Emilie. Angela Rommeiß

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Emilie - Angela Rommeiß

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den ersten Jahrzehnten nach der Gründung der deutsch-bessarabische Kolonien galt das ‚Minorat‘, nach welchem der jüngste Sohn der Familie das Vorrecht auf das elterliche Erbgut hatte. Die Wirtschaft sollte ungeteilt bleiben. Ältere Söhne mussten ein Handwerk erlernen oder in eine Wirtschaft einheiraten. Nun war zwar Viktor der Ältere, aber Jacob, der Jüngere, hatte ein Handwerk erlernt. Bauer blieb er aber trotzdem. Mit den Jahren kam man von den Bestimmungen des Minorats ab, immer öfter wurde das Wirtschaftsland unter den Söhnen aufgeteilt. Es erleichterte die Arbeit, wenn mehrere Männer sich die Feldarbeit teilen konnten.

      Teilen aber war Gertruds Sache nicht. Deshalb hatte sie viel Zeit und Mühe darauf verwendet, Viktor ihren Willen als seinen eigenen einzuimpfen. Mit der Zeit war nun auch Viktor der Meinung, Jacob müsse ausziehen. Doch wie sollte er das durchsetzen, ohne alle gegen sich aufzubringen? Viktor holte tief Luft.

      „Wird es nun nicht bald ein wenig eng im Haus?“, stieß er laut hervor. Die eintretende Stille ließ ihn den Kopf senken. Als er vorsichtig zu seinem Vater schielte, paffte der sich ganz gemächlich eine Pfeife an, als habe er gar nichts gehört. Jacob aber starrte seinen Bruder stirnrunzelnd an.

      „Willst du uns zur Winterzeit aus dem Haus jagen?“, brauste er auf und erhob sich. Jacob war nicht groß, hatte aber einen gedrungenen, muskulösen Oberkörper mit langen Armen und kräftigen Händen. Dass er Schmied war, sah man ihm an.

      „Nu, nu, reg dich ab!“, beschwichtigte Viktor rasch. „Ich mein ja nur, wo du jetzt auch zwei Kinder hast, sind wir doch schon zehn Leut im Haus. Das ist doch so, oder?“, wandte er sich hilfesuchend an seinen Vater. Der paffte an seiner Pfeife, lehnte gemütlich am Ofen und nickte bedächtig.

      „Ja, ja, das ist schon so. Hast richtig gezählt, Bub.“ Warum nur fühlte sich Viktor von ihm nie so richtig ernst genommen? Jacob hatte sich derweil gefasst.

      „Kannst beruhigt sein, Viktor!“, knurrte er unwillig und nahm sein Schnitzmesser wieder auf. „Hab‘s schon mit Wilhelmine besprochen. Im Frühjahr ziehen wir weg. Ins Moldauische oder runter ans Meer. Dort gibt’s noch gute Arbeit für gute Handwerker!“

      Der Vater nahm die Pfeife aus dem Mund. Sein langer Schnurrbart, der ihm in zwei gelben Strähnen an den Mundwinkeln nach unten hing, zitterte leicht.

      „Ihr wollt fort?“

      Jacob nickte. „Die Wirtschaft ernährt uns nicht mehr alle, da hat die Gertrud schon recht!“ Er schoss einen Blick zu Viktor, der duckte sich wie unter einem Peitschenknall. Doch als er wieder aufblickte, funkelten seine Augen. Ihm war etwas eingefallen.

      „Du wirst Pferd und Wagen brauchen, Hausrat und Vorräte ebenfalls!“

      Jacob sah den Bruder forschend an. Worauf wollte der hinaus? Viktor lehnte sich lächelnd zurück. Gertrud würde ihn loben für seine Schläue, vielleicht sogar mal wieder zärtlich zu ihm sein!

      „Das ist ein guter Batzen, den du da vom Hof tragen willst.“, begann er langsam. „Eigentlich können wir das nicht entbehren, oder?“ Aber der Vater, an den er sich wandte, drehte sich nur wortlos zum Ofen und stocherte in der Glut.

      „Es sei denn...“, fuhr Viktor fort, „es sei denn, du nimmst es als Erbteil!“

      Jacob zuckte zusammen. Darauf also wollte er hinaus! So viel Scharfsinn hatte er Viktor gar nicht zugetraut. Natürlich steckte Gertrud dahinter. Der Ehne fuhr dazwischen:

      „Ihr erbt beide zu gleichen Teilen. Land und Haus sind mehr wert als Pferd und Wagen!“

      „Ein Acker ohne Ernte ist gar nichts wert!“, entgegnete Viktor barsch.

      Die Männer verstummten. Mutlos ließ sich der Ehne wieder auf die Bank sinken, Jacobs Schnitzmesser ruhte. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

      Ja, die beiden letzten Jahre waren hart gewesen. Zwei aufeinanderfolgende Missernten ließen die Menschen schier verzweifeln. So eng man den Gürtel auch schnallte, es fehlte am Nötigsten. Die Not war bitter.

      Vor zwei Jahren hatte eine Dürre die Ähren nicht reifen lassen. Die Bauern trieben zähneknirschend das Vieh auf die Felder, das die nutzlosen Halme abweidete. Als es dann endlich regnete, war es zu spät zum Nachsäen. Alles, was im Sommer an Regen gefehlt hatte, prasselte nun auf einmal herunter. Der Fluss schwoll an, die Brunnen liefen über. Bei Haisch’s hatte die Überschwemmung über Nacht den Schuppen erreicht, in dem das Saatgut fürs nächste Jahr lagerte. Es war alles verdorben. Weinend fütterte es die Großmutter den Hühnern. Den ganzen Winter über spannen und webten sie, um Geld für neues Saatgut zu verdienen. Kein Stück Stoff war für den eigenen Haushalt geblieben.

      Die neue Saat kam gut im folgenden Jahr, es regnete ausreichend und die Menschen atmeten auf. Durchreisende erfreuten sich an wogenden, goldenen Weizenfeldern und saftig grünem Mais. Doch dann kamen die Heuschrecken. Die Brutstätten der Heuschrecken lagen im Donaudelta, von dort aus verbreiteten sie sich, der Windrichtung folgend, über das Land. Wer nie die schwarzen Wolken am Himmel sah, die die Sonne verdunkelten, wer nie das Rauschen der sich niederlassenden Insekten gehört hat, kann sich den Schrecken der entsetzten Bauern kaum vorstellen. Schon lange waren sie nicht mehr von Heuschrecken heimgesucht worden. Doch die Menschen erinnerten sich noch gut an den Sommer des Jahres 1875, als Heuschreckenschwärme die gesamte Ernte vernichteten. Ähnlich wie vor achtzehn Jahren, als Viktor und Jacob noch Schulbuben gewesen waren, zog die gesamte erwachsene Bevölkerung aufs Feld. Mit Besen, Harken, Eggen und Dreschflegeln bewaffnet schritten sie zur Vernichtung der Untiere. Wie besessen schlugen sie auf die Schädlinge ein, walzten und traten sie zu Tode. Das Schreckgespenst des Hungers hing über ihnen. Als es dann vorbei war, mussten die Bauern zwei Drittel der Ernte beklagen. Alles, was Viktor und Jacob geerntet hatten, lag als Saatgut wohlverwahrt im Schuppen. Der Ehne hatte Bretter auf Böcke gelegt und die Säcke darauf abgelegt. Aber wenigstens war ihnen das Hochwasser erspart geblieben.

      Nun wollte Jacob fort.

      Es war von jeher so, dass die Handwerker unter den Bauern in Notzeiten das Dorf verließen, um woanders ihr Brot zu verdienen. Aber ganz auf sein Erbe verzichten, Land und Hof seinem Bruder überlassen? Jacob war pfiffiger und gescheiter als sein Bruder, das hatte ihm schon immer Vorteile verschafft. Leider verführte es ihn aber auch zu einer gewissen Überheblichkeit. Ehrgeizig, wie er war, strebte er nach Höherem. Warum sollte er hier unter Not und Enge leiden, wenn er sich woanders Wohlstand verschaffen konnte? Sollten seine Kinder in Armut aufwachsen, sollte sich seine Frau ewig von der eifersüchtigen Schwägerin schikanieren lassen? Nein, das wollte er nicht zulassen, nicht, solange noch Kraft in seinen Armen und Grips in seinem Kopf war. Diese armselige Hütte und das ausgelaugte Stück Land – was war das schon wert?

      „Kannst die Wirtschaft haben, Viktor!“, beschied Jacob gönnerhaft seinen Bruder. Der fuhr überrascht hoch. Der Ehne jedoch sank auf der Ofenbank ein bisschen in sich zusammen, sagte aber nichts. Sollte er ein Machtwort sprechen, sollte er seinem Jüngsten das Fortgehen verwehren? Nein, das würde nichts nützen. Seine Söhne waren erwachsene Männer und für ihre Familien selbst verantwortlich.

      Derweil waren Viktor und Jacob am Feilschen.

      „Ich brauche den großen Wagen und den Wallach.“

      „Das geht nicht!“, widersprach Viktor. „Das gute Zugpferd? Womit soll ich dann pflügen? Den großen Wagen kannst du nehmen, die alte Nella zieht ihn schon.“ Die Brüder verhandelten noch eine Weile und waren sich schließlich über die Aufteilung des Erbes einig. Den Erblasser, der sehr lebendig auf der Ofenbank saß und dem Gespräch finsteren Blickes gefolgt war, fragten sie nicht.

      Plötzlich

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