Emilie. Angela Rommeiß
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Da wurden die Kirchentüren aufgestoßen. Die ersten Bewerber trafen ein. Frau Lehmann erschien mit den Kindern in der Kirche. Wilhelmine, die von dem Gespräch mit Viktor noch ganz benommen war, drückte die Kleinen an sich und nahm Emilies Hand. Herr Schenker, der Primar, kam freundlich auf Wilhelmine zu und machte sie mit einem Bauern bekannt. Der Mann hatte seinen Schnurrbart gezwirbelt und trug eine Blume im Knopfloch. Im Hintergrund sah Emilie noch einige Herren stehen, die die Mutter interessiert betrachteten. Was waren das für Männer? Frau Lehmann kam jetzt wieder auf sie zu und führte die Kinder geschickt und unauffällig von der Mutter weg. Warum wirkte die Frau so nervös?
Draußen stand ein Bauer mit seiner Ehefrau. Hinter ihnen drängten sich fünf kleine Mädchen. Sie sahen alle gleich aus und waren offenbar jeweils nur ein Jahr auseinander. Der Mann klopfte Jacob auf die Schulter und betrachtete ihn mit Wohlgefallen.
„DAS ist ein Junge, ein Prachtjunge!“, erklärte er laut. Seine ausgemergelte Frau lächelte säuerlich.
Emilie blickte sich um und sah Selma auf dem Arm einer Frau. Sie war noch jung, auch ihr Gatte, der neben ihr stand und Eduard auf dem Arm trug, konnte kaum dreißig sein. Die Frau hatte glückliche Augen und stellte dem Kind Fragen. Wenn Selma etwas antwortete, lächelten die Erwachsenen und sahen sich an. Anscheinend ein kinderloses Ehepaar. Was wollten sie mit den Zwillingen? Etwa mitnehmen?
Paula schwatzte mit einer dicken Frau, die sich zu ihr niedergebeugt hatte.
„Bist du aber dick!“, hörte Emilie Paula sagen. Der Mann und der ältere Junge, die hinter der Frau standen, grinsten breit. Ärgerlich richtete die Dicke sich auf.
„Na, dir werd ich die Frechheiten schon noch austreiben, mein Fräulein!“, schnaufte sie. Wie meinte sie das? Frau Lehmann war überall zugegen. Sie wechselte hier ein paar Worte, stellte dort jemanden vor und kam schließlich auf Emilie zu, die still an der Kirchentür stand und das ganze mit immer größerem Unbehagen betrachtete.
„Emilie, mein Kind!“ Frau Lehmann lächelte. „Schau mal, wer dich kennenlernen will!“ Ihre füllige, schwarzgekleidete Gestalt trat zur Seite und Emilie sah einen kleinen, älteren Mann mit einer großen Nase, der zögernd auf sie zu trat.
„Guten Tag!“, sagte er freundlich und streckte ihr eine kräftige, abgearbeitete Hand hin.
„Guten Tag!“, erwiderte Emilie abweisend und ließ die Hand unbeachtet in der Luft hängen. Einen Augenblick starrte sie ihn an, dann drehte sie sich um und lief weg.
Wilhelmine hatte ihre Heiratskandidaten in der Kirche stehen lassen. Sie war in den Wagen geklettert, der mit ihren Habseligkeiten beladen immer noch vor der Kirche stand. Die Pferde waren weg, die Deichseln lagen auf dem Boden. Einsam stand der verlassene Wagen auf der Straße. Schluchzend wühlte die Mutter in Kleidern und Kisten und machte für jedes Kind ein Bündel zurecht. Als sie vom Wagen stieg, stand plötzlich Emilie vor ihr. Vorwurfsvoll und fassungslos schaute die Tochter der Mutter in die Augen. Ein paar lange Augenblicke sahen sie einander an. Emilie wollte Fragen stellen, doch in dem verzweifelten Gesicht der Mutter las sie schon die Antwort.
„Du gibst uns weg!“, sagte sie leise. Tränen schnürten ihr die Kehle zu. Auch über Wilhelmines Gesicht rannen Tränen. Sie sah ihre Tochter fest an und nickte. Sprechen konnte sie nicht. Still trat sie auf Emilie zu und umarmte das Kind.
„Leb wohl, Kleines!“, flüsterte sie. „Es geht nicht anders!“ Weinend hielten sie sich umfangen.
„Ich will aber bei dir bleiben Mama, ich hab dich doch lieb!“, schluchzte Emilie. Die Mutter schüttelte nur den Kopf. Nach einer Weile schob sie ihre Tochter entschlossen von sich.
„Du musst tapfer sein, Emilie! Das müssen wir alle. Auch die Kleinen, obwohl sie es noch nicht verstehen. Du aber bist schon groß. Mein großes Mädchen! Ich war immer so stolz auf dich! Versprich mir, dass du immer so fleißig und gut bleibst! Versprichst du mir das?“ Emilie nickte mit verweinten Augen. Wilhelmine lächelte.
„Wir müssen jetzt da durch - irgendwie! Sie haben freundliche Leute für dich ausgesucht, glaube ich. Du wirst es gut haben.“ Mit aller Kraft versuchte Wilhelmine ihrer Tochter Mut zuzureden - und sich selbst.
Jacob trat hinzu. Seine Mine war starr. Er hatte schon begriffen, worum es ging. Auch er umarmte und küsste die Mutter und nahm sein Bündel entgegen. Auch ihm sagte sie aufmunternde Worte. Jacob umarmte seine Schwester und ging ohne ein weiteres Wort mit gesenktem Kopf zu der Familie mit den fünf Töchtern hinüber, einem arbeitsreichen Leben entgegen.
Da kam Paula heulend angerannt. Sie hatte der dicken Frau auf den Fuß getreten, als die sie züchtigen wollte. Nun flüchtete sie zur Mutter. Es rächte sich jetzt, dass Wilhelmine in den letzten Wochen so nachsichtig mit Paula umgegangen war. Als sie hörte, dass sie mit der dicken Frau gehen sollte, warf sie sich schreiend auf den Boden. Emilie wünschte, sie wäre noch kleiner und könnte das auch machen. Aber ob es etwas nützte? Zusammen mit der Mutter beruhigte sie Paula nur mit Mühe. Während Wilhelmine mit der dicken Frau sprach und sich anschließend von ihren jüngsten Kindern verabschiedete, blieb Emilie wie betäubt am Wagenrad hocken. Das Ganze kam ihr so unwirklich vor wie ein böser Traum. Das Dorf, welches ihr vor zwei Stunden noch so gut gefallen hatte, erschien ihr jetzt trotz Sonnenschein grau und kalt. Als sie ihre von Tränen verschwollenen Augen hob, sah sie in einiger Entfernung den Mann stehen, dem sie vorgestellt worden war. Er stand einfach nur so da und wartete geduldig. Mochte er warten! Jetzt redete er mit dem Primar und nahm einige Papiere entgegen. Es waren immer noch etliche Schaulustige da. Scharen von Kindern drückten sich an den Hausecken herum und gafften. Jeder wollte alles ganz genau mitbekommen. Auch Emilie wurde angestarrt. Der Mann schaute ab und zu ihr hinüber. Er wirkte ruhig und freundlich. Wo war seine Frau? Sollte sie etwa allein bei einem älteren Mann leben? Emilie bekam es mit der Angst. Langsam stand sie auf. Ihre Beine waren schwach und zitterig. Jacob fuhr gerade auf einem Fuhrwerk an ihr vorüber und hob ein letztes Mal grüßend seine Hand. Der Bauer neben ihm wirkte hochzufrieden, als habe er gerade einen günstigen Handel gemacht. Endlich hatte er einen Sohn, der ihm bei der Arbeit im Stall und auf dem Feld zur Hand gehen konnte. Man musste auch nicht jahrelang warten, ehe er dafür groß genug war. Für einen Knecht fehlte ihm das Geld.
Selma und Eduard schienen es nicht schlecht getroffen zu haben. Die Leute waren sehr liebevoll zu den Kleinen. Aber als sie mit den Kindern wegfuhren, schrie Selma plötzlich:
„Mama!“ und streckte beide Ärmchen nach ihr aus. Auch Eduard fing zu weinen an und wollte sich loswinden. Sie riefen immer wieder nach ihrer Mama und ein ums andere mal auch nach Emilie. Die stand hilflos schluchzend am Straßenrand und musste mit ansehen, wie die kleinen Geschwister, um die sie sich seit ihrer Geburt liebevoll gekümmert hatte, von fremden Leuten weggefahren wurden.
Die Mutter war zusammengebrochen und musste von der Pfarrersfrau gestützt werden. Emilie wollte zu ihr hinübergehen, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Wo war eigentlich Paula? Die Schwester war schon weg. Emilie hatte sie gar nicht fortfahren sehen. Ihr kleines, freches Paulinchen! Sie war zwar frech, hatte aber ein gutes Herz. Abends wurde sie immer ganz verschmust und wollte Geschichten erzählt bekommen. Ob die dicke Frau das tun würde? Wenigstens sah es so aus, als sollte Paula bei ihr genug zu essen bekommen. Emilie seufzte. Das Stupsnäschen mit den Sommersprossen würde ihr fehlen! Na, Paula würde bestimmt mit der dicken Frau fertig werden, auch wenn sie dabei selbst einige Rüffel einstecken musste!
Emilie hielt es plötzlich nicht mehr unter den vielen Menschen aus. Der Kummer und die Verzweiflung saßen wie ein schmerzender Klumpen in ihrer Brust. Die Kirchentür stand ein Stück offen, davor drängten sich Leute. Hinter ihren Rücken quetschte sich Emilie durch den Spalt und fand sich in der dämmrigen,