Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe. Peter Urban
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Niemand hätte es ihm geglaubt, doch sein einziges Interesse an Charlotte galt ihrer ausgezeichneten Kenntnis der Landessprachen. Immer wenn er Zeit hatte, packte er seine Bücher in die Satteltaschen, ritt nach Chowringee und verbrachte Stunden damit, wie ein Schuljunge vor einer Schiefertafel zu sitzen, an die Charlotte Worte in Hindustani schrieb, die Arthur dann artig wiederholte, bevor er sie sorgfältig in sein kleines Notizbuch notierte.
Die beiden hatten ein sehr gutes Verhältnis, lachten viel zusammen und amüsierten sich – aber mehr auch nicht: Die Frau in Charlotte schien Arthur ebenso wenig zu interessieren, wie sie sich für seinen roten Rock und seine breiten Schultern interessierte. Man hätte glauben können, sie wären Bruder und Schwester.
Charlotte war so ganz anders als Katherine Pakenham zu Hause in Irland oder Henrietta Smith in Kapstadt. Sie hatte ihrer Brille wegen bereits in Kindertagen viel Spott ertragen müssen, doch statt sie zu verschüchtern, hatten der Spott und die Ablehnung sie selbstsicher und stolz gemacht. Charlotte trat ganz anders auf als die meisten jungen Mädchen in ihrem Alter: Sie kokettierte nicht und schmeichelte nicht, sie war selbständig, aufrichtig, mitunter sogar ruppig, und sie schien weder ängstlich noch schutzbedürftig zu sein.
Vor allem war sie überaus gebildet und intelligent: Weil ihr die meisten gesellschaftlichen Vergnügungen trotz ihres hohen gesellschaftlichen Ranges verschlossen geblieben waren, hatte sie die Zeit damit verbracht, zu lernen und ihren Verstand zu schulen. Sir Edwin Hall hatte den Lerneifer seiner Tochter noch gefördert, indem er sie von teuren Privatlehrern aus Europa unterrichten ließ. Außerdem war es ihr zur Gewohnheit geworden, alleine – oft in Landeskleidung – die neue Welt zu erkunden und die Einheimischen zu beobachten.
Als Arthur an diesem Nachmittag bei den Halls eintraf, erwarteten ihn keine Schiefertafel und kein Sprachunterricht. Noch bevor er sein Pferd in Sir Edwins Stall abgesattelt hatte, tauchte eine schmächtige Gestalt in Reithosen, einem weiten Hemd und einer bunt bestickten ärmellosen Weste neben ihm auf. Die langen Haare wurden von einem sorgsam geschlungenen Turban aus dunkelblau gefärbter Baumwolle verborgen. Nur an der kleinen runden Brille konnte man erkennen, dass es sich um die Tochter des Hauses handeln musste. Mit einer forschen Bewegung warf sie dem Kommandeur des 33. Regiments ein Bündel Kleider vor die Füße.
»Los, Wesley! Lasse den Sattel, wo er ist, und zieh den roten Rock aus. Wir werden uns heute amüsieren, und du wirst eine Menge über dieses Land erfahren.«
Während Arthur verdutzt das Kleiderbündel aufhob, schlug Charlotte ungeduldig mit einer Reitpeitsche gegen ihre Lederstiefel. »Beeil dich, oder wir verpassen das Spannendste«, trieb sie ihn an. Sie machte keine Anstalten, den Stall zu verlassen, also ergab sich der Offizier in sein Schicksal und zog Jacke und Hemd in ihrem Beisein aus. Charlottes blaue Augen blickten amüsiert hinter den Brillengläsern. Als Arthur sich ein weites Hemd, eine lange Jacke und eine Art Umhang mit Kapuze übergezogen hatte, nickte sie ihm zufrieden zu. Als er nach seinem Degen greifen und die Waffe wieder umgürten wollte, hielt Charlotte ihn zurück. »Lasse das Ding hier im Stall. Wo wir hinreiten, brauchst du es nicht.«
Sie öffnete die Tür der ersten Box und zog ein gesatteltes, dunkelbraunes Vollblut hinter sich in den Hof. Arthur folgte ihr mit seinem Goldfuchs. Nachdem beide aufgesessen und vom Grundstück der Halls zurück in die Chowringee getrabt waren, konnte Arthur seine Neugier nicht mehr zügeln.
»Was hast du vor, kleine Lady? Was soll diese Verkleidung?«
»Ich will dir etwas zeigen. Und wo wir hinreiten, ist es nicht angebracht, in europäischer Kleidung aufzutauchen. Wieviel Zeit hast du?« Charlotte trieb ihren Dunkelbraunen durch die Menschenansammlung, die um diese Tageszeit auf dem Shyambazar Gemüse und Obst einkaufte. Sie achtete dabei kaum auf die Fußgänger mit den schweren Lasten in geflochtenen Körben. Ab und an schimpfte man den beiden Reitern lautstark hinterher. Doch meist verstand Arthur die Schimpfworte nicht, denn Charlotte beeilte sich, und er hatte Mühe, ihr zu folgen.
»Der Rest des Tages und die Nacht gehören dir, kleine Lady. Und hinterher erschlägt mich dann dein Vater. Ich würde es ihm nicht einmal übelnehmen ...«
»Ach was! Papa weiß, dass ich mit dir ausreite!«
»Und er gestattet seiner Tochter eine solche Verkleidungskomödie? Was würden die anderen sagen, wenn sie wüssten, dass Sir Edwin Halls Tochter in Hosen und mit einem Turban auf dem Kopf durch die übelsten Viertel der Stadt reitet ... noch dazu mit einem Mann?«
»Was kümmern mich die anderen, Arthur. Ich will nichts von denen, und die wollen nichts von mir«, entgegnete Charlotte. Dann trieb sie ihr Pferd in einen scharfen Galopp.
Die beiden Reiter hatten soeben den Stadtrand Kalkuttas hinter sich gelassen. Auf die Menschenmengen, den Lärm und die Aufregung folgten mit einem Mal Einsamkeit und eine unendlich weite, flache, baumlose Ebene. Zwei Stunden lang folgte der Offizier dem jungen Mädchen schweigend. Das Tempo war halsbrecherisch, und ihr kleines Pferd verfügte über eine erstaunliche Ausdauer. Nur ab und an, wenn sie Wesleys Goldfuchs laut schnaufen hörte, wählte sie für wenige hundert Meter eine langsamere Gangart.
So plötzlich, wie sie hinter Kalkutta auf eine menschenleere Ebene gelangt waren, stießen die beiden auf einen dichten, grünen Dschungel, der sich entlang eines Nebenarms des Ganges auftat.
»Wie heißt der Fluss, Charlotte?« erkundigte Arthur sich ein wenig atemlos.
»Matla!« erwiderte das Mädchen gelassen. Der schnelle Ritt schien sie nicht im Geringsten anzustrengen.
»Willst du mir jetzt nicht wenigstens sagen, wohin wir reiten?« »Wir müssen in spätestens einer halben Stunde in Bramanagahr sein!«
Arthur sparte sich die Frage, wo sich Bramanagahr befand und warum sie so eilig dorthin mussten. Er beschränkte sich darauf, seinen Goldfuchs hinter dem Dunkelbraunen her zu treiben und von Zeit zu Zeit einem Hindernis auszuweichen. Sie mussten sich bereits mindestens zwanzig Meilen von Kalkutta entfernt haben, als Charlotte ihr Pferd zügelte und vom Weg ab mitten in den dichten Mangrovendschungel ritt. Arthur wusste, dass es Mangroven waren, weil er es auf einem Schild im Botanischen Garten von Kalkutta gelesen hatte.
Mit einem Mal wurde Charlotte gesprächig. Im ruhigen Schritt bahnten sich die beiden Pferde ihren Weg durch die Bäume. »Hier, siehst du? Diese Pflanzen heißen >sundri<. Die Gelehrten nennen sie auf Latein Heritiera litoralis. Sie haben der Gegend ihren Namen gegeben. Jetzt sind wir in den Sunderbans. Das wollte ich dir unbedingt zeigen. Außerdem ein Tier, das du noch niemals mit eigenen Augen gesehen hast ... Du musst jetzt nur genau hinter mir bleiben. Die Sunderbans sind eine Sumpflandschaft. Wer sich nicht auskennt, riskiert Kopf und Kragen.«
Arthur spürte, wie sein Hengst bis zu den Fesseln im weichen Boden versank. Doch Charlotte schien sich nicht zu bekümmern. Zielstrebig lenkte sie ihren Dunkelbraunen in einem Zickzack-Kurs durch die Mangroven hindurch. Aus den Baumwipfeln tönte lautes Vogelzwitschern. Ab und an trafen Sonnenstrahlen die Reiter und erleuchteten die Blätter um sie herum in einem frischen, hellen Grün. Die Hufe der Pferde schienen immer tiefer in den Boden zu sinken. Und immer noch wich Charlotte nicht von ihrem Kurs ab.
Arthur focht einen inneren Kampf aus. Sollte er umkehren oder einfach darauf vertrauen, dass dieses junge Mädchen wusste, was es tat? Er entschloss sich für die zweite Lösung. Neugierig schweiften seine Blicke zwischen den Bäumen hindurch. Wenn er es rascheln hörte oder Bewegungen sah,