Die Wächter. Elisabeth Eder
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Rabenkopf lachte leise.
Kai wand sich unruhig, aber der Griff des Riesen verstärkte sich dadurch nur noch mehr. Sie steuerten rasch von der Hauptstraße ab und kamen in eine kleine Nebenstraße, die kaum belebt war. Kai bekam von all dem nichts mit. Er roch lediglich den Urin, die Müllhaufen und das nasse Holz.
„Wohin bringst du mich?“
„Wirst du schon noch sehen“, knurrte Rabenkopf, dessen falsche Freundlichkeit endgültig abgefallen war. Kai biss sich auf die Lippe. „Wage es ja nicht, zu fliehen. Du weißt, dass es nicht gut ausgeht. Für dich.“
Jahrelange, schmerzhafte Erfahrungen hatten dem Jungen immer wieder deutlich gemacht, wie richtig Rabenkopf mit diesen Drohungen lag. Angst wallte in ihm auf und er senkte kaum merklich den Kopf.
Die abgerissenen Häuser, bei denen sie sich befanden, stapelten sich hoch in den Himmel, sodass die Gasse im Dämmerlicht lag. Nicht einmal mehr die Ratten huschten aus den dunklen Ecken davon und der Gestank war so bestialisch, dass Kai befürchtete, demnächst über eine Leiche zu stolpern.
Plötzlich blieb Rabenkopf stehen und einen Moment später wurde Kai an der Brust von einer starken Hand an die Mauer gepresst.
Die kalten Augen seines Gegenübers musterten ihn misstrauisch: „Ich weiß nicht, wo ihr kleinen Bastarde euch versteckt, aber Brimir hat’s herausgefunden. Er will, dass du am Abend zu ihm kommst.“ Der Junge rollte mit den Augen und erwiderte den Blick des Mannes trotzig.
Rabenkopf gab ihm eine gepfefferte Ohrfeige, die Kai beinahe den Boden unter den Füßen wegzog. „Du sollst erscheinen, Kleiner.“
„Hab ich schon gehört“, fauchte Kai, aber seine Stimme zitterte leicht und seine Wange pochte unerträglich.
Ein dreckiges Grinsen zierte Rabenkopfs Gesicht. „Du wirst doch nicht etwa Angst haben?“
Er hob die Hand und schlug dem Jungen kräftig ins Gesicht. Kai biss sich auf die Lippen vor Schmerz, aber kein Laut drang aus seinem Mund.
„Die Tatsache, dass ich dich gefunden habe, ändert einiges an den Umständen, findest du nicht?“ Rabenkopf schlug Kai mit eisenharter Faust auf die Wange. „Ich hab dich was gefragt!“
„Vermutlich“, keuchte der Dieb.
„Vermutlich?!“ Mit wutverzerrtem Gesicht prügelte der Mann auf Kai ein. Als er aufhörte, hing Kais Kopf kraftlos herunter. Haarsträhnen verdeckten seine Augen. Sein Atem ging keuchend, flammender Schmerz fuhr ihm über die Wangenknochen. Seine Lippe blutete vom ständigen Hineinbeißen, aus einer Wunde über der Augenbraue floss eine heiße Flüssigkeit über seine Augen und machte das Sehen schwer. „Lass mich gehen …“ „Das denkst du wohl selber nicht, du kleine Ratte!“, grinste Rabenkopf über ihm. Er packte grob sein Kinn und zwang Kais Kopf nach oben. „Jämmerlich.“ Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit brodelten in ihm. Er unterdrückte Schmerzenstränen und starrte den Mann über sich an, der sein Leben schwer machte, es sogar noch tat, wenn er nicht mehr in seinem Einflussbereich stand. Obwohl es jetzt schlecht aussah, was das anging. „Verschwinde, Rabenkopf!“ Er war sich nicht sicher, ob den Mann schon einmal jemand so genannt hatte. Klatsch. Die Ohrfeige landete sauber auf seiner Wange. Kais Kopf flog herum. Keuchend zwang er sich, in die dunklen Augen zu sehen. „Ich werde dich zu Brimir bringen, Kleiner“, sagte Rabenkopf hämisch und das Tattoo an seiner Stirn schien zu leuchten. „Der wird sich freuen.“ Der Mann packte ihn grob am Oberarm und zerrte ihn weiter. Kai stolperte, fiel auf die Knie und landete mit einem flappenden Geräusch im Matsch. Rabenkopf gab ihm einen Tritt, der ihn von den Knien riss und quer über den Boden legte. „Steh auf, Missgeburt!“, knurrte der Mann und fuhr fort, den Körper des Diebes mit Tritten zu traktieren. „Nimm das Geld“, stöhnte Kai. Die Tritte hörten auf. Mit einiger Anstrengung gelang es Kai, sich auf den Rücken zu drehen und sich aufzusetzen. Rabenkopf kniete sich nieder, sodass er mit ihm auf Augenhöhe war. Kai erwiderte seinen Blick, obwohl sein Herz ihm beinahe aus der Brust sprang und er nichts mehr wollte, als zurückzuweichen. Er sagte ruhig: „Brimir wird es mir abnehmen. Ich werde ihn heute Abend sowieso sehen. Er wird dir nichts geben. Du kannst es jetzt nehmen und damit verschwinden. Niemand wird davon erfahren.“ „Wieso sollte ich es nicht an mich nehmen und dich dann Brimir ausliefern?“, fragte Rabenkopf gehässig. Kais Augen blitzten kurz triumphierend auf. „Weil ich es ihm dann erzählen werde. Und du weißt, wie er auf diese Dinge reagiert.“ Rabenkopfs Blick verfinsterte sich. Kurz huschte Angst über seine Züge, aber er hatte sich rasch wieder unter Kontrolle. Dann streckte er abwartend die Hand aus: „Los, beeil dich gefälligst, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, kleiner Mann!“ Kai löste die Geldbeutel von seinem Gürtel. Einer nach dem anderen landete in den Pranken des vor ihm Knieenden. Schließlich erhob sich Rabenkopf und gab Kai einen gezielten Tritt auf den Brustkorb. „Wenn du nicht kommst, dann holen wir dich!“ Der Junge kam hart auf der Erde auf, die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, aber er gab keinen Laut von sich, sondern lauschte, wie sich Rabenkopfs stampfende Schritte entfernten. Der Geschundene lag mit schmerzenden Knochen im Schlamm und lächelte. Er war Brimir ein weiteres Mal – anders als sonst – entkommen.
3 Nächtliches Vorhaben
„Du bist Brimir begegnet!“, rief Ania aus, als sie Kai erblickte.
„Nein“, knurrte er.
„Wem sonst? Rabenkopf?“
„Er ist mir begegnet“ Grimmig bahnte er sich einen Weg durch die Jungen und Männer, die dabei waren, Kisten von einem Quartier ins Nächste zu schleppen. „Habt ihr was gefunden?“
„Ja. Ein paar Straßen weiter, unbewohnt“, sagte einer der Jungen stolz. „Wir sind schon fast mit allem fertig.“
Kai schritt zur Stiege und stieg die knarrenden Treppen hinauf. „Gut. Macht schnell weiter, beeilt euch. Ich komme gleich nach.“
„Sollen wir deine Wunden heilen?“, bot Exoton an, der lange Blicke mit seinen Männern getauscht hatte. Aber Kai schüttelte den Kopf und ging mit raschen Schritten in sein kleines Zimmer. Er rollte seine Schlafmatte zusammen, kramte einen Beutel hervor und füllte ihn mit seinen Messern, kleineren Schätzen, die er noch nicht verkauft hatte und anderen Diebeswerkzeugen. Er marschierte zur Waschschüssel und tauchte seinen ganzen Kopf ein.
Angenehme Eiseskälte legte sich über die Wunden in seinem Gesicht. Als er auftauchte, fühlte er sich frisch und wach, beinahe richtig ausgeruht. Sogar sein Hass auf Rabenkopf war fast vollständig verraucht. Dann ging er zu einer kleinen Kommode in der Ecke und zog die erste Schublade auf.
Darin befand sich ein Lederarmband, in dem kleine Wellenmuster eingeflochten waren. Vorsichtig nahm er es aus dem morschen Stück Holz und drückte es an seine Brust. Er schloss die Augen und meinte kurz, den Geruch von Salzwasser wahrzunehmen, das Rauschen des Meeres zu hören. Möwenkreischen, das Gelächter von Kindern hallte über das Wasser. Ein sandiges Ufer formte sich vor seinen Augen.
Lächelnd ließ er es in seinen Beutel gleiten. Dann schulterte er ihn und kehrte zurück zu den anderen, um das neue Diebesquartier mit ihnen zu beziehen.
Das Haus hatte einen Keller, in dem sich mehrere Kohlen befanden. Sie hatten einiges zu tun, die Kisten hinab zu schleppen, aber nach schweißtreibender, anstrengender Arbeit war es erledigt. Keuchend lief Kai die Stiegen hinauf in den normalen „Wohnraum“, wo die Diebe sich schon ihre Schlafstätten eingerichtet hatten.
Im obersten Stock wohnte natürlich er. Kai warf seinen Beutel in die