Die Wächter. Elisabeth Eder

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Die Wächter - Elisabeth Eder

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zu, dann ging er und kam kurze Zeit später mit mehreren Waffengürteln und einer schmalen, langen Klinge zurück. Erich und Niono murmelten weiter und versuchten, sich zu entscheiden, wie sie die Sache mit den Lanzen klären sollten, während Sylon Lya die verschiedenen Gürtel probieren ließ.

      Den Rest des windigen Tages verbrachte Lya damit, ihren Rucksack mit Seife, Nahrungsmitteln, einer selbst geflickten Schlafmatte und anderen nützlichen Dingen vollzustopfen. Sylon brachte ihr einen kleinen Dolch, der selbst ohne den Einfluss von Sonnenlicht gefährlich funkelte. Lya steckte ihn in ihren Waffengürtel und blickte dann auf. Das Dorf war bereit zum Aufbruch. Die Karren waren geladen, die letzten Mahlzeiten gegessen, die Häuser von einigen betrauert und die Waffen geschärft worden. Die Kinder waren in dicke Stoffmäntel gehüllt, die Frauen trugen Decken um ihre Schultern und die Männer hielten die Zügel der Pferde und Esel.

       Alle sahen sie an.

       Lya spürte, wie sie nervös wurde. Sollte sie etwas sagen? Was erwarteten sie von ihr?

       „Äh …“ Sie verschluckte sich an den nächsten Worten, räusperte sich verlegen und hob die Stimme, um – hoffentlich – eindrucksvoll zu klingen: „Eine lange Reise wartet auf uns. Einige werden sich durch den riesigen Gebirgszug schlagen, um nach Osten, zur Grenze des Elfenreiches zu gelangen. Ich werde mit sechs Kriegern aufbrechen, damit die restlichen Stämme der Wächter vereint werden. Wir werden suchen, bis wir gefunden haben. Wir werden kämpfen, wir werden Verluste ertragen und selbst wenn ich die Einzige Überlebende bin: Ich werde die anderen Stämme finden und zum Elfenreich führen!“

       Lya erschrak, denn je länger sie redete, desto ernster klang sie und desto entschlossener wurde sie. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Langsam atmete sie aus, als die Menge sich mit wildem, entschlossenem Lächeln teilte und zu ihren Karren und Kutschen strömte.

       Sylon kam auf sie zu und grinste: „Das war sehr gut, Majestät.“

       Sie zuckte mit den Schultern, denn sie wollte sich darüber keine Gedanken machen. Sie hatte Angst. Angst vor dem, was sie gesagt hatte. Denn wenn es stimmte, wenn sie alleine übrig blieb, was sollte sie dann tun? Sie wusste zwar ungefähr, wo sich die Dörfer befanden, doch trotzdem würde es schwierig werden, sich im Alleingang durch Cinta zu schlagen.

       Erich, Niono, Java, Rosali, Alma und Sylon nahmen ihre Rucksäcke. Rings um sie verließen die Menschen schweigend das Dorf, ihre Lasttiere schnaubten. Die Dunkelheit verschlang die leeren Häuser. Der Wind pfiff zwischen den Straßen und heulte in die Häuser.

       Sie bemerkte die anderen, zuckte zusammen und eilte zu Rosali, Java und Alma, die die Rucksäcke in große Säcke gestopft hatten und diese mit einem Seil verbanden, um sie Erich und Niono umzuhängen, die die Gestalten der Greife angenommen hatten. Orangenen Augen leuchteten in der Schwärze. Lya lächelte, als sie Sylon erblickte. Er war es gewesen, der sie vor dem Razzor gerettet hatte. Das würde sie nie vergessen, auch wenn sei noch so genervt von ihm war.

       Als die Arbeit getan war, kletterte Lya auf Sylons Rücken. Flügelschlagen und unruhiges Scharren sagten ihr, dass die Frauen ebenfalls ihre Greifengestalt angenommen hatten. Sie hatte gerade noch Zeit, ihre Finger ins Nackenfell von Sylon zu krallen, als er sich mit einem gewaltigen Stoß vom Boden erhob.

       Während er die Flügel ausbreitete, stieß er ein schrilles Kreischen aus, in das die anderen Greife einstimmten. Lya wurde durchgeschüttelt, bis Sylon an Höhe gewonnen hatte und lautlos durch die Nacht segelte, an den riesenhaften, dunklen Bergen vorbei und an dem schattenhaften Zug, der von einzelnen Lichtpunkten durchsetzt wurde.

       Vor Lya riss die Wolkendecke auf. Sie zuckte zusammen, weil es so plötzlich geschah. Silbernes Mondlicht regnete auf sie herab. In dem Moment verschwamm alles vor ihren Augen und eine Stimme, die auch der Wind hätte sein können, flüsterte ihr zu: Gut gemacht … Finde deine Bestimmung, Königin Lya. Lass Gnade walten und töte, wenn es getan werden muss. Sei wachsam und folge deinem Herzen … Sylon glitt in den nächsten Schatten und raste auf den Ausgang des Tales zu. Verzweifelt sah sie nach hinten. Das Mondlicht beleuchtete das Geisterdorf und für kurze Zeit bildete sie sich ein, zwei Gestalten Hand in Hand auf dem Hauptplatz, bei dem sie eben noch geschnitzt hatte, zu sehen, aber als Java, deren Fell schon grau war, wild kreischte und die anderen Greife in das Geschrei einfielen, waren die Gestalten verschwunden. Lya schluckte und richtete den Blick nach vorne, in die Dunkelheit, zu den hoch aufragenden Bergen. Der eiskalte Nordwind heulte durch die Nacht, riss an Kleidern, Fell und Haaren und wirbelte den staubhaften Schnee auf den Gipfeln auf.

      Im Morgengrauen landeten die Greife auf einer verlassenen Wiese. Lya sprang rasch von Sylon und half den Frauen mit gefrorenen Fingern und müden Augen dabei, Niono und Erich von den Säcken zu befreien. Sie holten ihre Rucksäcke, legten ihre Schlafmatten auf und schliefen rasch ein.

       Lya wurde am Nachmittag durch ein leises Geräusch geweckt. Sie blickte auf und direkt in die Augen eines Fuchses.

       Erschrocken starrte sie ihn an. Langsam richtete sie sich auf und verlor ihre Furcht. Ihr rasendes Herz beruhigte sich wieder und sie streckte die Hand aus, um das Tier zu streicheln, aber es wich zurück. Seufzend stand sie auf und sammelte im dunklen, taufeuchten Wald einige große Gesteinsbrocken. Sie holte trockene Zweige aus ihrem Rucksack und entfachte ein kleines Feuer, über dem sie mitgenommenes Fleisch briet. Der Fuchs war inzwischen wieder verschwunden und der Geruch des gebratenen Fleisches erfüllte die Luft der Lichtung.

       Davon wurden Sylon, Erich und Niono wach.

       „Habt Ihr auch was für mich, Königin?“, fragte Erich und kroch näher ans Feuer.

       „Oder für mich?“ Sylon setzte sich nieder und beäugte das Fleisch.

       „Für dich gibt es erst etwas, wenn du Beeren gesammelt hast“, murmelte Alma verschlafen und richtete sich mit zerzausten Haaren auf.

       Dann blickte sie zu Lya: „Danke. Eigentlich wollte ich dir das Jagen beibringen und Sylon sollte“ Hier warf sie ihm einen warnenden Blick zu, der keinen Widerstand duldete „dir mit dem Schwertkampf weiterhelfen. Außerdem werde ich dir etwas über die Sitten der Phyaner erzählen. Wir müssen dich zu einer Kriegerin und einer feinen Adeligen erziehen, bis du in die Prärie kommst.“

       „Zu den Tigern?“

       Alma nickte und rappelte sich auf. „Nach dem Essen fangen wir an“, bestimmte sie, während sie in ihrer Tasche nach einer Bürste kramte.

       Lya lehnte sich zurück und starrte müde auf den strahlend blauen Sonnenhimmel. Also würde ihr das Lernen auch nicht auf dieser langen Reise erspart bleiben.

      Sie brauchten zwei Tage, bis sie aus den Wäldern kamen. Sie reisten immer nachts, damit verirrte Wanderer sie nicht sahen. Lya verbrachte die Nächte damit, sich an Sylons Fell zu klammern und zu hoffen, nicht einzuschlafen, während sie mit Kälte, Hunger und Erschöpftung rang. Die einzigen Hoffnungen waren die Sterne, die ihr golden zublinzelten und der sanfte, silberne Mond.

       Am Tage schlief sie bis zur Mittagszeit, dann weckte sie Sylon und übte mit ihr.

       Mittlerweile waren sie zu echten Schwertern übergegangen, sodass Lya mit dem irritierenden Gewicht und der Angst, demnächst aufgeschlitzt zu werden, kämpfen musste. Nach dem Essen streifte Alma mit ihr durch den Wald, zeigte ihr Spuren von Tieren, giftige Pflanzen, wie man Fallen stellte, welche Verteidigungsmöglichkeiten gegen Wildschweine und Bären bestanden und allerlei andere Dinge, die Lya sich erst nach mehrmaligen Widerholen merkte, weil ihr Kopf schon von den vielen Informationen, die Alma ihr zuwarf, zu platzen drohte. Lya musste auf Bäume oder deren Früchte schießen und verfehlte anfangs ihr Ziel um Meter, allerdings bekam sie ein Gespür dafür und Alma behauptete, dass sie ein Talent dafür hatte. Trotzdem traf sie die eigentlichen Ziele nie.

      

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