Die Wächter. Elisabeth Eder

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Die Wächter - Elisabeth Eder

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ist er ein Wilder! Pass auf, Sylon!“, warnte einer der Männer den, der an vorderster Stelle ging. Offenbar war es der Anführer der ganzen Bande. Knurrend spannte sie ihre Muskeln bis aufs Äußerste an, als der Mann langsam auf sie zuging. Sie fixierte den Speer mit scharfen Augen und starrte dann auf die schmalen Züge des Mannes vor ihr. Eine gebogene Adlernase saß in seinem Gesicht. „Ich bin ein Freund“, sagte Sylon und legte den Speer auf den Boden. Lya hielt überrascht inne und starrte ihn an. Meinte er das jetzt ernst? Wusste er, was sie war? Behutsam trat er näher. Lya fauchte warnend, er ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken. Sie wusste, dass sie nicht weiter zurückgehen konnte, also machte sie sich bereit, zuzuschlagen. Ihr Blick ruhte auf dem schlanken Schwert in der Scheide Sylons. „Pass auf! Der springt dich gleich an!“, riefen die Männer und hoben die Speere zum Wurf. Lya knurrte. Das würde sie gerne, aber nicht Sylon, sondern diese Verrückten! Allerdings wusste sie, dass sie keine Chance hatte. Sie würde den Anführer dieser Männer vortreten lassen müssen. Resigniert schnaubend kam sie ihm ein paar Schritte entgegen, denn dieses langsame Tempo ließ sie nur noch nervöser werden. Vorsichtig ging Sylon auf die Knie und murmelte: „Lass mich zu deinem Hals …“ Das beantwortete Lya mit einem furchterregenden Brüllen. Die Männer zuckten zusammen. Aber Sylon lächelte. „Du verstehst mich, hm? Lass mich mal das Ding an deinem Hals ansehen.“ Mit bitterbösem Blick – der tödlich gewesen wäre, hätte sie nur gewusst, wie solche Dinge gingen, da war sie sich sicher – beobachtete sie, wie Sylon in das dichte Fell griff und plötzlich den diamantenen Schlüssel in den Händen hielt. Hinter ihm hielten die Männer die Luft an. Sylon ließ ihn los und trat verblüfft zurück. „Wir haben lange gewartet … Ich bitte Euch, verwandelt Euch.“ Lya starrte ihn verwundert an. Wieso sprach er sie an, als wäre sie höher gestellt? Was war hier los? Resigniert stellte sie fest, dass sie nun endgültig erkannt worden war. Leugnen half nichts. Mensch … Aufrecht stand sie da, das kühle Prickeln der Luft war erfrischend und angenehm. Die Männer, die die Speere hielten, senkten sie augenblicklich und starrten Lya ungläubig an, aber sie hatte sich diese Reaktionen vorgestellt, wenn sie ihre wahre Gestalt zeigen würde. Seltsamerweise war der Hunger verschwunden. Sie fühlte sich fit, kräftig und sauber, obwohl sie tagelang durch die Berge gestreift war. „Was ist hier los?“, hörte sie sich selbstbewusster, als sie sich fühlte, fragen. Es war angenehm, wieder zu sprechen. Eine Röte überzog ihre Wangen; immerhin hatte sie die Männer glauben lassen wollen, dass sie ein Raubtier war und sie war kläglich daran gescheitert. Sylon verneigte sich. „Wir haben lange gewartet und sind Eure untertänigsten Diener. Wir Greife leben abgeschieden in den Bergen und haben Neuigkeiten erhofft. Verzeiht uns diese Hetzjagd, meine Königin, aber sie war vonnöten.“ Lya wich zurück. Etwas sagte ihr, dass hier ein ganz fataler Fehler geschehen war. Nervös musterte sie die Männer. Sie schienen nicht verrückt zu sein, wirkten ganz normal, aber lag nicht darin die Gefahr? Schließlich brachte sie heraus: „Ich bin keine Königin.“ Sylon lächelte. „Ihr wisst es nur noch nicht. Aber Ihr tragt den Schlüssel zu den weißen Thronhallen und Ihr seid eine Gestaltwandlerin, die sich in einen Leoparden verwandeln kann. Diese Ehre ist nur den Königen zuteil.“ Sie starrte ihn verständnislos an. Er hatte auf verdrehte Art und Weise sogar Recht – und doch konnte sie es nicht glauben. Einer der Männer – der, der Lya vorhin verdächtigt hatte, eine wilde Bestie zu sein – winkte ungeduldig mit der Hand: „Lass sie das mal verarbeiten, Sylon! Du hast echt eine bescheuerte Art, Leuten ihr Schicksal zu offenbaren! Fliegen wir zurück zum Dorf!“ „Dorf?“, hackte Lya nach. Sylon, der dem Sprecher einen bösen Blick zugeworfen hatte, wandte sich ihr zu und nickte. „Ja. Seit Generationen leben wir hier. Nur die Ältesten konnten sich noch an die Zeit der Könige erinnern, aber letzte Woche ist der letzte auf Phyan geborene gestorben. Wir laden Euch natürlich gerne ein.“ „Das ist ein Missverständnis!“, rief Lya, weil die Dinge sich gerade zu ändern begannen und ihr das überhaupt nicht passte. Sie und Königin! Sie war eine einfache Dienstmagd aus Fuchsenstein, mehr nicht. Allerdings boten sie ihr einen Unterschlupf an. Und wer weiß, vielleicht war der Leopard, der ihr die Kette überreicht hatte, ein Hirngespinst gewesen. Vielleicht bedeuteten die Träume etwas. Lya musterte die Männer. Sollte sie ihnen vertrauen? Doch wieso sollte sie nicht? Sie hielten sie für eine Königin und einer Königin würde man nichts antun. „Also gut“, sagte Lya. „Gehen wir in dieses Dorf und ich höre mir an, was Ihr zu sagen habt.“ Die Männer nickten und verwandelten sich in riesenhaften Greife. Lya zuckte überrascht zusammen und betrachtete die schlanken, gewaltigen Tiere. Einer der Greife flog vor, die anderen warteten. Der Greif, in den sich Sylon verwandelt hatte, war größer als die restlichen Tiere. Er ging in die Knie und sah sie erwartend an. Lya kletterte auf seinen Rücken und hielt sich zögerlich am goldenen Nackenfell des Wesens fest, als Sylon sich erhob und kräftig mit den Flügeln schlug. Er sprang in den Himmel und Lya klammerte sich panisch an das Fell. Der Boden wurde immer kleiner, während sich Sylon in den Himmel schraubte. Die restlichen Greife umringten sie und boten ihr einen Anblick majestätischer Tiere, die durch die Lüfte glitten. Die Landschaft raste unter ihnen vorbei. Sie betrachtete die dichten Wälder und die gewaltigen Zacken der Berge. Kalte Höhenluft peitschte ihr entgegen. Alles wirkte kleiner und dennoch hatte man einen großen Überblick. Sie flogen an Wäldern, Wiesen, gigantischen Felswänden, Flüssen und Tälern vorbei. Schließlich kamen sie in eine enge Schlucht. Die Greife glitten im scharfen Sturzflug hinab. Der Wind pfiff um Lyas Ohren. Sie streckte vorsichtig eine Hand aus und streifte mit ihren Fingerkuppen einen kleinen Ast, der tapfer auf den kalten Felsen wuchs und sogar einige grüne Blätter hervorgebracht hatte. In einem kleinen, länglichen Tal mit durchrauschendem Fluss, das sich hinter der langen Schlucht befand, standen viele kleine Häuschen, die aus Steinen aufgeschichtet und mit Strohdächern bedeckt waren. Dichter Rauch waberte darüber. Frauen, Männer und Kinder standen davor und starten hinauf. Mit dem ohrenbetäubenden Kreischen eines Adlers landete Sylon und Lya sprang auf den Erdboden, der mit Steinen gesprenkelt war. Totenstille hatte sich über die Menge gesenkt. Unsicher blickte sie sich um. Ein Kind lief vor und starrte sie mit großen, bewundernden Augen an. Die Menschen kamen langsam näher; ihnen war, als befänden sie sich in einen wunderbaren Traum. Und plötzlich fingen sie an zu Klatschen. Die Männer stießen ihre Fäuste in die Luft oder hoben ihre Kinder auf die Schultern, damit sie besser sehen konnten. Die Frauen klatschten und lächelten selig. Überall drangen Jubelrufe aus der Menge, einige Kinder johlten und schrien. Sylon schob sie vor und Lya fand sich zwischen freudenstrahlenden Gesichtern wider. Ihre Hände wurden geschüttelt, hie und da gab es eine herzliche Umarmung und ein paar alte Frauen weinten gerührt. Sylon selbst lächelte wie ein Kind, das sich über ein besonderes Geschenk freut und legte Lya eine Hand auf die Schulter, um die neue, verwirrte Königin zwischen den Jubelnden durch die Straßen zu ihrem Wohnhaus zu führen, während der Zug der Menschen sie feiernd begleitete.

       9 Erwachen

      Hitze brannte wie Feuer in Kais Wangen, in seinem Nacken, an seiner Stirn. Helles Licht blendete ihn.

       Wo war er?

       Er hatte den Jamky überquert, war bis zum letzten Ausläufer des großen Flusses geritten, hatte in einem Dorf Essen und einen Trinkschlauch gekauft und war in die heißen Steppenländer geritten. Danach konnte er sich an nichts mehr erinnern.

       Stöhnend öffnete er die Augen.

       Er lag in einem hellen Zelt. Eine Feuerstelle befand in der Mitte, darum lagen vier Schlafmatten aus Stroh. Waffen lehnten aufrecht in einer Ecke und einige Körbe voller Brot, Fleisch und Obst standen daneben.

       Alles in ihm brannte. Er drehte sich um und fand eine kleine Tonschale neben sich, in der eine klare Flüssigkeit schwappte. Gierig griff er danach und schüttete das Wasser in sich hinein.

       „Du bist zu dir gekommen.“

       Kai fuhr zusammen. Ruckartig setzte er sich auf. Ein braunblonder Junge mit einer langen, schwarzen Tunika und Langbogen war hereingekommen. Ihm folgte ein Zweiter, der ihm bis auf eine Narbe am Kinn wie ein Spiegelbild glich.

       Sie legten ihre Köcher mit den Pfeilen und die Langbögen ab, dann schlüpften sie aus den Tuniken, unter der sie helle, ockerfarbene

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