Emilie. Angela Rommeiß

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Emilie - Angela Rommeiß

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      Gertrud nahm sich mit spitzen Fingern einen Maiskolben aus der Schüssel. Ihrem verkniffenen Gesicht war unschwer die Verachtung abzulesen.

      „Möchte wohl noch abgeholt werden, die Dame, wie? Mit zwei Rossen vor einer goldenen Kutsche, was? Wo sind denn Pferd und Wagen, die sie von hier mitgenommen haben? Trägt den halben Hausrat fort ...“

      „Aber Gertrud!“, rief Viktor. „Das war sein Erbteil!“

      „Na und?“, entgegnete sie spitz. „Haben alles verjubelt und kommen jetzt angekrochen, um sich auf unserer Hände Arbeit auszuruhen!“

      Viktor beugte sich vor. „Gertrud, mein Bruder ist tot! Das macht mich zum Vormund seiner Kinder, begreifst du das nicht? Ich kann sie doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen!“

      „Ich will sie aber nicht hierhaben!“, fauchte Gertrud böse.

      „Warum bist du nur so hartherzig, Frau?“ Viktor schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie hat hier gelebt, ihr habt euch gegenseitig bei den Geburten beigestanden. Sie war doch immer freundlich und bei allen beliebt – nur bei dir nicht! Seit Jacob und Wilhelmine weggezogen sind, durfte in deiner Gegenwart nicht einmal mehr über sie gesprochen werden. Die Kinder wissen gar nicht, dass sie einen Onkel hatten.“ Viktor wandte sich an Ludwig, der wie seine Geschwister den Vater verblüfft anstarrte. Solche Töne von ihm waren neu. „Kennst du noch deinen Onkel Jacob?“, fragte Viktor seinen Sohn.

      Ludwig schielte unsicher zur Mutter und hob die Schultern. „Hanna hat mir mal von Verwandten erzählt, die weggezogen sind, als ich noch klein war. Erinnern kann ich mich nicht.“

      „Du warst drei!“, nickte Viktor nachdenklich. Er war sichtlich erschüttert über den Tod des Bruders. Gertrud merkte, dass sie diesmal mit dem üblichen Befehlston bei Viktor nichts ausrichten konnte und verlegte sich auf überzeugende Worte.

      „Du musst doch einsehen, Mann, dass kein Platz im Hause ist. Es war damals schon sehr eng, als Hanna und deine Eltern noch hier lebten. Sechs Personen mehr! Herrjeh, wo sollen die denn hin in dem kleinen Haus?“ Giftig fügte sie hinzu: „Die meisten bauen ja schon ein Großes, nur du kannst dich nicht aufraffen!“

      Tatsächlich war es so, dass die Häuser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sogenannten ‚Kronshäuschen‘, sehr einfach gebaut waren. Anfangs hatten sie die Lehmhütten der Gründungskolonisten abgelöst und galten als modern, weil sie aus Stein erbaut waren. Sie bestanden aus zwei Zimmern, der Küche und dem Hausflur. Außer dem Pastorat, das schon damals mit Dachpfannen gedeckt war, bestand die Dachdeckung aller übrigen Häuser aus Rohr. In den Jahren um und nach der Jahrhundertwende setzte allmählich eine Veränderung der Hofanlagen ein. Man wollte es komfortabler haben. Die Männer schlugen Steine aus den Steinbrüchen am südlichen Höhenzug des Kogälniktales, welche gute Muschelkalksteine bargen, und bauten damit geräumige Häuser, breitere Stallungen, Mauern und Brunnen. Alles wurde hübsch weiß getüncht und war der Stolz eines jeden Hausherren. Im Winter, wenn die Feldarbeit ruhte, gingen die Männer in die Steinbrüche. Hatte die Gemeinde dorfeigene Steinbrüche, so wie es zum Beispiel in Teplitz und Alt- Elft der Fall war, hatte jeder Familienvater das Recht, so viele Steine zu brechen, wie er zum Eigenbedarf brauchte. Freilich gab es auch Unglücksfälle, bei denen es manchmal sogar Todesopfer zu beklagen galt. Vor vier Jahren hatte sich Viktor einen bösen Beinbruch zugezogen, als herabstürzende Steine ihn begruben. Er konnte froh sein, dass er mit dem Leben davongekommen war. Das Bein heilte, aber es schmerzte bei Wetterwechseln und schwoll an, wenn es zu sehr belastet wurde. Viktor humpelte leicht und mied fürderhin den Steinbruch. Das nahm ihm Gertrud übel, denn natürlich wollte auch sie ein großes Haus haben. Jetzt musste sie erleben, dass ein Nachbar nach dem anderen mit dem Bau begann, nur Viktor tat nichts dergleichen. Sein Ehrgeiz war dem jahrzehntelangen ehelichen Terror zum Opfer gefallen. Alle ihre Hoffnungen ruhten auf Ludwig, der nun langsam ein Mann wurde. Ludwig aber hatte vor, so bald wie möglich dem mütterlichen Einfluss zu entkommen. Er wollte sich, sobald er sechzehn Jahre alt war, irgendwo als Knecht verdingen - möglichst weit weg von zu Hause. Selbstverständlich verschwieg er seine Pläne. Gertrud meinte, sie hätte den Jungen genau wie ihren Mann unter Kontrolle. Ihr kam gar nicht in den Sinn, dass Ludwig rebellische Gedanken hegen könnte.

      Nach Gertruds Bemerkung über den gewünschten Hausbau hatte Viktor schweigend zu essen begonnen. Anschließend stand er auf und ging ohne ein Wort hinaus. Wahrscheinlich war, wie so oft, die Weinschänke sei Ziel. Gertrud starrte ihm mit finsterem Gesicht hinterher. Als auch noch die Haustür geräuschvoll ins Schloss fiel, war ihre Laune vollends verdorben. Die Kinder folgten ihrem Instinkt und verschwanden lautlos wie Mäuschen in ihren Löchern. Wütend räumte Gertrud den Tisch ab und schimpfte dabei vor sich hin.

      „Sie war freundlich und beliebt, pah!“ Viktor hatte Gertruds wunden Punkt getroffen. „ Außerdem hübsch und klug und von angenehmen Wesen – ich weiß, ich weiß!“ Aufgebracht stocherte Gertrud mit dem Haken im Feuerloch. „Das könnte der so passen, hier einfach wieder aufzutauchen und alle um den Finger zu wickeln! Jetzt bin ich hier die Hausherrin, und zwar alleine!“ Triumphierend richtete sie sich auf und schüttelte den Schürhaken gegen einen unsichtbaren Gegner. Dann lachte sie schrill. „Wenn ich die Alte losgeworden bin, schaffe ich das bei dir auch, mein Täubchen - wart’s nur ab! Und wenn ich wieder mal nachhelfen muss, dann tue ich das eben!“

      Gertrud beendete ihr Selbstgespräch, band die Schürze ab und verließ ebenfalls das Haus. In einer Ecke des Flures löste sich ein Schatten aus dem Dunkel. Betroffen schaute Ludwig seiner Mutter nach.

      Gertrud eilte zielstrebig die Straße hinunter. Den Nachbarinnen, denen sie begegnete, schenkte sie nur ein kurzes Nicken. Den alten Männern, die auf den Straßenbänken unter den Bäumen im Schatten saßen, gönnte sie einen knappen Gruß. Ihre geheuchelte Unterwürfigkeit gegenüber Höhergestellten und die rechthaberische Art, die sie Gleichgestellten gegenüber hatte, machte Gertrud im Dorf sehr unbeliebt. Die meisten Leute mieden sie. Da die Haischs auch keine weitläufige Verwandtschaft hatten wie die meisten Familien, blieben sie bei vielem außen vor. Zu Hochzeiten wurden sie nicht eingeladen, als Taufpaten wollte sie keiner haben, Frauennachmittage im Pfarramt fanden ohne Gertrud statt. Die Kinder vermieden es, Freunde mit nach Hause zu bringen, deshalb blieben auch sie unter den Schulkindern Einzelgänger. Einzig Viktor pflegte in der Weinschänke Kontakt zu den Nachbarn. So wie heute. Die Bauern bedachten ihn mit gutmütigem Spott. Viktor spürte jedoch, dass die Männer im Grunde Mitleid mit ihm hatten und so ertrug er auch ihre Verachtung. Heute saß er mit dem alten Anton Schütze in der Gaststube. Als einzige Gäste hockten sie am hintersten Tisch und tranken schweigend ihren Wein aus den groben Glasbechern.

      Viktor brütete über seinem Problem. Dieses Weib! Konnte sie nicht so sein wie die meisten anderen Frauen? Was hatte er nur damals an ihr gefunden? War sie jemals jung und hübsch und liebenswert gewesen? Viktor schüttelte resigniert den Kopf über sein Unglück.

      „Hast wohl Probleme daheim?“, fragte der Alte.

      Viktors trunkener Kopf ging vom Kopfschütteln in ein Nicken über.

      „Musst halt mal mit der Faust auf’n Tisch haun!“, schlug Anton vor. Feixend fügte er hinzu: „Aber sieh zu, dass du vorher das gute Tischtuch runternimmst, sonst kriegst Ärger!“ Er lachte schallend und schlug Viktor mit seiner derben Pranke auf den Rücken.

      „Ach, es ist viel schlimmer!“, seufzte Viktor. „Mein Bruder, der Jacob, ist in der Fremde gestorben.“ Anton wurde ernst. „Meine Schwägerin will nun wieder heimkommen, aber die Gertrud will sie ums Verrecken nicht dahaben. Was soll ich jetzt nur machen?“

      Anton verarbeitete die Neuigkeiten nur langsam. Auch er hatte schon einiges getrunken.

      „Jacob? Ach,

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