Emilie. Angela Rommeiß

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Emilie - Angela Rommeiß

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fand keine Arbeit in der Stadt, denn die Menschen hatten selbst nichts zu essen. Die wenigen Reichen stellten lieber Einheimische ein. Wegen ihres hellen Haares erregte Wilhelmine, als sie in Cherson auf Arbeitssuche war, die Aufmerksamkeit einiger Männer. Es waren zwielichtige Gestalten, die ihr bis nach Hause folgten und sich in den Abendstunden am Fenster einfanden, um ihr eindeutige Angebote zu machen. Wilhelmine stand Todesängste aus und verriegelte Türen und Fenster. Statt ihr zu helfen, schickten die Nachbarn nur argwöhnische Blicke und begannen alsbald zu tuscheln. Bald war die Fremde als Hure verschrien. Kein Ehemann verteidigte ihre Ehre, nicht mal einen Hund hatte sie zum Schutz. Selbst die Kinder bekamen Anfeindungen zu spüren. Als alleinstehende Frau war man Ungerechtigkeiten hilflos ausgeliefert, das musste Wilhelmine bitter erfahren. Die anhaltenden Feindseligkeiten und das schleichende Misstrauen vergifteten ihr das Leben, die bittere Armut laugte sie aus. Ach, wenn doch nur der Wagen käme!

      HEIMKEHR

      Der Leitermacher Otto Jaske und der Steinmetz Albert Hanemann machten sich Anfang März 1906 auf den langen Weg nach Cherson. Auf der eigens einberufenen Gemeindeversammlung sollte ausgelost werden, wer sich dieser Aufgabe stellen musste, die ja einige Wochen Verdienstausfall mit sich brachte. Doch eine Auslosung war gar nicht notwendig geworden. Der Vater vom Steinmetz Albert Hanemann hatte den jungen Jacob Haisch seinerzeit als Schmiedelehrling ausgebildet, dabei waren die gleichaltrigen Jungen gute Freunde geworden. Albert war auch erst Schmiedelehrling gewesen, fand dann aber keinen Geschmack am Eisen. Ihm lag mehr die Kunst im Blute, schöne Grabsteine zu hauen und mit Ornamenten zu verzieren. Die Steinmetzerei erwies sich als einträgliches Geschäft, welches Albert zu einigem Wohlstand verhalf. Mittlerweile hatte er einen Gesellen in der Werkstatt, sein großes Haus versorgte seine Frau mit einer Magd, im Hof und auf dem Feld arbeiteten mehrere Knechte. So konnte er es sich leisten, ein paar Wochen ‚Ferien‘ zu machen, wie seine Frau es scherzhaft nannte. Sie ließ ihn mit einem lachenden und einem weinenden Auge ziehen. Gewiss würde er ihr fehlen, zudem sie gerade ihr drittes Kind erwartete. Andererseits war sie als frommer Mensch natürlich stolz auf ihren Mann, der die barmherzige Aufgabe übernahm, die Witwe und die Waisen seines Jugendfreundes aus der Fremde heimzuholen.

      Die Motive dazu waren bei Otto Jaske eher geschäftlicher Natur, wenn auch nicht weniger ehrenhaft. Er verkaufte seine ‚Littern‘, wie die Leitern für die Leiterwagen genannt wurden, nicht nur unter der deutschen Bevölkerung Bessarabiens, seine Geschäftsbeziehungen führten ihn oft sogar bis zur Hauptstadt Kischinau. Bis zum Dnipro war aber auch er noch nicht gekommen. Meistens wurden geschäftliche Absprachen und Preisverhandlungen über Mittelsmänner geführt, was nicht immer zum Guten hinauslief. Außerdem war die Konkurrenz groß, man musste neuerdings auch Harken und Rechen herstellen, um den Umsatz zu machen, der notwendig war, eine große Familie zu ernähren. Und die hatte er! Zehn Kinder hatte seine gute Frau ihm geboren. Zwei starben im frühen Kindesalter, acht hatte Gott ihm gelassen. Otto Jaske gedachte, auf der Fahrt nach Cherson einige neue Abnehmer für seine Wagen und Gerätschaften zu gewinnen, deshalb war der zweite Freiwillige schnell gefunden.

      Von Viktor Haisch wurde eigentlich auch erwartet, dass er sich der Mission anschloss, schließlich war er der naheste Verwandte und der gesetzliche Vormund der Kinder. Aber Viktor erschien nicht mal zur Versammlung.

      Bei der Abfahrt war der Frühling in der Budschaksteppe schon zu spüren. Die Männer waren guten Mutes. Angetan mit ihren langen Schaffellmänteln, den ‚Fahrpelzen‘ und auf dem Kopf die hohen Pelzmützen, die so typisch für die bessarabischen Bauern waren, bereiteten sie sich auf die Reise vor. Gut verstaut lagen die Vorräte unter der Plane. Ihre Frauen hatten sie gut versorgt. Otto meinte lachend:

      „Ihr denkt wohl, wir fahren zum Mond und wieder zurück?“

      „Ach was!“, erwiderte seine Frau und packte noch ein Paket Brot und Speck dazu. „Wozu sollt ihr unterwegs zahlen, wenn’s hier mit Liebe zubereitet wurde!“ Schluchzend umarmte sie ihren Mann.

      Unruhig tänzelten und scharrten die Rosse mit dampfenden Nüstern und wollten los. Lange hatten sie im winterlichen Stall gestanden, nun witterten sie Morgenluft. Die Tiere, an harte Arbeit gewöhnt, wollten bewegt werden. Wenn es statt der eintönigen Feldarbeit einen Ausflug zu machen galt, umso besser!

      Winkend und rufend nahmen die Dörfler Abschied, dann setzte sich der Wagen rasselnd in Bewegung. Albert Hanemanns schwangere Frau Agnes stand mit den Kindern und den Bediensteten am Hoftor, winkte und wischte sich mit einem Tuche die Augen. Das letzte, was die Männer hörten, war das Geplärr von Alberts sechsjährigem Sohn, der durchaus nicht einsehen wollte, dass er zu Hause bleiben musste.

      Mehrere Wochen dauerte die anstrengende Fahrt.

      Die Männer verstanden sich gut und genossen die Abwechslung, die diese Reise ihnen in ihrem sonst recht eintönigen und arbeitsreichen Leben bot. Ende März, die ersten Frühblüher streckten gerade ihre Blütenköpfchen aus der Erde, kamen sie in Cherson an.

      Es war am frühen Abend, die kleineren Kinder waren schon in den Betten. Auch Emilie schickte sich an, schlafen zu gehen. Auf Handarbeiten hatte sie heute Abend keine Lust. Die Mutter drängte sie auch nicht. Als sich Emilie unter die Flickendecke kuschelte, krampfte sich ihr Magen vor Hunger zusammen. Die dünne Mehlsuppe, die es zum Abendessen gegeben hatte, hielt nicht lange vor. Sie war zwar heiß und würzig, jedoch wenig nahrhaft gewesen. Morgen früh würde es Tee und ein Stück Brot geben. Bis dahin war es das Beste, einfach einzuschlafen, dann musste man nicht immerzu ans Essen denken. Manchmal meinte Emilie, sie würde nie wieder richtig satt werden. SATT ! Schon dieses Wort war schön!

      „Satt, satt, satt.“, sang sie in Gedanken, schloss die Augen und gab sich ihrer Phantasie hin, die ihr Brathähnchen und Zuckerkuchen vorgaukelte. Als sie gerade ihre Zähne in ein Stück fetttriefendes Fleisch senken wollte, hörte sie Edi leise weinen. Das arme Kerlchen konnte nicht verstehen, warum er nichts zu essen bekam. Er war ja auch erst zwei. Wenn er größer war, würde er auch lernen, im Traum zu essen. In dem anderen Bett wälzte sich Paula unruhig im Schlaf. Paula! Neulich hatte sie Kerzenwachs gegessen und fürchterliche Bauchschmerzen bekommen. Zudem war die Kerze für die Kirche bestimmt gewesen und die Mutter schimpfte Paula tüchtig aus. Sie wurde schließlich bald sieben und sollte vernünftiger sein. Emilie drehte sich um und wollte einschlafen. Da klopfte es dreimal laut an die Tür. Sie schreckten hoch. Die Mutter rief auf Russisch: „Geht weg, was wollt ihr?“

      Männerlachen ertönte. Eine tiefe Stimme antwortete: „Begrüßt man so seine Landsleute?“

      Eine deutsche Stimme! Emilie sprang aus dem Bett, auch Paula sauste zur Schlafstubentür. Mit fliegenden Händen entriegelte Wilhelmine die Tür und öffnete sie dann zögernd. Da standen zwei bärtige Männer mit einer Laterne und der eine fragte mit stark schwäbischen

      Akzent:

      „Wohnt hier Wilhelmine Haisch, Witwe von Jacob Haisch?“

      „Ja, kommen sie doch herein!“, rief die Mutter erfreut und machte die Tür weit auf. Den Augen der Männer bot sich eine Wohnstube, die wohl sauber und warm, jedoch sehr ärmlich eingerichtet war. Am Herd stand ein dünner Junge mit großen, tiefliegenden Augen. Er hatte sich mit einem Feuerhaken bewaffnet. Albert erkannte sofort die Ähnlichkeit, die der Junge mit seinem Vater hatte. An der Tür zur hinteren Kammer drängten sich ein paar magere Kinder, sie trugen nur ihre Hemdchen und sahen blass und krank aus. Mit geübtem Blick sahen die Teplitzer gleich: Hier herrschte der Hunger. Auch die Frau war abgehärmt, hatte aber schöne Gesichtszüge und klare Augen, in denen jetzt Tränen der Freude schimmerten.

      „So kommen sie doch herein, ich - ich bin ja so froh, dass sie da sind - so zeitig! Möchten sie einen Tee? Sonst kann ich ihnen leider nicht viel anbieten, außer... vielleicht etwas Brot?“

      Der

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