewünscht. Fort von der Stadt, von den so genannten Freunden, von der Familie, den Klienten - von allem, was in ihrem Leben schief gegangen war. Endlich die Erinnerung hinter sich lassen, nur noch sie selbst sein, und sich in einen Zauberwald zurückziehen, unerreichbar, wie auf einem anderen Planeten.
"Verdammt weit draußen." Gunther sah die Sache ein wenig anders. Er musste schließlich jeden Tag zur Arbeit in die Stadt. Er sah auf den Tacho. "Schon achtundvierzig Kilometer."
"Weniger", korrigierte Julia schnell. "Durch die Suche haben wir einen ganz schönen Umweg gemacht."
"Stimmt", stellte Gunther nachdenklich fest. "Bergler fährt jeden Tag über sechzig Kilometer zur Firma. Das ist wohl der Preis für eine ruhige Wohnlage. - Da wäre ich dann mit, sagen wir mal, vierzig Kilometern noch ganz gut dran."
"Schauen wir mal, wie das Haus überhaupt aussieht." meinte Julia. "Wenn es nun eine totale Bruchbude ist ..."
In diesem Moment tauchte auf der linken Seite ein asphaltierter Weg auf, der noch tiefer in den Wald hineinführte. An der Einmündung stand ein kleiner Bretterverschlag. - Wohl das Müllhäuschen, von dem der Mann gesprochen hatte.
"Schau mal, hier kommt sogar die Post vorbei." Gunther zeigte erfreut auf den angerosteten Hausbriefkasten, der auf die Bretter aufgeschraubt war.
Die Holzmasten bogen jetzt ebenfalls von der alten Hauptstraße ab. Die Leitungen überquerten einen hohen Maschendrahtzaun und folgten dann dem schmalen Weg. Offenbar gab es nur ein einziges Haus hier in der Gegend.
Gunther hielt den Wagen an und stieg aus, weil ein einfaches Tor aus Stahlrohren und Maschendraht die Zufahrt versperrte. "Vorsicht, bissiger Hund!", warnte ein verblichenes, mit dünnem Moos behaftetes Blechschild. Gunther ging auf das Tor zu und drückte dagegen. Es war nicht verschlossen und gab überraschend leicht nach.
"Gehört das ganze Gelände etwa dazu?", fragte Julia, als sie durch das Tor gefahren waren, und von einer Mühle noch nichts zu sehen war.
"Mehr als drei Hektar, hat dieser Sander gesagt."
"Wie viel ist das - ein Hektar?"
"Ganz schön viel, jedenfalls." Gunther hatte am Morgen mit dem Vermieter gesprochen. `Ren.bed. Waldhs. Auf gr. Grdstck. in eins. Lg. günst. zu verp.´ hatte in der Zeitungsanzeige gestanden. Dass es dabei um eine alte Mühle mit einem Riesengrundstück ging, hatte er erst am Telefon erfahren, und dann waren sie natürlich sofort gestartet.
Plötzlich trat Gunther fluchend auf die Bremse und lenkte den Wagen scharf nach rechts. Julia schreckte auf und suchte unwillkürlich nach Halt, als ein dunkelgrüner Jaguar mit hoher Geschwindigkeit aus der Biegung kam und mit unvermindertem Tempo dicht an dem Fiesta vorbei rauschte. Undeutlich konnte sie das verkniffene Gesicht des Fahrers erkennen.