Emilie. Angela Rommeiß
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‚Vielleicht bekommt er ja bald wieder einen‘, dachte Wilhelmine traurig. Sie hatte bis jetzt immer noch nicht den Mut gefunden, den Kindern von der wahrscheinlich bevorstehenden Trennung zu erzählen. Wilhelmine beschloss, es ihnen erst in Teplitz zu sagen. So konnten sie die Fahrt genießen und später an diese Zeit als eine schöne Erinnerung zurückblicken. Als sie so weit mit sich im Reinen war, entspannte sich Wilhelmine und fand nun auch Gelegenheit, sich an der Reise zu erfreuen.
Die Kinder wunderten sich indes, dass die Mutter mit ihnen in letzter Zeit so übertrieben fürsorglich umging und alles erlaubte. Sie schimpfte nie, herzte und küsste ständig alle und ließ kein Kind an sich vorüber, ohne es in den Arm zu nehmen und liebevoll zu drücken. Emilie fand dieses Verhalten befremdlich. Es störte sie, dass die Mutter den Kleinen alles durchgehen ließ. Paula nutzte diese Freiheiten nämlich für etliche dumme Streiche. Sonst war die Mutter immer recht streng gewesen und achtete stets auf gutes Benehmen. Jetzt lächelte sie nur milde, wenn Paula vorlaut war oder die Kleinen sich beim Essen gegenseitig beschmierten. Jacob entzog sich gern der mütterlichen Umklammerung und verbrachte viel Zeit mit den Männern. Emilie beobachtete das alles mit immer größerem Unbehagen. Irgendetwas stimmte nicht!
Vor Kischinau kamen sie durch Weinberge. Leider begann nun ein stetiger Nieselregen zu fallen, so dass die Reisenden missmutig im Wagen saßen und die schöne Landschaft um sich herum gar nicht recht würdigten. Als sie aber die Hauptstadt vor sich liegen sahen, hob sich die Stimmung. Sie hielten auf einem Hügel und überblickten das Häusermeer. So viele Gebäude! Die Kinder staunten und riefen „Ah“ und „Oh“.
„Na, was hab‘ ich euch versprochen?“ Albert Hanemann wies stolz mit einer weiten Handbewegung auf die Stadt, als habe er sie selbst erbaut. Obwohl es ein Umweg war, hatten sich die Männer dazu entschlossen, die sichere Strecke über die Hauptstadt zu nehmen. Der Dnister war ein großer Fluss, von dem man im Frühjahr niemals wusste, wie viele kleinere Brücken er überschwemmt hatte. Bei Tighina gab es eine sichere Brücke. Sogar eine Eisenbahnbrücke war im Bau. Bequem waren sie im Wagen über den reißenden Fluss gerollt. Nun standen sie also vor Kischinau. Otto Jaske konnte den Kindern einiges von der Stadt erzählen, denn er war schon öfter hier gewesen. Eine Lederfabrik gab es hier, die entsetzlich stank. Auch die Milchkühe der deutschen Bauern mussten am Ende ihres Lebens ihre Haut hier zu Markte tragen. In der Stadt standen schöne Kirchen und andere imposante Gebäude. Die Straßen waren von großzügigen Stadtplanern lang und breit angelegt worden. Auf etlichen Märkten gab es alles zu kaufen, was man sich nur vorstellen konnte. Von überall her kamen die Händler und boten ihre Waren feil. Wie gern hätte Emilie dort einen Bummel gemacht! Die Männer jedoch wollten sich hier nicht lange aufhalten, denn es zog sie nach Hause. Außerdem hatte es vor kurzem politische Unruhen in der Stadt gegeben, bei denen sogar Menschen ums Leben gekommen waren. Juden, wie man hörte. Aus solcherlei Konflikten hielten sich die Bauern lieber heraus, deshalb ließen sie die Stadt jetzt hinter sich und rollten weiter Richtung Südosten. Gut die Hälfte der Strecke hatten sie bewältigt, und zwar die schwierigere. Schwieriger deshalb, weil das Gelände unwegsam und hügelig war und weil die Männer sich nicht auskannten. Südlich der Hauptstadt begann langsam die heimische Steppenlandschaft. Nun ging es auf öfter benutzten Wegen weiter.
„Die Pferde wittern Stallduft!“, behauptete Albert fröhlich, dabei hatte er selber Heimweh. Vielleicht hatte seine Frau schon das Baby bekommen? Mit jedem Tag, an dem sie gute Fahrt machten, wurden die Männer ungeduldiger. Sie wollten heim zu Frau und Kind, zu Hof und Feld.
Ottos Geschäfte waren gut verlaufen und er war zufrieden. Wenn er heim kam, wartete viel Arbeit auf ihn. Die junge Frau an seiner Seite tat ihm ein bisschen Leid. Sicher, es war üblich, dass eine Witwe wieder heiratete und ihre Kinder in Vormundschaft geben musste. Aber meistens waren es Verwandte, die sich der Kinder annahmen, oder sogar der neue Ehegatte. Wilhelmine unterhielt sich gern mit Otto Jaske. Er flößte ihr mit seiner ruhigen, bedächtigen Art Vertrauen ein. Außerdem tat ihr die Fürsorge gut, die der ältere Mann ihr angedeihen ließ.
Er achtete zum Beispiel darauf, dass sie am Lagerfeuer weich saß und nicht fror, nahm ihr öfter Arbeiten ab und bemerkte, wenn sie müde war.
Alberts Aufmerksamkeit galt mehr den Kindern. Er dachte sich lustige Spiele aus, wenn es langweilig wurde und erzählte den Älteren viel von ihrem Vater. Er war ja ein Freund von ihm gewesen und sprach gern über die gemeinsam verbrachte Jugend. Den Kindern gefiel das, aber Wilhelmine tat es weh. Deshalb hielt sie sich lieber bei Otto Jaske auf. Mit ihm konnte sie auch über die Zukunft sprechen. Natürlich vertraute sie dem Mann nicht ihre persönlichen Ängste an, das wäre zu weit gegangen. Trotzdem machte er ihr oft unbewusst Mut, wenn er voller Stolz über sein Dorf, die Gemeinde und die Kirche sprach.
Es war morgens gegen fünf Uhr. Alle lagen noch in tiefem Schlaf. Da begann eine Amsel ihr morgendliches Lied. Ihre wundervollen Triller schallten durch die Nacht und weckten die Sonne. Sie weckten auch Emilie. Still lag sie auf ihrem Lager aus Säcken. Neben ihr schnaufte Paula, drehte sich unruhig um und schlief weiter. Emilie lauschte der Amsel. Wie konnte ein so winziges Tier nur solche Laute hervorbringen? Ihr Tirilieren war so klar und rein wie das Wasser einer Bergquelle. Die vielfältigen Töne bildeten ein endloses Lied. Es war faszinierend.
„Dieses Vieh verfolgt uns schon seit Tagen!“, brummte Otto unwillig. Emilie musste lächeln. Der Zauber war gebrochen. Langsam erwachten die Schläfer einer nach dem anderen. Sie gähnten und reckten sich, klaubten ihre Sachen zusammen oder verschwanden kurz hinter den Büschen. Die Männer schirrten schon die Pferde an, während Wilhelmine noch ein Frühstück richtete. Heute hatten es die Männer eilig. Sie taten sehr geheimnisvoll und zwinkerten sich ein ums andere Mal zu. Der Tag begann ansonsten wie viele vor ihm. Langsam wurde es heller. Im Zwielicht der Morgensonne funkelten die Tautropfen auf den Gräsern. Zwischen den Bäumen und in den Niederungen hielten sich Nebelreste, bis auch sie von der steigenden Sonne aufgeleckt wurden.
Gegen elf Uhr begannen die Kleinen unruhig zu werden. Bis auf einer kurzen Pause waren sie stramm durchgefahren. Sonst machten sie um diese Zeit eine längere Mittagsrast, aber Otto und Albert fuhren weiter und schienen nach etwas Ausschau zu halten. Endlich kamen sie durch bewohntes Gebiet. Der Weg war ausgefahren, links und rechts der Straße gab es Pferdekoppeln und Kuhweiden. Sie durchquerten einen Hain mit blühenden Obstbäumen und sahen endlich ein Dörfchen vor sich liegen, dessen Einwohner geschäftig in den Gärten zu Gange waren. Weiße Wäsche leuchtete auf den Leinen. Sie hielten kurz an. Die Kinder kamen nach vorn und schauten den Erwachsenen über die Schultern.
„Das ist Blumental!“, sagte Otto.
Jacob begriff als erster. „Ein deutsches Dorf?“, rief er aus. Otto nickte.
„Ein rein deutsches Dorf.“, antwortete er und freute sich an den überraschten Gesichtern.
In manchen Ortschaften lebten einige deutsche Familien unter den Moldauern, aber das sah die Obrigkeit nicht gerne. Die Volksgruppen sollten unter sich bleiben. So wurden die Dörfer mit rein deutscher Bevölkerung immer häufiger, je südlicher man kam. Blumental war das erste auf ihrer Route und wahrscheinlich auch das kleinste.
Es gab die sogenannten ‚Kaschubendörfer‘, wo man plattdeutsch sprach, sowie die ‚Spätzleschwoba‘, das waren die Schwaben. Auch aus anderen Regionen Deutschlands wanderten Siedler ein und brachten ihre Mundart, ihre Sitten und ihre Eigenarten mit. Im Laufe