Emilie. Angela Rommeiß
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Auf einmal regte sich Trotz in Emilie. Ihre Zukunft ließ sie sich von niemandem schwarz- reden, die hatte sie immer noch selber in der Hand! Schnell lief sie zum Fenster, streckte der Alten die Zunge heraus, so weit sie konnte, und wandte sich dann zufrieden ab. Der hatte sie es aber gegeben! Nun konnte die Zukunft kommen! Die Mutter rief, es wurde Zeit. Ein neues Leben wartete auf sie. Nach einem kurzen Blick durch den Wohnraum verließ Emilie das Haus und ging zum Wagen, von dem ihr schon fröhliche Gesichter entgegenblickten. Otto Jaske und die Mutter saßen auf dem Kutschbock, zwischen sich hatten sie Eduard genommen, der von den Pferden hellauf begeistert war. Hinter ihnen stand Jacob, zu aufgeregt zum Sitzen. Auf dem Kopf trug er die Pelzmütze des Vaters, die ihm noch zu groß war und ihm immerfort ins Gesicht rutschte. Emilie, Paula und Selma mussten mit Albert Hanemann hinten Platz nehmen, von wo sie auch eine schöne Aussicht hatten. Nur, dass ihnen die Landschaft nicht entgegenkam, sondern hinter ihnen zurückblieb.
Einige Nachbarn hatten sich vor ihren Häusern eingefunden und schauten dem Wagen verwundert nach. Wie konnte sich die alleinstehende, bettelarme Frau nur so einen großen Wagen leisten? Dass Leute so weit fuhren um einige ihrer Landeskinder zurückzuholen, konnten sie sich gar nicht vorstellen. Der einzigartige Zusammenhalt, der in den deutschen Kolonien herrschte, war ihnen fremd. Selbst in Deutschland war Solidarität in diesem Ausmaß nicht üblich. Wahrscheinlich entwickelt sich solch ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl nur durch die Isolation einer Minderheit in einem fremden Land.
Schnell hatte sich die Abreise der Deutschen herumgesprochen. Erstaunlicherweise fanden sich doch etliche Dorfbewohner ein, die ihnen Lebewohl sagten. Vergessen schienen die Feindseligkeiten. Schulfreunde und Spielkameraden winkten am Wegrand, Bauern hielten ihre Ochsenkarren an und grüßten, indem sie mit zwei Fingern an die Mütze tippten. Eine Bauersfrau ergriff Wilhelmines Hand und wünschte ihr alles Gute. Hinten winkten die Mädchen noch lange aus dem Wagen, bis die kleinen, verstreut liegenden Häuschen außer Sicht waren. Mit Tränen der Rührung in den Augen begann Wilhelmine ihre Heimkehr.
Sie hatte keine Ahnung, wie es zurzeit in Teplitz aussah. Elf Jahre war sie fort gewesen! Von den Kornspeichern erzählten die Männer, in welche jeder vom Überschuss abgab, um dann in Notzeiten genügend Mehl und Saatgut zu haben. Hungerzeiten waren selten geworden in den Dörfern am Kogälnik. Neue, schöne Häuser waren allerorts gebaut worden, Wilhelmine würde sich wundern! Kaum einer wohnte noch in den alten Kronshäuschen. Wilhelmine freute sich, als sie hörte, dass Pastor Lehmann noch in Teplitz Pfarrer war. Ein Dorfladen sollte entstehen, damit die Hausfrauen nicht mehr bei den reisenden jüdischen Händlern einkaufen mussten, die oft überteuerte Waren anboten. Nach und nach verschwanden die Weinschänken aus den Orten, weil fromme Brüderschaften sich das Ziel gesetzt hatten, Trunkenheit und Lasterhaftigkeit aus den Gemeinden zu verbannen.
Für Wilhelmine waren dies alles durchaus schöne und gute Neuigkeiten. Umso mehr freute sie sich jetzt auf zu Hause, obgleich die Trennung von den Kindern wie ein böser Schatten über ihr lag. Doch irgendwie hoffte sie immer noch auf eine Lösung. Vielleicht konnten sie ja doch bei Viktor bleiben, oder sie fand einen Mann, der die Kinder auch wollte? Womöglich nahm eine Familie alle Kinder auf und Wilhelmine könnte dann dort als Magd arbeiten? Sehr wahrscheinlich war das alles nicht, aber die Mutter klammerte sich mit verzweifelter Hoffnung an jede neue Möglichkeit, die ihr in schlaflosen Nächten einfiel.
Das Reisen war zu jenen Zeiten nicht bequem. Vor allem nicht so früh im Jahr, wenn das Schmelzwasser die Wege aufweichte und der Wagen manchmal tief im Morast versank. Von den vierzig Meilen, die bis nach Hause zurückzulegen waren, bewältigten sie am ersten Tag etwa zweieinhalb. (Eine russische Meile entspricht 7,5 Kilometer.) Das war eine gute Strecke, wie die Männer sagten. Auf der weiten Fahrt mussten sie nämlich auch oft die befestigten Straßen verlassen und durch die Wildnis fahren. Die selten benutzten Wege hielten so manche Widrigkeit für Reisende bereit. In den Waldgebieten konnte man ständig mit umgestürzten Bäumen rechnen, die den Weg versperrten. Ließen die sich nicht wegräumen oder umgehen, musste man oft große Umwege in Kauf nehmen. Auf diese Weise konnte eine vermeintliche Abkürzung leicht die Reise um zwei Tage verlängern.
Am Vormittag des zweiten Tages kam die kleine Reisegesellschaft an so eine Stelle, von der aus eine Abkürzung der Strecke möglich war. Mit der Abkürzung würden sie etwa acht Meilen sparen, allerdings wussten sie nicht, was sie im Wald erwartete. Die Männer diskutierten. Albert Hanemann wollte durch den Wald, Otto Jaske auf der Straße fahren. Schließlich fragten sie Wilhelmine, die still dabeigesessen hatte, um ihre Meinung. Sie entschied sich ohne zu zögern für die längere Strecke.
„Wegen der wilden Tiere.“, sagte sie. Otto Jaske schaute sie prüfend an.
„Sie haben es den Kindern noch nicht gesagt, was?“, fragte er leise. Wilhelmine schüttelte nur stumm den Kopf. Wenn es nach ihr ginge, könnte die Reise ewig dauern.
Nachts wurde es empfindlich kalt. Die Reisenden machten ein Feuer an und verkrochen sich zum Schlafen im Wagen. Alle Decken, die sie hatte, breitete Wilhelmine über den zitternden Kindern aus. Von Ferne hörten sie die Wölfe heulen. Die Kleinen hatten große Angst vor ihnen. Die Mutter machte ihnen Mut, so gut sie konnte, aber auch sie fühlte sich von dem dünnen Wagenzelt nicht besonders geschützt. Mehr Sicherheit gab ihr das Lagerfeuer, welches die Männer die ganze Nacht unterhielten. Abwechselnd hielten sie Nachtwache. Das taten sie auch wegen der Wegelagerer, vor denen sie von Einheimischen gewarnt worden waren. Auch Wilhelmine wollte wachen, aber die Männer ließen es nicht zu. Dafür ruhten sie am Tage abwechselnd hinten im Wagen. Da, wo sonst drei Kinder schliefen, lag dann ein Mann und schnarchte. Paula, Selma und Eduard hockten daneben und sahen zu, wie sich der Schnauzbart zitternd bewegte. Einmal legte Paula eine kleine Daunenfeder auf Ottos prustende Lippen. Wenn sie in die Höhe flog, kicherten sie.
Emilie und Jacob streiften gern morgens und abends durchs Gelände. Sie sammelten Brennholz und erkundeten die Gegend. Otto und Albert mochten die Wälder nicht, obwohl es sich bei diesen nur um dürre Kiefern und spärliches Unterholz handelte. Sie waren in der weiten Budschaksteppe aufgewachsen und brauchten einen freien Blick bis zum Horizont, um sich wohlzufühlen.
Manchmal trafen sie zur Abendzeit auf kleine Ortschaften und konnten dort bei freundlichen Menschen ein Nachtlager bekommen. Für die Kinder war das alles ein einziges großes Abenteuer. Mal übernachteten sie im Wagen, mal in einer Scheune im duftenden Heu. Das roch so gut nach Sommer! Wo würden sie wohl diesen Sommer verbringen?
Die Fahrt verlief gut. Bald lagen die Waldgebiete hinter ihnen und sie fuhren nun meistens zwischen Wiesen und Feldern dahin. Im Sommer würden hier Mais, Weizen, Sonnenblumen und Tabak wachsen. In einer etwas größeren Stadt nahe der moldawischen Grenze deckten sie sich mit Vorräten ein. Hier gab es viele Geschäfte mit Verkaufsläden und einen Bahnhof. Die Kinder staunten über die großen Häuser. Sogar eine Burg lag auf einem Felsen.
„Wartet nur, bis wir nach Kischinau kommen!“, versprach Albert, „Da werdet ihr Augen machen!“
Das Wetter hatte ein Einsehen und brachte viel Sonnenschein. Fröhlich rollte der Wagen über glatte Wege, holperte über steinige Strecken und bewegte sich vorsichtig