Emilie. Angela Rommeiß

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Emilie - Angela Rommeiß

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Stimmung im Hause Haisch hatte sich gebessert, seit der Beschluss für den Umzug allen bekanntgegeben war. Viktor und Gertrud waren erleichtert und zufrieden, bemühten sich aber, dies nicht zu zeigen. Die Großeltern hatten sich schweren Herzens mit dem Trennungsgedanken abgefunden, so wie sie sich in ihrem langen Leben schon mit so vielen Dingen abfinden mussten. An den dunklen Winterabenden, wenn draußen ein kalter Wind heulend ums Haus pfiff und den Schnee in hohen Haufen zusammenwehte, saß man gern am warmen Ofen beisammen. Wenn das Feuer im Ofen knisterte und das Spinnrad surrte, erzählte die Ahna Geschichten und Sagen. Die Kinder lauschten mit leuchtenden Augen, doch auch die Erwachsenen hörten gerne zu. In letzter Zeit aber wurde in dieser Runde viel über den bevorstehenden Umzug geredet. Jacob und Wilhelmine, das Baby an der Brust und den Jungen auf dem Schoß, planten und rechneten. Was würde sie in der Fremde erwarten? Jacob war voller Zuversicht und machte große Pläne. Er verstand es, so überzeugend den künftigen Wohlstand zu preisen, dass auch Wilhelmine langsam in erwartungsfrohe Stimmung kam.

      „Das Geld liegt anderswo auch nicht auf der Straße!“, brummte der Ehne nur, wenn sich sein Sohn wieder in Phantastereien erging. Doch Jacob ließ sich davon nicht beirren und träumte weiter von einem besseren Leben.

      Der kleine Jacob war auf dem Schoß seiner Mutter eingeschlafen, mit dem Daumen im Mund. Wilhelmine schickte sich an, ihre Kinder zu Bett zu bringen. Vor einer Stunde hatte sie die Betten angewärmt. Dazu wurden Steine erhitzt und in Tücher gewickelt, die kamen unter die Bettdecke. Vor dem Schlafengehen holte man die Steine heraus und legte sie wieder in das Herdfach, das extra zu diesem Zweck eingebaut war. Nun war es zwischen dem Strohsack und dem Federbett mollig warm.

      Mit dem Waschen wurden keine großen Umstände gemacht, denn das Erhitzen des Wassers war eine mühselige Angelegenheit. Im Winter wusch man sich einmal in der Woche in der Küche im Waschzuber. Erst die Frauen und Kinder, dann die Männer. Zum Schluss kamen noch die schmutzverkrusteten Stallsachen der Männer zum Einweichen ins lauwarme Wasser.

      Wilhelmine legte ihre Kinder in das große Bett, in dem auch sie selbst und ihr Mann schliefen. Ihre Schwiegermutter trat hinzu, gemeinsam schauten sie auf die Kinder hinab. Jacob hatte sich wie ein Kätzchen zusammengerollt und war sofort wieder eingeschlafen, nachdem er beim Ausziehen geweckt worden war. Neben ihm, sicher verpackt in einem großen Kissen, schlummerte satt und zufrieden das Baby.

      „Sie wird leben!“, flüsterte die Ahna, und antwortete damit auf die Gedanken, die Wilhelmine gerade durch den Kopf gegangen waren. „Winterkinder sind zäh. Wenn sie die kalte Zeit überlebt, wird sie ein starker Mensch werden!“. Dankbar lächelte Wilhelmine die Ahna an. Dann schlossen die Frauen leise die Tür.

      Die Nachbarn waren noch vor der Taufe erschienen, das neue Kind zu betrachten und kleine Gaben zu bringen. Gestrickte Schuhchen aus feiner Wolle, ein gewebtes Stück Leinen, mehrere Kuchen und eine Räucherwurst waren dabei. Wilhelmine freute sich sehr, waren diese Geschenke doch ein Zeichen der Wertschätzung. Bei Jacobs Geburt vor zwei Jahren waren die Leute noch zurückhaltender gewesen, obwohl das Kind ein Junge war. Aber damals hatte Jacob seine junge Frau, die aus einer entfernteren Gemeinde stammte, gerade erst heimgeholt. Die Hochzeit mit dem Kirchgang und dem Hochzeitsessen wurde zwar ganz traditionell abgehalten, dennoch brauchten die Menschen hier eine ganze Weile, ehe sie das neue Gemeindemitglied als eine der Ihren akzeptierten. Üblicherweise heiratete man untereinander, sofern genügend Heiratskandidaten zur Auswahl standen. Auf den schmucken Jacob hatte so manche Dorfschöne ein Auge geworfen und jetzt hatte ihn sich tatsächlich eine Fremde geangelt! Doch in der Zeit, die Wilhelmine derweil hier lebte, hatte sie sich unter den Teplitzern viele Freunde gemacht, weil sie immer freundlich und hilfsbereit war. Sie ahnte nicht, dass ihr die Akzeptanz der Dorfbewohner noch einmal sehr nützlich sein würde.

      Der lange Winter ging vorüber, so wie alle Winter irgendwann vorbei gehen. Das Weihnachtsfest war besinnlich und angenehm verlaufen. Gertrud war wie verwandelt, hatte sogar kleine Geschenke für Wilhelmines Kinder vorbereitet. Die Ahna hatte die letzten Reserven mobilisiert und ein prächtiges Festessen gemacht, das nach alter schwäbischer Art aus Dampfnudeln, groß wie Kinderköpfe, saftigem Schweinebraten, braunen Zwiebelringen und Knoblauchzehen in Fettsoße bestand.

      Die Großeltern wollten Jacob überreden, noch bis zum Osterfest zu bleiben, aber der wollte noch vor der Frühjahrsaussaat fort. Sollte doch Viktor sehen, wie er mit der Arbeit allein fertig wurde, die Ernte wollte er schließlich mit dem Bruder auch nicht teilen.

      Der Wagen wurde mit Hausrat und Vorräten vollgeladen, die Kinder in Decken gewickelt und der alte Gaul vorgespannt – dann war es soweit. Die Ahna küsste ihre Enkelkinder und segnete sie, umarmte den Sohn und die Schwiegertochter. Dabei kullerten unaufhörlich Tränen über ihre runzligen Wangen. Etliche Dorfbewohner hatten sich eingefunden, es wurden Hände geschüttelt, aufmunternde Worte gesprochen, Scherze gemacht und Schultern geklopft. Der Ehne hatte eine rote Nase, als er Jacob letzte Anweisungen im Umgang mit dem Pferdegeschirr gab. Hanna und Gertrud standen an der Hofmauer und winkten mit Tüchern, der kleine Ludwig hopste noch eine ganze Strecke hinter dem Wagen her, als er die Dorfstraße entlang rumpelte.

      Die Sonne stieg gerade auf und tauchte die langgestreckten Hügelketten, die die weite Steppe in der Ferne begrenzten, in ein sanftes rotgoldenes Licht. Die Bäume am Straßenrand hatten schon dicke Knospen. Der Frühling war da.

      „Geht mit Gott!“, murmelte die Ahna, als der Wagen in einer Staubwolke verschwand.

      IN DER FREMDE

      Man schrieb das Jahr 1905, es war Sommer.

      Die Hitze flirrte über dem Stoppelacker. Im heißen Sonnenlicht glänzten die Ähren wie Gold, wenn sie unter den kraftvollen Sensenstrichen der Männer zu Boden raschelten.

      Emilie richtete sich auf. Oh, wie der Rücken schmerzte! Aber sie war noch jung, zehn Jahre erst, da reicht es, sich einmal nach hinten zu beugen, die Fäuste ins Kreuz zu drücken – schon war der Schmerz vorbei. Bei den älteren Frauen ging das nicht mehr so schnell. Die ganz Alten hatten das Aufrichten völlig aufgegeben, ihre Rücken blieben gebeugt, wenn sie abends nach Hause gingen.

      Emilie strich sich eine hellblonde Haarsträhne unter das buntgeblümte Kopftuch. Dabei wanderten ihre Blicke über die arbeitenden Menschen. Die Männer mit ihren Sensen, hemdsärmelig die meisten, mit nackten, glänzenden Oberkörpern einige Jüngere. Na, die wollten wohl den Mädchen gefallen. Die Frauen und Mädchen hatten allerdings kaum einen Blick für sie. Emsig rafften sie die gefallenen Halme und banden sie zu Garben, die dann als Puppen zusammengestellt wurden. Für Emilie wurde es Zeit, wieder mitzutun. Seufzend warf sie die blonden Zöpfe nach hinten und bückte sich.

      „Sehen selbst aus wie Ähren, deine Zöpfe!“, rief lachend ein halbwüchsiges Mädchen hinter ihr. „Pass nur auf, dass der Mikosch sie dir nicht abmäht!“

      Emilie lächelte. Sie war die gutmütigen Scherze über ihr helles Haar schon gewöhnt. Die meisten Menschen hier waren schwarzhaarig, denn sie waren hier in der Ukraine, nahe dem Schwarzen Meer. Wie ihre Mutter sagte, gab es weiter westlich viele Leute mit blonden Haaren, ja sogar ganze Dörfer mit rein deutscher Bevölkerung. Warum sie da nicht wohnten, wollte Emilie von ihrer Mutter wissen. Aber die war einsilbig geblieben und hatte nur gesagt, es ginge eben nicht. Die Wahrheit war einem Kind schwer zu erklären – es war die Sturheit des Vaters. Nachdem Jacob und Wilhelmine mit ihren Kindern von zu Hause weggezogen waren – Reichtum und Wohlstand entgegen – lief nicht alles so wie geplant.

      Es war durchaus üblich, dass Bauern, die keine erwachsenen Söhne oder Töchter hatten um die landwirtschaftlichen Arbeiten zu bewältigen, Knechte aus dem eigenen Dorf einstellten. Doch Jacob war zu stolz, um sich bei seinen Nachbarn zu verdingen. Er hatte sogar darüber nachgedacht, nach Amerika auszuwandern, wie so viele seiner Landsleute es taten. Nachdem nämlich die

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