Die Wächter. Elisabeth Eder
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8 Ein Schneeleopard im Wald
Lya sprang rasch in die schützenden Schatten. Dunkle Zweige, Äste und Büsche ragten neben ihr auf. Knurrend sprang sie weiter, zwischen aus der Erde ragenden Felsen umher, an Wurzeln vorbei und über kleine Flüsse.
Irgendwann begann sie zu keuchen. Sie wurde langsamer und betrachtete ihre Umgebung eingehender. Die Wut war längst verflogen, das Gefühl von Hunger und Kälte hatten sich in ihr breitgemacht. Unsicher blieb sie stehen und starrte hinab auf das schlammbedeckte, schneeweiße Fell und die scharfen, schwarzen Krallen. Sie roch Wasser. Nicht den Regen, der gegen das Blätterdach trommelte und den Waldboden feucht machte. Flusswasser.
Die Pfoten des Raubtieres wühlten den Boden auf. Es duckte sich unter Farnen und Kräutern, die seine Haut streiften und unter kleinen, schattenhaften Ästen, die im Weg waren. Die Pfoten hinterließen tiefe, schwere Abdrücke im aufgewühlten Schlamm. Schließlich wurde Lya fündig.
Vor ihr rauschte ein Fluss, der sich tief in den Boden gegraben hatte, dank dem Unwetter allerdings hoch stand. Sie blickte hinein und zuckte zusammen, denn ein schneeweißer Leopard mit blauen Augen blickte ihr entgegen. Die feinen Schnurrhaare standen elegant von der Schnauze ab, die Ohren zuckten nach vorne, als sie sich für ihren Anblick interessieren zu begann und das Fell verschob sich leicht, als sie ihre geschmeidigen Muskeln bewegte, um den Kopf zu senken und mit der Zunge Wasser in ihre ausgetrocknete Kehle zu schöpfen.
Lange kauerte sie auf diese Weise da. Die schwarzen Punkte auf ihrem Fell wirkten wie von Künstlerhand aufgetragen. Allerdings würde das schneeweiße Fell ein Problem darstellen – so war sie für jeden sichtbar.
Dann kam ihr der Gedanke, dass ihre Verwandlung mit dem Wutanfall zu tun gehabt, den sie bekommen hatte. Oder von der seltsamen Erscheinung des Leoparden, der ihr die Kette überreicht hatte. Die Kette!
Sie starrte zu ihrem Fuß. Da war sie, das Lederband hatte sich im Fell ihrer Tatze vergraben, der Diamantschlüssel verschmolz mit dem Weiß der feinen, dichten Haare.
Was sie auf die Frage zurückführte … Warum war sie ein Leopard? Konnte sie wieder Menschengestalt annehmen? Wenn ja, wie? War sie eine Art Hexe, dass sie das konnte? Sie war dafür strafbar, ohne die Erlaubnis des Königs Magie auszuüben … Oder kam das davon, weil ihr Vater ein Elf war und ihr so gewisse Fähigkeiten vererbt hatte?
Lya schüttelte leise den Kopf. Das war nun nicht von Bedeutung. Sie war weggelaufen und würde nicht so schnell auf diese lächerliche Burg zurückkehren. Vermutlich waren dort bereits alle tot. Leid tat es ihr um niemanden. Außer um Clemin. Schlechtes Gewissen überfiel sie, dann wandte sie sich ab und ging zu einem Baum mit dickem Stamm.
Sie benutzte ihre scharfen Krallen, die sich in das Holz bohrten, um hinaufzuklettern und suchte sich einen Platz in der dichten Krone, umgeben von smaragdgrünen Blättern. Lya legte sich in einer bequemen Position hin – soweit man es als bequem betrachten konnte, in einem Leopardenkörper auf einem Baum zu liegen – und ließ ihren Kopf auf den großen Pranken ruhen.
Sie schloss die Augen. Kopfschmerzen überfielen sie, ebenso wie die Müdigkeit von der Aufregung und dem langen Lauf. Schneller, als ihr lieb war, glitt sie in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Tag fand sie heraus, dass es nicht einfach war, von dem Baum wieder hinunterzukommen. Auf allen Vieren glitt sie zum Wasser und senkte den Kopf, um zu trinken. Goldenes Licht fiel zwischen den Bäumen auf den Waldboden und wärmte ihr Fell. Sie streckte sich, wobei sie die Vordertatzen in den Boden grub und gähnte. Sie stellte sich vor, wie die spitzen Reißzähne entblößt wurden und entschied, dass sie einen furchterregenden Eindruck machte.
Lyas Magen grollte.
Was sollte sie essen? Sie hatte ja nicht einmal das Bündel mitgenommen, das ihr Jastia hergerichtet hatte. Ein schmerzlicher Stich überfiel sie. Sie schüttelte die Gedanken ab und konzentrierte sich auf ihre jetzigen Probleme. Essen. Sie brauchte Nahrung.
Wäre sie doch nur ein Mensch! Kaum hatte sie das gedacht, stand sie auf allen Vieren – wie ein Kleinkind – mit blutverschmierter Bluse und grauem Magdrock