Emilie. Angela Rommeiß

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Emilie - Angela Rommeiß

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der heimischen Kirche zu besuchen. Wie gern würde sie einmal wieder mit Nachbarinnen plaudern, ohne nach den richtigen Worten suchen zu müssen und für ihre Unbeholfenheit belächelt zu werden. Die Kinder könnten die deutsche Schule besuchen und mit Freunden spielen, deren Eltern ihnen die gleichen Märchen erzählten wie die eigene Mutter. Sie würden die Sitten und Gebräuche ihrer Vorfahren kennenlernen und nach ihren Gesetzen leben.

      Ja, so wollte es Wilhelmine. Ihr Ziel war es, irgendwie nach Teplitz zu gelangen und dort im Hause ihres Schwagers um Aufnahme für sich und ihre Kinder zu bitten. Doch wie sollte sie das beginnen? Der Wagen war längst verkauft, ein Pferd hatte sie auch nicht. Selbst wenn sie Pferd und Wagen besäße – wie sollte sie den Weg finden? In solchen Dingen war Wilhelmine nicht bewandert, außerdem waren sie damals kreuz und quer durchs Land gezogen, ehe sie sich hier niederließen. Konnte sie es zudem wagen, eine Reise, die mehrere Wochen dauerte, ganz ohne Schutz vor Raubtieren und Wegelagerern zu beginnen? Schließlich waren die Kinder noch klein, obgleich sich Jacob mit seinen fast dreizehn Jahren schon für einen Mann hielt.

      Wilhelmine dachte nach. Schließlich suchte sie den Briefumschlag heraus, den vor Jahren die Schwägerin geschickt hatte. Er lag mit einigen anderen Papieren wohlverwahrt in dem Holzkästchen unter der Bibel. Den Brief hatte Wilhelmine damals ins Feuer geworfen, den Umschlag jedoch aufbewahrt. Jetzt malte sie sorgfältig die Zahlen und Buchstaben der Adresse ab, die als Absender auf der Rückseite des Umschlages stand. Dann machte sie sich daran, einen Brief zu schreiben. Diese ungewohnte Arbeit war für sie mühsam und langwierig. Die richtigen Worte waren schwer zu finden und noch schwerer zu buchstabieren. Bis spät in die Nacht saß sie bei Kerzenlicht am Tische und grübelte, derweil die Kinder schon in tiefem Schlafe lagen. Doch endlich war sie zufrieden, faltete das Schreiben und verschloss sorgfältig den Umschlag. Jacob musste ihn gleich am nächsten Morgen aufs Postamt bringen. Von diesem Tage an wartete Wilhelmine auf ein Zeichen aus der Heimat.

      * * *

      Der Brief machte eine lange Reise.

      Er rumpelte mit dem Pferdewagen übers Land, wurde an vielen Poststationen verladen und mehrfach sortiert und gestempelt. Auf seiner langen Reise nach Westen wurde er sogar ein Stück von der Eisenbahn transportiert, deren Netz zu jener Zeit bereits im Bau war. Am ersten Oktobertag traf der Brief in Teplitz ein. Der Gemeindeschreiber, der Pisar, bekam ihn zusammen mit der übrigen Post ausgehändigt. Da der Briefwechsel zu jenen Zeiten noch nicht so häufig ausgeübt wurde, gab es keinen Briefträger, obwohl Teplitz eine Kreisstadt war. Der Gemeindediener erledigte das Austragen der wenigen Briefe. Da aber Herr Otto Müller, der Pisar, ein Nachbar der Familie Haisch war, nahm er den Brief auf dem Heimweg selber mit. Er drückte Ludwig, welcher sich auch gerade auf dem Heimweg befand, das Papier in die Hand, rief einen Gruß und fuhr weiter.

      Verwundert drehte der Bursche den Brief hin und her. Wilhelmine Haisch? Diesen Vornamen hatte er nie gehört. Seine große Schwester hatte ihm mal von Verwandten erzählt, die nach Russland ausgewandert waren. Sollten die das sein? Ludwig strich sorgfältig den Schmutz von den Schuhen, bevor er das Haus betrat. Er spähte um die Ecke. Ah, die Mutter war noch im Stall oder in der Küche. Entspannt betrat Ludwig die Stube, um gleich darauf zusammenzuzucken.

      „Ludwig!“, ertönte eine schrille Stimme. Gertrud stand in der Tür, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Die viel zu weiten Kleider schlotterten um ihre hagere Gestalt. Sie war jetzt etwa vierzig, sah aber älter aus. Ihr Hals war faltig und meistens vorgestreckt wie bei einem misstrauischen Huhn. Dieser Vergleich drängte sich jedem auf, der sie ansah, denn ihre lange Nase über dem verkniffenen Mund fuhr wie ein Schnabel überall hin, nichts blieb ihr verborgen. Da hatte sie schon den Brief erspäht.

      „Was hast du da?“, wollte sie wissen. Ludwig gab den Brief wortlos heraus. Nach einem kurzen Blick auf die Adresse riss sie sogleich den Umschlag auf. Ludwig wusste, dass ‚Viktor Haisch‘ auf dem Kuvert stand, hütete aber seine Zunge. Ohnehin war er froh, dass der Brief die Mutter von ihm ablenkte. Bestimmt hätte sie wieder wegen irgendetwas mit ihm geschimpft. Als er sich an den Tisch setzte, betraten sein Vater und die beiden jüngeren Geschwister den Raum. Ilse war neun, Arthur sieben Jahre alt. Hanna war jetzt zwanzig und seit zwei Jahren verheiratet. Sie wohnte weit weg in Lichtental, fast dreißig Kilometer von zu Hause entfernt, und darum beneidete sie Ludwig von Herzen.

      Ilse huschte in die Küche, um nach dem Abendessen zu sehen. Sie war ein kräftiges Mädchen und der Mutter sehr gehorsam. Ihren jüngeren Bruder kommandierte sie gern herum, so wie sie es bei den Eltern sah. Selbst bei Ludwig, der fast fünf Jahre älter war als sie, versuchte sie es bisweilen. Arthur hielt sich gern an den Vater. Obgleich er äußerlich nach der Mutter kam, hatte er die Mentalität seines Vaters geerbt. Gemeinsam werkelten sie im Hof, besorgten Stall und Feld. Als alle um den Tisch saßen, warf Gertrud den Brief auf den Tisch.

      „Hier ist etwas gekommen, Viktor, das schlägt dem Fass den Boden aus! Ich kann es kaum glauben, wie viel Frechheit in diesem Weibsbild steckt. Trägt den halben Hausrat fort, nimmt in der schlimmsten Hungerzeit alle Vorräte mit und lässt uns mit der ganzen Arbeit und zwei alten Leuten hier sitzen! Und jetzt denkt sie, dass sie sich mit ihren Bälgern hier einnisten kann, nur weil ihr der Mann gestorben ist ...“

      Viktor, der bis dahin verständnislos zugehört hatte, fuhr auf.

      „Jacob?!“, rief er und ergriff das Papier. Seine Augen überflogen die Zeilen. „Ein Unfall!“, murmelte er tonlos und ließ das Blatt sinken. Die Kinder saßen gespannt um den Tisch und sahen den Vater an. In der Mitte stand unbeachtet die Schüssel mit den dampfenden Maiskolben. Auf dem Herd wartete noch ein Topf mit Hühnersuppe. Selbst Gertrud spürte, dass sie jetzt schweigen sollte. Sie teilte die Schüsseln aus, während Viktor den Brief mit zitternder Hand ergriff und noch einmal halblaut vorlas:

      „Lieber Schwager!

      Nun muss ich dir Nachricht geben vom Tode Jacobs. Er starb durch einen Unfall

      bei der Arbeit. Er wurde mit Gottes Segen in geweihter Erde bestattet. Wir sind

      nun sehr traurig und einsam. Leider bin ich mittellos. Ich möchte dich bitten,

      uns wieder aufzunehmen. Wir wissen doch nicht, wo wir sonst hinsollen und

      wir sind doch eine Familie. Da ist noch eine große Bitte, die ich an dich habe.

      Lieber Viktor, du musst uns helfen, nach Hause zu kommen, denn ich weiß nicht

      wie ich das anstellen soll. Wir haben weder Pferd noch Wagen. Ach Viktor, ich

      bin sehr verzweifelt und hoffe auf deine Hilfe. Meine Kinder und ich können

      dir bestimmt sehr nützlich sein in der Wirtschaft. Jacob ist schon zwölf Jahre alt

      und sehr kräftig. Er arbeitet gut und ausdauernd. Emilie ist zehn und Paula

      sechs Jahre. Sie sind fleißige Mädchen, können beide spinnen und stricken.

      Emilie kann auch kochen und backen. Die Zwillinge heißen Eduard und Selma.

      Sie sind jetzt zwei Jahre alt und machen überhaupt keineUmstände, auch essen

      sie sehr wenig. Ich bete jeden Tag, dass ich Antwort aus der Heimat erhalte.

      Lieber Schwager, Gottes Dank sei dir beschieden, wenn du deiner Familie in

      dieser Not beistehst.

      In Liebe und Dankbarkeit

      Deine Wilhelmine

      Als Viktor geendet hatte,

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