Die Wächter. Elisabeth Eder
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Als sie am Sohn des Grafen vorbeikam – einem stattlichen Jungen von etwa siebzehn Jahren – schlug der ihr schamlos auf den Hintern.
Lya presste die Lippen fest zusammen, ignorierte sein übermütiges Gelächter und huschte die mächtigen Stiegen hinauf, die in das Innere der Burg führten. Sie schritt durch einen schmalen, dunklen Seiteneingang und ging vorsichtig eine Wendeltreppe hinab, darauf bedacht, die Teller nicht am Boden zerschellen zu lassen.
Rauch kam ihr auf halbem Weg entgegen. Mit tränenden Augen betrat sie die Küche. Das Scheppern von Töpfen war zu hören, eine Köchin schimpfte gerade mit einem Gehilfen und ein dunkler Schatten huschte an Lya vorbei. Offensichtlich einer der Jungen, der schon wieder Essen stahl. Wenn der Chefkoch das erfahren würde, würde er ihm die Ohren lang ziehen.
Sie schlängelte sich durch den Rauch und zwischen umherlaufenden Köchen hindurch, während ihr die köstlichen Gerüche von gebratenem Fleisch, Kartoffeln und Gemüse in die Nase stiegen, dann erreichte sie einen groben Holztisch mit vielen Kerben und lud die Teller ab. Ein blonder Junge mit roter Nase holte sie hicksend und taumelte bedenklich davon.
Lya schüttelte den Kopf und trat zu einem Silbertablett mit einem gewaltigen Truthahn. Sie nahm es vorsichtig in die Hände und ihr Magen begann zu Grollen vor Hunger. Allerdings durfte sie nichts essen, es sei denn, sie wollte, dass die Köche sie durch die ganze Burg jagten. Irgendwo klirrte es und die Köchin schrie wie auf Kommando los. Offenbar hatte der betrunkene Abwäscher sein Ziel nicht mit heilen Tellern erreicht.
Lya drängte sich hinter einer anderen Magd aus der verrauchten Küche. Sie unterdrückte ein Husten und sog gierig die frische Luft ein, die oben auf sie wartete. Nun konnte sie wieder klar sehen und blinzelte sich die Tränen aus den Augen.
Dann kehrte sie wieder zu den grölenden Feiernden zurück. Einige Kinder hatten einen Obstkorb geplündert und verzehrten ihre Beute in einer dunklen Ecke. Lachende Knappen kamen auf sie zu und vertrieben sie mit Tritten und Schlägen. Angewidert wandte Lya den Blick ab und ging zum Grafen, der gierig auf den Truthahn starrte.
Sie lud ihm vorsichtig auf.
„Mehr! Mehr!“, verlangte er immer wieder. Die Schweißfahne, die von ihm ausging, raubte ihr beinahe den Atem. Der Weingeruch, der ihn in gefühlten fünfzig Metern umgab, machte es nicht leichter, ebensowenig sein Sohn, der seine Hand ständig auf ihrem Hinterteil hielt.
Lya spürte, wie ihr der Geduldsfaden riss. Sobald das kostbare Essen auf dem riesigen Teller des gierigen Grafen gelandet war, drehte sie sich um und verpasste seinem Sohn eine saftige Ohrfeige. Einen Augenblick hielten alle inne und starrten sie an.
Lya holte rasch Luft, während der Junge mit großen Augen zu ihr aufsah. Plötzlich brach er in Gelächter aus. Die anderen stimmten mit ein, bis die Gaukler weitertanzten. Die Musik setzte wieder ein, Lyas Herz schien wieder zu schlagen. Der Junge packte Lyas Arm und zog sie zu sich hinab: „Du hast Feierabend, Elfenbastard! Geh und amüsier dich, bin heute großzügig aufgelegt.“
„Ich danke Euch“, sagte Lya gleichzeitig erleichtert und verwirrt über die Dummheit des Betrunkenen.
Sie legte das Tablett achtlos auf den ohnehin schon überladenen Tisch, dessen Beine gequält ächzten, als einer der Tänzer einen Salto vollführte und wandte sich dem steinernen Tor zu. Auf dem Weg zum Vorhof musste sie sich an den Kindern vorbeidrängen, die sich nun Tomaten geschnappt hatten und auf die wütend schreienden Knappen warfen, die sie quer durch den Hof jagten und an zwei Rittern vorbeischlängeln, die beschlossen hatten, ihre Kräfte im Schwertkampf zu messen.
Der Lärm der Feiernden verebbte, als sie an den Ställen vorbeimarschierte. Die Hunde lagen ruhig in ihren Zwingern und die Pferde fraßen genüsslich ihr Heu. Ein kleiner, schwarzhaariger Stallbursche lief auf sie zu. Es war Clemin, einer der wenigen, mit denen sie sich auf Burg Fuchsenstein verstand. Seine Filzstiefel waren dreckig und sein dicker, allzeit anwesender Wollmantel hatte wieder ein Loch mehr bekommen. Was er damit immer tat, dass er so aussah? War ihm nicht heiß?
„Hallo, Lya!“, rief er und winkte. „Soll ich dir ein Pferd geben?“
„Nein danke, heute nicht. Ich finde alleine zum Dorf“, lächelte sie.
„In Ordnung.“, nickte er. „Sag das nächste Mal einfach Bescheid.“
Lya nickte und schritt zum mächtigen Burgtor. Der Kopf eines grinsenden, gehörnten Wesens ragte ihr entgegen. Sie marschierte an den postierten Wachen vorbei, die an ihren Lanzen lehnten und versuchten, die Augen offen zu halten und trat über die mächtige Zugbrücke.
Die gewaltigen Berge thronten einige Kilometer entfernt zwischen den Hügeln und verbanden Himmel und Erde miteinander, sie ging an einem kleinen Wäldchen vorbei und genoss den Duft der Wiesen und Blumen. Sie sog die herrlich frische Luft ein und wanderte die kleine Straße entlang über die grüne Hügellandschaft, bis die ziegelroten Dächer des Dorfes in Sichtweite kamen. Bienen summten, Vögel zwitscherten und die herrlich duftenden Wiesen gaben Lya ein Gefühl des Friedens.
Egal, ob andere sagten, ihre Sehnsucht nach der Natur wäre eine angeborene Krankheit, die sie als Bastard von ihrem barbarischen Vater erhalten hatte, sie würde den Weg durch die Wiesen immer wieder genießen.
Freudig beschleunigte sie ihre Schritte und genoss gleichzeitig die Eindrücke der Natur, das Summen der Insekten, das Rauschen der Grashalme, das Zwitschern der Vögel und den Duft des Frühlings. Himmelblau, Rosenrot, Dottergelb und Grasgrün sprengten sich ihr vor die Augen. Immer wieder entdeckte sie neue, faszinierende Dinge, die sie bestimmt schon tausendmal gesehen hatte, ihr Herz schien im Einklang mit der Natur zu schlagen –
Etwas knurrte hinter ihr.
Nervös fuhr sie herum und erstarrte.
Ein kleines, gedrungenes Raubtier mit schneeweißem Fell stand ihr gegenüber. Runde, schwarze Flecken musterten es, die scharfen Krallen gruben sich in den Erdboden. Wache, klare Augen starrten sie an und schienen bis in den letzten Winkel von Lyas Seele zu blicken. Die spitzen, gebogenen Zähne hielten eine silberne Kette im Rachen, die das Sonnenlicht kurz reflektierte. An ihrem Ende baumelte ein diamantener Schlüssel.
Einen Moment war sie verwirrt, aber dann begann sie, vorsichtig einen Schritt hinter den nächsten zu setzen. Der Leopard – war es ein Leopard? Sie hatte bist jetzt nur Zeichnungen gesehen und Geschichten gehört – hatte noch immer keine Anstalten gemacht, sie aufzufressen. Lya wertete das als gutes Zeichen und wagte einen größeren Schritt.
Die Raubkatze bewegte sich plötzlich sehr schnell. Lya zuckte zusammen, als sie mit spielerischer Schnelligkeit auf sie zulief. Der Leopard setzte sich wieder vor sie nieder und starrte ihr abermals fest in die Augen.
Fast, als würde er mir etwas sagen wollen … Rasch schüttelte sie den Gedanken ab. Es war nicht der richtige Zeitpunkt zu denken, sie wäre etwas Besonderes. Vielleicht war er von Dämonen besessen oder von den Elfen verzaubert worden. Mit einem Haps könnte er ihren Schädel brechen. Mit angespannten Muskeln betrachtete sie das – zugegebenermaßen edle – Tier vor sich. Nach einer gefühlten Ewigkeit, so schien es, senkte der Leopard sein Haupt und legte die Kette auf den Boden. Dann starrte er Lya wieder an. Diese überwand sich schließlich nach Stunden – oder Minuten? – die Kette mit zittrigen Fingern aufzuheben. Der heiße Atem des Tieres streifte ihr Handgelenk. Rasch zog sie die Kette an ihre Brust. Das Tier starrte sie weiterhin an. Irgendwann erhob es sich und neigte respektvoll den Kopf. Dann verschwand es. Von einer Sekunde auf die andere war es weg. Lya schnappte erschrocken nach Luft und taumelte zurück. Die Vögel stimmten einen fröhlichen Gesang an, die Bienen kamen summend hervor und der Wind rauschte um ihre Ohren, als wäre nichts passiert. Mit