Emilie. Angela Rommeiß
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„Ziege!“
„Aber Kinder!“, mahnte die Mutter streng. „Esst jetzt und zankt nicht. Ihr müsst gleich los. Passt mir gut auf‘s Paulinchen auf!“
Paula durfte in diesem Winter das erste Mal mit in die Schule und war ganz begeistert. Strahlend und mit roten Wangen ging sie stolz zwischen ihren Geschwistern den langen Schulweg. Sie lernte gut. Zu Hause brachte ihr die Mutter noch das Schreiben und Lesen in deutscher Sprache bei. Das fiel Wilhelmine schwer, aber sie lernte es dadurch gleich selbst besser. Manchmal half ihr auch Emilie, wenn sie nicht weiterwusste. Die beiden Großen hatte damals Jacob die Buchstaben gelehrt.
Ach, Jacob! Wilhelmine dachte oft wehmütig an ihren Mann. Er fehlte ihr ständig. Darüber hinaus drückten sie finanzielle Sorgen. Im Frühjahr wurde die Pacht für das Häuschen fällig, wie sollte sie das Geld nur auftreiben? Sie hatte schon alles verkauft, was sich nur zu Geld machen ließ. Die Einkünfte aus den Handarbeiten reichten gerade so zum Leben. Es half alles nichts, sie brauchte eine Arbeit.
Als sie den Kindern nachschaute, die dick eingemummelt durch den Schnee stapften, waren schon einige Nachbarn auf der Straße unterwegs. Langsam belebte sich das kleine Dörfchen auf dem Hügel. Unten am Fluss lag die eigentliche Ortschaft Cherson, zu der das Dorf gehörte. Dort gab es auch Geschäfte und Werkstätten. Heute Nachmittag, wenn die Großen daheim waren, wollte Wilhelmine in die Stadt gehen und sich wieder einmal um Arbeit bemühen. Vielleicht fand sie etwas als Näherin oder Köchin. Viel Hoffnung hatte sie nicht, aber sie versuchte es dennoch. Wenn sie eine Arbeit fand, musste sie Emilie aus der Schule nehmen, denn da waren ja auch noch die Kleinen. Ach, wenn sie doch nur einen Webstuhl hätte!
„Das will ich nicht essen!“, sagte Selma und schob das Brot weg. Wilhelmine wandte sich seufzend den Zwillingen zu. Eduard langte sogleich nach dem Brot seiner Schwester und wollte es zu dem Stück in den Mund schieben, das schon seine Backen beulte. Er hatte immer Hunger! Wilhelmine nahm es ihm fort und stellte es wieder vor Selma hin. Doch die war mäklig. Sie mochte das schlechte Schrotbrot nicht, das wie Erde aussah und auch so schmeckte. Wenn wenigstens Butter drauf wäre! Aber es gab nur gesalzenes Schweineschmalz und das war schon alt.
„Iss, Kind, damit du groß und stark wirst. Bald ist Frühling, da gibt’s frisches Grün!“, versuchte die Mutter die Kleine zu trösten. Wenn der Schnee schmolz, suchten sie oft auf den Wiesen hinterm Dorf nach jungen Gänseblümchen, Löwenzahnblättern und Sauerampfer. Das gab einen erfrischenden Salat. Nach dem langen Winter mit einseitiger Kost hatten alle richtigen Heißhunger darauf. Aber dazu war es noch zu zeitig im Jahr, kein Blättchen zeigte sich auf den kahlen Flächen.
Wilhelmine sah nach, was sie noch in der Speisekammer hatte. Ein Bund Zwiebeln, drei Kürbisse und ein Säckchen Bohnen lagen noch da. Sie wünschte, es wäre ein Räucherschinken oder wenigstens eine Speckseite dabei! ‚Vielleicht mache ich heute eine Kürbissuppe ‘, dachte Wilhelmine bei sich. Dann hätten die Kinder heute Abend Kürbiskerne zum rösten. Die aßen sie so gern. Jacob könnte auch mal wieder zum Angeln an den Fluss gehen. Das tat er aber nicht gern, seit ihn mal große Jungen verprügelt, ins Wasser geworfen und seine Angelrute zerbrochen hatten. Er schnitzte sich danach zwar eine Neue, ging aber nur noch selten und am liebsten in Begleitung zum Angeln.
Als Wilhelmine den Hühnerstall ausmistete und die Kleinen im Schnee herumtollten, erschien plötzlich der Postzusteller auf dem Hof. Er war ein großer, dünner Mann mit einem gewaltigen, schwarzen Schnauzbart, der gerne mal ein Schwätzchen machte. Er war lustig, die Kinder mochten ihn. Meistens blieb er bei seiner wöchentlichen Tour kurz am Gartenzaun stehen und man wechselte ein paar Worte. Brachte er Post, bekam er einen Schnaps. Bei Haischs kehrte er nie ein. Heute jedoch kam er geradewegs auf den Stall zu, aus dessen offener Tür immer mal ein Haufen Stallstroh geflogen kam.
„Liebe Frau, wollen sie mich mit Mist bewerfen?“, rief der Mann laut und verdrehte theatralisch die Augen. Selma und Eduard kreischten vor Lachen. Erschrocken erschien Wilhelmine und ordnete schnell ihr Haar. Mit einer freundlichen Verbeugung reichte ihr der Postbote einen Umschlag und brachte sie damit in große Verlegenheit. Wo in alles in der Welt sollte sie einen Schnaps hernehmen?
„Nun, ich sehe, sie machen den Damen ein neues Bett!“, plauderte der Mann und deutete auf die Hühner, die gackernd ums Hühnerhaus drängten.
„Ach ja, sie sind nicht gern im Schnee!“, erwiderte Wilhelmine nervös und steckte den Brief in die Schürzentasche, damit sie ihn vor Aufregung nicht zerknüllte.
„Unsere legen zurzeit rein gar nichts, es müsste eben wärmer werden. Aber dann - plopp, plopp - kommen die Eierchen nur so geflogen, was?“ Der Mann schmunzelte und zwirbelte seinen Schnurrbart. Er hatte die Hoffnung auf ein Gläschen Schnaps noch nicht ganz aufgegeben, obwohl ihm seine langjährige Erfahrung sagte, dass hier nichts zu holen war. Alleinstehende Frauen hatten nur selten Alkohol im Hause und wenn doch - dann taugten sie nichts. Diese hier war ordentlich, das sah man gleich. Der Postbote scherzte mit den Kindern, die ihm lachend an den Beinen hingen. Wilhelmine hatte keine Lust auf Späße, sie wollte den Postboten so schnell wie möglich loswerden. Mit einem Blick hatte sie gesehen, dass der Brief aus Teplitz kam und war ganz begierig darauf, ihn zu lesen. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, machte sich der Postbote wieder auf den Weg. Wilhelmine eilte ins Haus und ließ die Kleinen draußen spielen. Mit zitternder Hand riss sie den Umschlag auf und entfaltete das Blatt. Dank ihrer Übungen mit Paula konnte Wilhelmine mühelos die gestochen scharfe Schrift des Primars lesen.
Als sie auf der Hälfte war, musste sie sich setzen. Sie las den Brief dreimal. Dann stand sie langsam auf und ging zum Ofen, auf dessen Sims das Holzkästchen und die Bibel lagen. Nachdenklich verstaute sie den Brief im Kästchen, legte die Bibel wieder obendrauf und verharrte dann, die Hände noch auf dem Buch, für eine ganze Weile. Dann hob sie plötzlich den Kopf, ihre Augen funkelten.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, sagte sie laut und entschlossen, drehte sich um und ging wieder an ihre Arbeit.
Der Primar hatte ihr in seinem Schreiben die Hilfe der Dorfgemeinschaft zugesichert und das Eintreffen eines Wagens für das Frühjahr angekündigt. Zwei Männer des Heimatdorfes sollten sie begleiten. Weiterhin hatte er versichert, dass Pflegefamilien bereit seien, die Kinder aufzunehmen und für ihren Lebensunterhalt und ihre Ausbildung zu sorgen. Da sie kein eigenes Einkommen und auch keinen ererbten Grundbesitz ihr Eigen nannte, sollte Wilhelmine einige Heiratsangebote prüfen, welche die Pfarrersfrau zusammengetragen hatte. Sollte ihr von diesen keiner zusagen, stand es ihr frei, als Dienstmagd in Stellung zu gehen. Von ihrem Schwager Viktor war in dem ganzen Schreiben nicht die Rede.
So sehr Wilhelmine auf eine Antwort aus der Heimat gehofft hatte, so sehr widerstrebte ihr jetzt dieser Brief. Was dachten die sich eigentlich? Sie konnte doch nicht einfach ihre Kinder an wildfremde Leute verteilen und irgendeinen alten Hagestolz heiraten! Doch je länger Wilhelmine darüber nachdachte und alle Möglichkeiten abwog, die das Leben für sie und die Kinder zu bieten hatte, desto mehr musste sie erkennen: Es blieb ihr gar keine andere Wahl. Wilhelmine war eine gottesfürchtige Frau, aber sie glaubte nicht an Wunder. Nur mit einem praktischen Verstand kam man durch dieses harte Leben, und mit diesem praktischen Verstand begriff sie langsam: Es ging nicht anders. Wollte sie das Beste für die Kinder, dann musste sie sie weggeben. Zu dieser Erkenntnis zu gelangen war für Wilhelmine ein langer und schmerzhafter Prozess. In vielen Nächten weinte sie sich in den Schlaf und ihr Herz war schwer vor Kummer.
In den folgenden Wochen wurde die Nahrung immer knapper und auch Geld war keins mehr da. Die Wintervorräte gingen schnell zur Neige, gerade drei Hühner gackerten noch im Stall. Bald mussten auch die geschlachtet werden, wollten sie nicht Hungers sterben. Die Kinder waren ausgemergelt und schlapp. Jacob bräuchte dringend neue Schuhe, aber die waren teuer! Weil die alten gar nicht mehr passen wollten, zog er kurzerhand die vom Vater an, obwohl ihm die noch drei Nummern