Schlampe, Opfer, Schwein.. Norma Rank
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Bisher habe ich nur die Abteilung der Planungsvorstufe eingehender beschrieben, aber in Wirklichkeit beschäftigte „K-Messe“ als mittelständisches Unternehmen insgesamt 28 Mitarbeiter. Die Aufgaben verteilten sich über Messebau, Kundenkontakte und diverse Planungsstellen. Ging man durch den Innenhof zur Werkstatt, traf man die Produktioner an, die ihre Tage mit Sägen, Schweißen und Verleimen verbrachten.
Das war grundsätzlich keine schlechte Sache. Und welche Frau hat nicht schon mal insgeheim über ein Stelldichein mit einem Blaumann nachgedacht? Wenn auch nicht unbedingt originell, galt das immerhin als eine der erotischsten Fantasien überhaupt – rein hypothetisch.
Trotzdem kam es natürlich darauf an, wer und was in so einem Blaumann steckte, und Christoph, der sein Geld als Schreiner verdiente, ähnelte nun nicht gerade dem Archetyp. Stattdessen war er kleinwüchsig, von der Statur her eher untersetzt, trug einen Vollbart und hatte viel zu dichte Augenbrauen, die sich bis über die Nase kräuselten. Mit einem optischen Überflieger gab es demzufolge keinerlei Übereinstimmungen.
Dazu gesellten sich charakterliche Merkmale, die ihm hin und wieder erheblich im Wege standen. So nahm er sich nicht nur im Job ziemlich wichtig, sondern bei praktisch allen Dingen, auch wenn sie ihn nichts angingen. Außerdem petzte er leidenschaftlich gerne. Wenn etwas schief ging, galt es demnach tunlichst zu vermeiden, dass er davon Wind bekam, denn er nutzte jede Info sofort, um sie an Gerlinde weiterzuleiten, der er mit Vorliebe in den Allerwertesten kroch.
Somit gliederte er sich in die Kategorie der Schattenparker ein, und man betrachtete ihn als Mitläufer, der kontinuierlich nach Bestätigung suchte. Ständig verwendete er das Wort „knuffig“, und auch seinen Enthusiasmus für Mittelaltermärkte teilte in der Firma niemand.
Wertfrei betrachtet, tat er mir fast ein bisschen leid, weswegen ich ihm freundlich begegnete und großzügig darüber hinweg sah, was für ein Waschweib er war. Von seiner Geschwätzigkeit abgesehen, konnte ich ihn zunächst sogar ganz gut leiden. Als Kumpel!
Irrtümlich nahm ich an, dass Christoph ebenso wenig von mir wollte wie ich von ihm, und hatte keine Ahnung, dass hier etwas mehr Vorsicht von Nöten gewesen wäre.
Was ich ebenfalls nicht wusste: Er liebte die Frauen. Nicht etwa Blonde oder Brünette, sondern alle, die einen Puls hatten und nicht bei drei auf dem Baum waren. Aber ich war immer noch die Neue, und sein umstrittener Ruf hatte mich noch nicht ereilt, weswegen mein Unwissen zu einem fatalen Missverständnis führte.
Passiert ist Folgendes: Christoph, der zufällig mitbekam, dass ich zwischen Feierabend und einem Kinobesuch mit Freundinnen etwas Leerlauf hatte, lud mich auf einen Drink ins „Tattenbach“ (eine nahegelegene Kneipe) ein. Ich wertete das als nette Geste, ohne mir weiter etwas dabei zu denken, und da ich ihm das Gleiche unterstellte, sagte ich arglos zu.
Selbst als Mark mich an diesem Tag kopfschüttelnd verabschiedete und giftig meinte: „Was willst du denn mit dem kleinen Säufer? Der Wicht ist doch hinter jedem Rock her!“, war ich noch nicht gewarnt. In meinen Ohren klang es vielmehr wie ein Spaß, eine belanglose Stichelei, denn dass Christoph nicht zu seinen engsten Freunden zählte, war kein Geheimnis.
Was Mark jedoch konkret mit „Säufer“ meinte, brachte ich dann relativ schnell in Erfahrung – es war genau 18:00 Uhr, als Christoph sein erstes Weißbier orderte.
Bei milden Temperaturen saßen wir uns in der Abendsonne an einem kleinen runden Holztisch gegenüber, außerhalb des Lokals in einer unbefahrenen Seitenstraße, mehr oder minder auf dem Gehweg. Eigentlich sehr idyllisch. Die Vögel zwitscherten, und die Menschen um uns herum wechselten gerade vom Arbeits- in den Freizeitmodus.
Wir schauten der engagierten Bedienung dabei zu, wie sie erst die Tischplatte mit einem Lappen säuberte und im Anschluss eine winzige mir unbekannte Topfpflanze darauf stellte. Kaum einen Augenblick später eilte sie mit unseren Getränken herbei, dabei erwiderte sie mein Lächeln aufgeschlossen, während sie Christoph eher ignorierte. Dieser Umstand wunderte mich zwar ein bisschen, beschäftigte mich aber nicht weiter. Müde vom Tag freute ich mich stattdessen auf meinen Kaffee, der nach frisch gemahlenen Bohnen roch und den Koffeinschub versprach, den ich mir erhoffte. Entspannt lehnte ich mich zurück und harrte der Dinge, die da kommen würden, bis mir bewusst wurde, dass mein Begleiter sich benahm, als wäre er am Verdursten.
Staunend sah ich dem Zwerg dabei zu, wie er das Bier in seinen Rachen kippte, als hätte er ein Loch im Bauch. Der Zucker in meiner Tasse hatte sich noch nicht aufgelöst, als Christoph bereits lauthals Nachschub verlangte. Die enorme Geschwindigkeit, in der er sich betrank, war wirklich verblüffend, und ich überlegte, ob das für eine Anmeldung bei „Wetten dass ...?“ reichen würde. Schaumreste hingen in seinem Bart, was den Grad seiner Attraktivität nicht unbedingt steigerte, weswegen – ich um Ablenkung bemüht – versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen.
Jammerschade, auch hier: Fehlanzeige. Spannendes hatte er nicht zu berichten, nur eine zusammenhanglose Brühe, die meine Ohren strapazierte. Selbst der ausschweifende Monolog über seine Großmutter, die ihre Inkontinenz mit frischen Pfifferlingen behandelte, ödete mich bald an.
„Zu den Pilzen gibt es immer ganz leckeren Schweinebraten, und sie ist für ihr Alter ja noch sooo knuffig!“ Davon abgesehen, dass ich eine Kombination von Pilzen und Schweinebraten pervers fand, drängte sich mir die Frage auf, ob es einen Ödipus-Komplex zweiten Grades gab oder ob mein Kollege nur vollkommen durchgeknallt war.
Während ich einer vorbeilaufenden Frau mit ihrem Hund hinterher sah, der Ähnlichkeit mit einer überdimensionalen Heuschrecke hatte, kämpfte Christoph eisern mit dem Inhalt seines dritten Weißbieres. Wann hatte er sich das bestellt? Er musste es heimlich getan haben, um genau 18:47 Uhr, als ich mir mit Hilfe eines kleinen Taschenspiegels die Lippen nachgezogen hatte.
Nachdem dann auch noch seine Finger wiederholt nach meinen Händen grabschten und seine Geschichten anfingen, mich ernsthaft zu langweilen, entschloss ich mich, die Zelte schleunigst abzubrechen. Dabei fiel mir das Verhalten der Bedienung wieder ein, und ich begriff, dass Christoph nicht zum ersten Mal Gast im „Tattenbach“ war. Ich zahlte und gab ihr ein sattes Trinkgeld, während mich mein Gegenüber mit ebenso schlüpfrigen wie niveaulosen Komplimenten zum Bleiben bewegen wollte. Aber so nötig hatte ich es de facto nicht! Wo kämen wir denn da hin?
Frühmorgens zitierte Mark mich am nächsten Tag zu sich, und seine Frage nach dem gestrigen Abend – die sich etwas gepresst anhörte –traf mich unvorbereitet. Dabei wollte er ebenso wenig über den Film sprechen, den ich mir mit ein paar Mädels angesehen hatte, wie über das Foto, das via Radarfalle kurz vor Mitternacht von mir gemacht wurde.
„Wie hat sich Christoph verhalten?“, hakte er präzise nach und bohrte so lange weiter, bis ich ihm Rede und Antwort stand. Als hätte ich eine Beichte abzulegen, erstattete ich Bericht. Mark reagierte – zu meinem völligen Unverständnis – überraschend aufgebracht. Allerdings merkte ich schnell, wie sehr ihm mein Kontakt mit Christoph missfiel, wusste aber nicht weshalb, zumal das Szenario zwar unangenehm, aber ansonsten belanglos gewesen war. Und was ich in meiner Freizeit tat, war allein meine Entscheidung! Was kümmerte ihn also mein Privatleben? Und warum hörte er nicht auf, mich auszuhorchen?
Um das Thema abzuschließen, meinte ich irgendwann betont sachlich: „Sorry, Mark, aber das geht dich alles nun wirklich nichts an!“
Was wollte er? Und warum verhielt er sich plötzlich wie ein Rüde, der sein Revier markiert? Ich kam nicht dahinter. Ging es dabei vielleicht gar nicht um Christoph, sondern um mich?
Das entzog sich nun wirklich meinem Anschauungsvermögen! Selbst wenn ich mein Spiegelbild ganz genau betrachtete, fand sich darin