Der alte Mann und das Haus. Roland Exner

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Der alte Mann und das Haus - Roland Exner

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Schluss stand er vor den beiden Dachkammern. Es war überflüssig, da hinein zu schauen, aber jetzt kam es ihm absurd vor, dass diese Kammern über die ganzen Jahrzehnte verschlossen waren. Als sei da drin ein Geheimnis, dass zu Lüften Unheil bringen würde. Jetzt wollte er hinein. Er entschied dann aber, erst das passende Handwerkzeug zusammenzusuchen, um die Schlösser entfernen zu können, ohne die Türen zu beschädigen. Beim Hinuntergehen drückte er auf die Klinke von Elkes Wohnung – er wollte einfach überall reinschauen. Die Tür war verschlossen.

      Helene Klüber saß am Schreibtisch über einigen Briefen. „Ich wollte auch in Elkes Zimmer schauen… ist abgeschlossen… schließt sie immer ab, wenn sie weggeht?“ fragte er.

      „Ich weiß das gar nicht“, erwiderte sie, „ab und zu war ich in der Wohnung, aber da war sie immer zu Hause…“

      „Hast du einen Zweitschlüssel?“

      Sie verzog ihr Gesicht. „Da musst du nicht reingucken… Wenn, dann mach ich das.“ Er machte sein gleichgültiges Gesicht. „Mir egal, aber hast du einen Schlüssel?“ Da müsse sie suchen, im Keller sei ein ganzer Karton voller Schlüssel, sie müsse alle durchprobieren.

      Eine halbe Stunde später kam Elke vom Einkauf zurück, die beiden Klübers standen gerade im Eingang der Scheune, die Frau hatte nun doch beim Suchen geholfen. „Ich hab mir ein Sicherheitsschloss gekauft!“ rief Elke mit einem fröhlichen Klang in der Stimme. „Als Sie verreist waren, hatte ich so eine Angst bekommen, dass da jemand in meine Wohnung schleichen könnte.“

      Helene Klüber klang ganz sanft, als sie zu bedenken gab, dass der Hauseigentümer im Notfall immer Zugang haben müsse. Elke hatte diesen Einwand erwartet, sie hatte überlegt und überlegt, ihr war nur eingefallen, die ganz Ängstliche zu spielen, nur für die Zeit, bis man den unheimlichen Mann finden werde, wolle sie das Schloss verwenden, aber deswegen konnten die Klübers trotzdem einen zweiten Schlüssel einfordern… Plötzlich hatte sie den rettenden Einfall. Mit der gleichen unbefangenen Stimme sagte sie: „Ich tu den zweiten Schlüssel in einen Umschlag, und im Notfall können Sie rein!“

      Sie schleppte die Einkaufstasche in die Küche, stellte die Tasche auf dem Boden ab, atmete heftig. Das war knapp gewesen. Natürlich meinte sie: Einen verschlossenen Umschlag… den konnten sie nicht so ohne weiteres aufreißen, wenngleich… ein Notfall ließ sich leicht erfinden, vor allem, wenn sie längere Zeit außer Haus war… Es war also klar: Der Alte konnte nicht bei ihr in der Wohnung bleiben. Und eine der Dachkammern kam nun auch nicht mehr in Frage…

      Sie räumte langsam die Sachen aus der Einkaufstasche. Und wieder sprang der Gedanke wie ein Ball aus ihrem Kopf:

      ... und wenn sie sie den Klübers einfach alles beichtete? Schließlich wollte der alte Reuß nichts weiter als hier in diesem Hause sterben… Und wie schon einige Male zuvor prallte der Ball an jene Mauer, die man die „harte Realität“ nennen könnte – prallte zurück und schlug wieder wie eine Kugel in ihr Bewusstsein. Die Klübers würden sofort die Polizei alarmieren, zumindest Herr Klüber würde das tun, und der alte Mann müsste in der Klinik sterben.

      Oben ging plötzlich die Toilettenspülung… Elke erstarrte vor Schreck, sie schaute durch das Küchenfenster – die Klübers kamen gerade über den Hof, blieben aber wieder stehen und redeten. Elke ließ alles stehen und liegen, rannte in den Keller, sie hatte dort in dem einen Regal ein altes Pinkelglas gefunden, aber vergessen, es dem Alten zu bringen. Das holte sie jetzt nach. Sie rannte nach oben, und sie war schon im Obergeschoss, als die Klübers das Haus betraten.

      Der Alte lag im Bett, als sei nichts geschehen. Er richtete sich etwas auf und starrte auf das Glas in Elkes Hand. „Hab ich gerade aus dem Keller geholt“, sagte sie etwas verlegen. „Vorhin war ich in der Küche, da ging hier die Toilettenspülung. Das hört man durchs ganze Haus. Ich war in der Küche, die Klübers waren Gott sei Dank gerade im Hof. Sie müssen das hier benutzen, wenn ich nicht in der Wohnung bin.“ Er schwieg, schien sie nicht zu verstehen.

      „Na, wenn die Spülung geht, und die Klübers sehen mich irgendwo draußen, dann wissen die doch, dass hier jemand in meiner Wohnung ist!“

      Sie schob das Uringlas unter das Bett. „Sie dürfen nicht die Toilettenspülung ziehen, wenn ich irgendwo draußen bin…“

      Er rieb sich die geröteten Augen, stützte sich etwas und setzte sich aufs Bett, starrte auf den Boden, als stünde dort das Glas. Sie schwiegen. Elke rang nach Worten, aber sie fand keinen Anfang.

      „Ich habe Kartenspiele“, sagte sie leise, „hätten Sie Lust auf ein Spiel?“ Er strich sich wieder über die Augen und schüttelte den Kopf. „Oder wollen Sie was lesen?“

      Er schüttelte den Kopf. Er habe ja auch ein paar Bücher dabei.

       Rauchverbot

      Das Problem mit der Toilettenspülung hatten sie bald im Griff. Wenn sie wegging, stellte sie die Flasche auf den Klodeckel, so konnte der Alte nicht vergessen, dass die Spülung tabu war, wenn Elke nicht in der Wohnung war. Außer, wenn sie länger außer Haus war, dann musste der Alte selber daran denken, die Flasche wieder auf den Klodeckel zu stellen. Das große Geschäft war offenbar ein seltenes Ereignis, alle zwei, drei Tage, der Alte aß ja auch sehr wenig. Zum Frühstück eine halbe Scheibe Brot, und vom einem Teller Suppe nur ein paar Löffelchen.

      Elke hatte in der einen Woche, da der Alte nun in ihrer Wohnung war, alle Angst vor ihm abgelegt, aber dafür wuchs ständig die Angst vor Entdeckung. Der verschlossene Brief mit dem Schlüssel, den sie Frau Klüber zur Verwahrung gegeben hatte, schien derzeit die größte Gefahr. Plötzlich fiel ihr ein, es war Freitag, Discotag, das hatte sie in der Aufregung ganz vergessen, am Abend würde dieser Jörg kommen, um sie abzuholen. Sie spürte, dass sie gleich laut losheulen musste; sie lief eilig in die Scheune, kauerte sich in die hinterste Ecke, presste ihre Schürze ins Gesicht und wimmerte, bis keine Träne mehr floss. Sie stand auf, klopfte ihre Kleider ab, schaute auf die Uhr. Es war schon nach Fünf, die Klübers waren Gott sei Dank mit dem Auto weggefahren. Sie ging wieder ins Haus. Das Telefon… sie zögerte... legte den Hörer wieder auf. Sie setzte sich ein paar Minuten an den Küchentisch. Dann nahm sie – diesmal ohne zu zögern - den Hörer fest in die Hand und rief Jörg an. Es ginge heute nicht, erklärte sie, ihre Stimme bebte ein wenig; sie müsse wegen einer Familienangelegenheit nach München fahren, und überhaupt habe sie keine Lust mehr zu so einer Beziehung. „Was? Spinnst du?“, schrie es aus der Muschel.

      Sie legte auf, blieb einige Sekunden bewegungslos stehen, nahm den Hörer wieder ab und legte ihn neben das Telefon. Sie atmete heftig, setzte sich wieder an den Tisch und schien zu erstarren. Es mochte eine Viertelstunde vergangen sein, da erhob sie sich vom Tisch, sich mit den Armen stützend, als gehorchten ihre Gliedmaßen nicht. Sie legte den Telefonhörer auf die Gabel und schleppte sich langsam die Treppe hoch. Der Alte konnte nicht in ihrem Zimmer bleiben, aber wo sollte er hin? Was sollte sie ihm jetzt sagen? Er lag auf dem Bett, war aber wach. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm. Lächelte, aber das quälte ihr Gesicht; ihre Haut war wie Pergament. Sie schwiegen; er stützte sich auf einen Ellenbogen, mit der anderen Hand wollte er die ihre fassen, sie streckte sie ihm entgegen, ihr fiel auf, er müsse gekämmt werden – er schaute sie mit seinen entzündeten, wässrigen Augen lange an, bis sie schluchzte, und dabei das Kinn an die Brust zog. Er ließ ihre Hand los. „In zwei Tagen ist alles vorbei“, sagte er mit leiser, aber fester Stimme. „Ich danke Ihnen sehr, Gott schütze sie.“ Wieso in zwei Tagen alles vorbei sein solle, lag ihr auf der Zunge, aber sie sagte nichts, streichelte ihn über die Haarsträhnen, holte einen Kamm und fing an, ihn zu kämmen. Er schloss die Augen und es sah aus, als wäre er sanft eingeschlafen.

      Im Grunde hatte sie

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