Emilie. Angela Rommeiß

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Emilie - Angela Rommeiß

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und Hanna, die neunjährige Tochter Viktors, kam heraus. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit schloss sie die Tür sorgfältig und leise hinter sich. Sie war für groß genug befunden worden, als weibliches Mitglied der Familie an der Geburt teilzuhaben und platzte fast vor Wichtigkeit. Würdevoll trat sie in den Raum und verkündete:

      „Es ist ein Mädle, sie waschen‘s grad!“ Plötzlich war es mit der Würde vorbei. Hanna hopste um ihren Vater herum und quietschte und lachte. Die Buben schlossen sich sogleich dem wilden Getobe an. Sie machten einen Höllenlärm! Als Viktor das Mädchen um die Schultern fasste, um es zu beruhigen, weinte Hanna plötzlich.

      „Hab doch gesagt, sie ist zu jung!“, brummte der Ehne und klopfte dem Mädchen besänftigend auf den Rücken. Dann schlurfte er nach draußen, um neues Brennmaterial fürs Feuer zu holen. Jacob blickte kopfschüttelnd auf den vollen Korb, der noch neben dem Ofen stand. Waren denn jetzt alle verrückt geworden, nur weil ein Baby geboren wurde? Das war doch nichts Besonderes. Als aber Gertrud mit dem kleinen, in weißes Linnen gewickelten Bündel herauskam und es ihm in den Arm legte, da wurden ihm doch die Knie weich. Er blickte in das winzige, rote Runzelgesichtchen und war gerührt. Viktor schaute ihm grinsend über die Schulter.

      „Wie geht es Wilhelmine?“, fragte Jacob mit einem Blick nach der Schlafstubentür, durch die kein Laut drang. In ihrer mürrischen Art antwortete Gertrud:

      „Der geht’s gut. War leichter diesmal. Gib’s wieder her!“ Damit nahm sie ihm das Bündel ab, um es den kleinen Buben zu zeigen, die an ihr hochsprangen. Dann trug sie das Baby zurück in die Kammer. Die Tür ließ sie einen Spalt offen, damit Wärme hereinkam. Sonst war die Schlafstube im Winter so kalt, dass sich der Atem der Schläfer in Eiskristallen auf die Bettdecken legte. Doch heute Morgen hatte die Ahna beizeiten die Türen geöffnet, als es mit den Wehen losging, damit die Wärme von der einzigen Feuerstelle im Hause auch die Kammer erwärmte.

      Wilhelmine lag ermattet, blass und glücklich in den Kissen. Wenn eine Frau Leben schenkte, konnte sie leicht dem Tod begegnen. Doch für dieses Mal war alles gut gegangen. Ihre Schwiegermutter, die Ahna, hantierte mit Laken, brachte das Bett in Ordnung. Als Gertrud das Neugeborene zu seiner Mutter legte, beugte sich die Alte lächelnd über die Beiden und tätschelte dem Baby das rosige Köpfchen.

      „Du musst es an die Brust legen, Mädle! Schau, wie es schon sucht!“

      Wilhelmine winkte müde ab: „Ach Mutter, es ist ja noch fast nichts da!“

      Doch die Ältere blieb hartnäckig. „Na, es braucht ja auch fast nichts, aber es muss saugen, damit morgen die Milch fließt. Glaub’s mir nur, Mädle, ich hab sieben Mal geboren!“

      Sie sagte nicht: ‚Ich habe sieben Kinder‘, denn es lebten nur noch zwei. Außer Viktor und Jacob waren die anderen alle noch vor dem fünften Lebensjahr gestorben. Zwei an Husten, zwei an Fieber (im selben Winter), und eines im Kindbett. Was es genau für Krankheiten waren, wusste niemand zu sagen. Kleine Kinder starben leicht, so war das Leben. Über die Toten wurde nicht gesprochen, damit sie in Frieden ruhen konnten. Man konnte froh sein, wenn einem welche fürs Alter blieben. Aber manchmal im Traum sah die Ahna noch ihre lieben, kleinen Gesichter und rief sie bei den fast vergessenen Namen.

      Wilhelmine nestelte am Hemd, legte die Kleine an. „Emilie soll sie heißen, nach dir!“, sagte sie und lächelte ihre Schwiegermutter an.

      „Ach - Kind!“, entfuhr es der Alten. Gerührt klopfte sie auf der Bettdecke herum. Gertrud, mit dem Rücken zu den Beiden, klapperte laut mit den Schüsseln. Man sah ihrem Hinterkopf mit dem straff gebundenen Dutt förmlich das finstere Gesicht an. Hatte denn Viktor, der Dummkopf, seinem Bruder immer noch nicht die Tür gewiesen? Die Alten würden am Ende noch dem jüngeren Sohn allein das Gut vermachen! Das sah ja ein Blinder, wie vernarrt die zwei Alten in Wilhelmine waren. Wilhelmine war eine Waise und hing an den Schwiegereltern wie ein leibliches Kind. Gertrud konnte und wollte mit deren liebenswerte Art nicht mithalten. Und jetzt nannte sie das Balg auch noch Emilie!

      Gertrud holte tief Luft und nahm sich zusammen. Sie machte das freundlichste Gesicht, zu dem sie fähig war, denn Jacob stand in der Tür. Zu einem offenen Krach wollte sie es auf keinen Fall kommen lassen. Wilhelmine lächelte ihren Mann an.

      „Du hast doch nichts dagegen, dass es Emilie heißt? Es sieht ihr sogar ähnlich, finde ich!“

      Jacob schaute erstaunt seine dralle Mutter an, die die Arme in die Hüften gestemmt hatte und mit kleinen Tänzelschritten ihre Röcke hin und her schwang. Ihr rotes, rundes Gesicht mit der knolligen Nase strahlte. Da musste Jacob laut lachen, seine Mutter gackerte mit. All die Angst und Anspannung der letzten Stunden machte sich in einem befreienden Gelächter Luft. Der Ehne und Viktor erschienen an der Tür, die Kinder purzelten hinterher, alle lachten mit und wussten gar nicht so genau, weshalb. Nur Gertrud schüttelte verächtlich den Kopf und wandte sich ab. Was war das doch für eine alberne Familie!

      Wilhelmine konnte auch nicht lachen. Ihr Leib zog sich gerade in einer schmerzhaften Nachwehe zusammen, die vom Saugen des Babys ausgelöst worden war. Durch die Geburt geschwächt, wurden ihr plötzlich die vielen Menschen und das stickige Zimmer unerträglich. Die Ahna bemerkte ihre Not und scheuchte alle hinaus. Gertrud sollte sich um das Abendessen kümmern und Hanna die beiden Buben fürs Bett vorbereiten. Jacob musste die verschmutzte Wäsche in die Waschküche hinter dem Haus tragen und Viktor hatte die Stube zu fegen. Der Ehne schlurfte hinaus, Brennzeug holen. Als die Mutter alle beschäftigt hatte, kehrte sie zu Wilhelmine zurück, die ihre Hand ergriff.

      „Mutter, ich muss dir etwas sagen!“ Erstaunt ließ sich die Ahna auf der Bettkante nieder.

      „Du bist mir wie eine Tochter, Mädle, kannst mir ruhig alles sagen!“

      Wilhelmine senkte die Augen, holte tief Luft und fragte: „Spürst du nicht den Unfrieden im Haus? Die Gertrud möchte uns weghaben, das hat sie mir neulich ganz offen gesagt. Viktor ist auch ihrer Meinung. Wie soll man so leben? Jacob und ich haben...“

      „Aber Kind!“, unterbrach sie die Ahna. Sie nahm einen Kamm zur Hand und begann Wilhelmines zerzaustes Haar zu entwirren. „Es ist immer so, dass es im Winter Unwillen gibt, weil alle so eng zusammenhocken. Wirst sehen, im Frühjahr, wenn‘s Licht und Luft gibt und Arbeit auf dem Feld, sind sie froh über jede Hand, die anpackt. Musst es halt aussitzen. Jetzt hast du erst mal dein Baby, um das du dich kümmern kannst, dann feiern wir schön Weihnachten...“

      „Es ist aber schon beschlossen, dass wir wegziehen!“, fuhr Wilhelmine dazwischen. Das Baby war bei den lauten Worten zusammengezuckt und greinte. Erschrocken ließ die Ahna die Hand mit dem Kamm sinken. Wilhelmine wiegte das Kind und unterdrückte ein Schluchzen.

      „So eine Unvernunft!“, regte sich die Ahna auf. „Mit einem Neugeborenen wegziehen zu wollen. Das sieht dem Jacob ähnlich, nur Flausen im Kopf. Darf ich denn mein Enkelchen nicht aufwachsen sehen?“ Sie war aufgestanden und ließ sich jetzt verzagt auf einen Stuhl fallen. „Ach, Wilhelmine, wie soll ich’s mit Gertrud nur alleine aushalten? Sie kann einem das Leben sauer machen mit ihrer Art.“

      „Sie wird freundlicher sein, wenn wir weg sind!“, entgegnete Wilhelmine bitter. Versöhnlich fügte sie hinzu: „Hast ja noch Hanna und Ludwig. Hanna ist ein liebes Ding. Sie braucht dich, damit sie nicht so wird wie ihre Mutter.“

      „Trotzdem gefällt es mir nicht, ganz und gar nicht!“, beharrte die Alte. Niedergeschlagen nahm sie ihre Tätigkeit wieder auf und flocht Wilhelmines Haar zu zwei festen Zöpfen, die sie ihr auf dem Kopf feststeckte.

      „Vielleicht geht es uns ja woanders wirklich besser“, sagte Wilhelmine nach einer Weile leise. Die Ahna seufzte und nickte. Dabei hoffte sie aber von Herzen, dass die Ernten in den folgenden Jahren besser werden

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