Emilie. Angela Rommeiß

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Emilie - Angela Rommeiß

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in einem fremden Land lebte, nur geahnt hätte, wie viel Anteilnahme die Menschen hier an ihrem Schicksal zeigten – wie glücklich würde sie das machen!

      Wenn Gertrud, die als Fremde im eigenen Dorf lebte, ahnen würde, wie sich die Dorfgemeinschaft entgegen ihrem Willen auf die Heimkehr der Schwägerin vorbereitete, wäre sie weniger glücklich!

      * * *

      Für Wilhelmine und ihre Kinder wurde es ein harter Winter.

      Das baufällige kleine Häuschen bebte und ächzte unter den orkanartigen Böen, die der Herbst alljährlich übers Meer schickte. Manchmal dachte Emilie, es würde gleich zusammenbrechen.

      Die Mutter hatte im Herbst Kartoffeln, Bohnen und Melonen geerntet. Die halbreifen Arbusen hatte sie mit verschiedenen Küchenkräutern eingesäuert, wie sie es von daheim kannte. Auch ein paar Kürbisse lagen in der Speisekammer. Salz und Mehl würden allerdings nicht mehr lange reichen, auch der Tee und das Petroleum für die Lampe gingen zur Neige. Jeden Sonntag schlachteten sie ein Huhn und kochten es in dem großen Topf, die Brühe reichte dann die ganze Woche. Als kein Futter für die Kuh mehr da war, führte Jacob sie zu Wasile. Der versprach, einen guten Käufer zu finden. Tatsächlich brachte er eine Woche später ein ordentliches Geld und wollte nicht einmal Lohn dafür. Der wackere Wasile! Nun kauften Emilie und die Mutter noch einige Vorräte ein und hofften, dass der Winter nicht so lang und streng werden würde.

      Ende November wurde es bitter kalt. Schwere Schneestürme fegten über das Land und verbannten die Menschen in ihre Häuser. Die kleine Selma bekam einen bösen Husten und musste wochenlang das Bett hüten. Fiebernd lag die Kleine auf dem Lager der Mutter und wurde zusehends schwächer. Zart und dünn war sie schon immer gewesen, nun wurde sie geradezu durchsichtig. Auch Wilhelmine wurde immer magerer. Vor lauter Sorge brachte sie oft keinen Bissen hinunter. Nächtelang saß sie am Bett ihrer Jüngsten, kühlte die kleine Stirn und betete.

      Emilie hörte es im Halbschlaf. Der Sturm, der draußen ums Haus heulte und alles mit einem weißen Tuch bedeckte, die eintönige Stimme der Mutter, die Gebete murmelte oder Kinderreime aufsagte, schläferten sie allabendlich ein und begleiteten sie in ihre Träume. Trotz aller Sorgen und des Kummers um den Vater war es doch eine friedliche Zeit. Sie rückten alle enger zusammen, die Kinder stritten sich kaum und man ging sehr behutsam miteinander um, gleichsam um die heile Welt zu bewahren und kein neues Unglück heraufzubeschwören.

      Wilhelmine hatte Jacob die Schnitzmesser seines Vaters überlassen. Nun hockte der Junge immer nachmittags und abends am warmen Herd und schnitzte mit Feuereifer kleine Tiere und Figürchen. In ein paar Jahren, prahlte er, würde er so geschickt sein, dass er die Sachen auf dem Markt verkaufen und die Familie reich machen würde. Wilhelmine lächelte nur. Wie bekannt kam ihr diese Prahlerei vor! Ihr Mann war auch so leicht zu begeistern gewesen und hatte nach den Sternen gegriffen, statt mit kleinen Erfolgen zufrieden zu sein. Derweil hielt sich Eduard an Jacobs Seite und freute sich über jedes neue Spielzeug.

      Wenn die Haus- und Stallarbeit getan und die kleine Hütte saubergemacht war, saß Wilhelmine mit ihren älteren Töchtern auf der Ofenbank. Sie brachte ihnen das Stricken und Sticken, das Spinnen und Nähen bei. Die gesponnene Schafswolle und auch die daraus gestrickten Jacken ließen sich gut verkaufen.

      „Spinnen am Abend: Erquickend und labend. Spinnen am Morgen: Kummer und Sorgen.“, pflegte Wilhelmine oft zu sagen.

      „Wenn das Spinnen am Morgen Unglück bringt, warum tun wir es dann?“, fragte Paula einmal. Die Mutter lächelte.

      „Ach, Kind, dieser Spruch heißt nichts anderes, als das diejenigen, die am Abend nach getaner Arbeit Wolle spinnen, dies nur zur Entspannung und zu ihrem Vergnügen tun. Dann ist es tatsächlich erquickend und labend. Arme Leute wie wir, die mit dem Spinnen ihr Brot verdienen müssen, haben Kummer und Sorgen - trotzdem wir schon am Morgen damit beginnen. Doch was hilft es, irgendwie müssen wir ja Geld verdienen. Also, an die Arbeit, Kinder!“

      Gern hätte Wilhelmine die Mädchen auch im Weben unterwiesen, aber sie hatte keinen Webstuhl. Zu Hause, erzählte sie, gab es in jedem Haushalt einen Webstuhl. Alle Stoffe, grobe und feine, wurden darauf gewebt und anschließend daraus Kleider genäht. Man maß eine gute Hausfrau an der Qualität ihres Tuches! Aber auch die Männer gingen an langen Winterabenden ihren Frauen beim Weben zur Hand. Man konnte gutes Geld verdienen mit dem Verkauf von Stoffen. Ach, wenn sie doch nur einen Webstuhl hätten!

      Oft traf man sich auch zu geselligen Runden und da wurde gelacht und gescherzt, Lieder gesungen und Geschichten erzählt. Wilhelmine wusste immer neue Einzelheiten aus dem Leben daheim zu erzählen. Dabei hatte sie den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend im Waisenhaus zugebracht. Bloß drei Jahre lebte sie im Haus ihres Mannes und lernte dort Sitten und Gebräuche des Familien- und Gemeindelebens kennen. Diese Zeit war aber für das einsame Mädchen so schön gewesen, dass sie sich heute noch an jedes Detail und jedes Fest genau erinnerte. Unschöne Erinnerungen verdrängte sie einfach.

      Die Kinder lauschten und lernten. Längst hatten sie gemerkt, dass ihre Mutter sich von ganzem Herzen von hier fortsehnte. Richtig verstehen konnten sie es allerdings nicht. Das Leben hier war doch sehr schön! Die Ukrainer wussten auch fröhliche Feste zu feiern und im Sommer gab es wilde Reiterspiele, bei denen das ganze Volk auf den Beinen war. Ein Volk, freundlich und großherzig und so bunt wie die weiten Röcke und farbenfrohen Tücher der Frauen. Der Fluss und das nahe Meer boten viel Abwechslung, denn außer den Fischerbooten gab es auch oft fremdländische Schiffe und deren seltsame Fracht zu bestaunen. Das Rauschen des mächtigen Dnipro und das Kreischen der Möwen weckten Sehnsüchte nach fernen Ländern. Emilie gefiel es hier, warum also sollte sie fort?

      Andererseits wurde sie durch die Erzählungen der Mutter auch zunehmend neugierig auf die alte Heimat, wo das Leben angeblich noch viel angenehmer war. Waren dort alle Leute blond? Sprachen wirklich alle deutsch? Wie sah die Landschaft aus? Wilhelmine beantwortete geduldig die Fragen ihrer Kinder. Sie erzählte ihnen auch von dem großen Land weit im Westen, das Deutschland hieß und aus welchem einst die Vorfahren aller Deutschen gekommen waren, die heute in großen Dörfern im Süden Moldawiens lebten.

      „Warum ziehen wir nicht dorthin - nach Deutschland?“, fragte Emilie eines Tages die Mutter. Wilhelmine lachte unsicher. „Worauf du so kommst!“, meinte sie kopfschüttelnd. „Deutschland ist doch viel zu weit weg! Außerdem ist es schon voll, weißt du. Man hat dort keinen Platz zum Ansiedeln. Manche Leute wohnen sogar in Häusern übereinander!“

      Die Kinder staunten. Übereinander wohnen! Sie stellten sich Deutschland wie einen Dorfplatz vor, auf dem gerade Markttag war. Wilhelmines Vorstellungen vom Mutterland waren freilich etwas verworren, aber Emilie gab sich damit zufrieden. Sie stopfte gerade einen Fäustling und war sehr in ihre Arbeit vertieft. Diese dünnen Fäden hatten ihre Tücken! Wenn man an einem Ende zu fest zog, war die gestopfte Stelle im Nu ein harter Klumpen, den man mit der Schere aufschneiden musste, nur um dann ein noch größeres Loch zu stopfen. Paula kniete am Fenster auf einem Stuhl und hauchte Löcher in die Eisblumen.

      „Sei so gut und sieh nach Selma!“, bat die Mutter. Paula hüpfte zur Kammer. Selma hatte sich in den letzten Tagen gut erholt. Es war, als hätte man Wilhelmine einen Stein von der Seele genommen. Noch immer starben am Husten sehr viele Kinder und Selma war so zart! Der Doktor, der vor zwei Wochen dagewesen war, hatte teure Medizin dagelassen und der Mutter versichert: „Die Kleinsten und Dünnsten sind oft sehr zäh. Machen sie sich keine Sorgen, das wird schon wieder!“

      Als er ging, waren die letzten Ersparnisse aus dem Erlös der Kuh aufgebraucht. Wenigstens hatte die Medizin geholfen und der Kleinen ging es von Tag zu Tag besser.

      „Mama!“, rief es aus der Kammer. „Wann kommt denn das Christkindl?“

      „Nicht mehr

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