Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe. Peter Urban
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An diesem Abend beruhigte Arthur sich mit dem Gedanken, dass er nicht alleine war, sondern umgeben von freundlichen, gutherzigen Menschen und in einem friedvollen Haus. Er redete sich ein, dass die Gespenster des Krieges solche Orte mieden wie die Pest. Darum verabschiedete er sich zwei Stunden später voller Zuversicht von seinen Gastgebern und zog sich in sein Zimmer zurück. Der Nachmittag mit Charlotte und der herrliche bengalische Königstiger, dem er in den Sunderbans begegnet war, waren der Stoff, aus dem ein wunderbarer, erholsamer Traum gemacht sein würde.
Charlotte hatte die Tür ihres Zimmers sorgsam hinter sich geschlossen. Doch anstatt sich auszuziehen und brav ins Bett zu gehen, wie es sich für eine Tochter aus gutem Hause um drei Uhr morgens gehörte, schlüpfte sie aus ihrem Kleid in eine bequeme lange Hose und ein weites Hemd. Dann öffnete sie mit allergrößter Vorsicht die Tür, die hinaus auf die Veranda führte. Indische Häuser hatten einen großen Vorteil: Sie bestanden nur aus großen, luftdurchlässigen Öffnungen, die hier und da ein schmales Holzteil zusammenhielt.
Im Schlafzimmer von Lady Hall erlosch das Licht schnell. Die Dame des Hauses hatte sich prächtig unterhalten und entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit drei Gläser schweren Rotweins getrunken. Rotwein und Wärme ließen jeden Menschen in einen Zustand wohltuender Trägheit und Müdigkeit verfallen. Bald schon vernahm Charlotte durch die dünnen Wände den gleichmäßigen Atem ihrer Mutter. Sie schien tief und fest zu schlafen. Aus dem Schlafzimmer ihres Vaters drang zwar noch sanftes Licht auf die Veranda, aber das junge Mädchen bekümmerte es wenig. Sir Edwin hatte die leidige Angewohnheit, vor dem Schlafen noch zu lesen. Meist jedoch blieb es bei dem Versuch, und er schlief bereits nach der ersten Seite ein. So auch diesmal: Die Kerze brannte zwar noch, aber das Schnarchen des königlichen Justizbeamten war kaum zu überhören.
Wie ein Geist schlich Charlotte auf der Veranda um das Haus herum bis zu den Gästezimmern. Sie bewegte sich lautlos, denn seit frühester Kindheit wusste sie genau, auf welche Holzleiste man treten konnte und welche quietschte. Sie unternahm oft nächtliche Ausflüge durch Kalkutta, von denen weder ihre Eltern noch die Bediensteten etwas wussten.
Als sie auf der entgegengesetzten Seite des großen Hauses angekommen war, stellte sie zufrieden fest, dass ihr Opfer offenbar nicht nur fest schlief, sondern ihr auch leichtes Spiel gewährte. Sie hatte sich bereits eingehend überlegt, wie sie in Wesleys Zimmer gelangen könnte, ohne ihn sofort zu wecken. Doch statt sich mit einer schwierigen Aufgabe konfrontiert zu sehen, die das Geschick eines Diebes und das Feingefühl eines Chirurgen verlangt hätten, fand sie sich vor einer geöffneten Tür wieder. Einige Augenblicke verharrte sie still. Als sie nur ruhiges Atmen hörte, schlich sie auf nackten Füßen bis zum Bett und öffnete vorsichtig das Moskitonetz. Dann legte sich ihre kleine Hand leicht auf die Schulter des Schlafenden.
Charlotte hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was nun folgte. Sie war dermaßen erschrocken, dass ihr der Schrei im Halse steckenblieb. Denn kaum hatte sie die Schulter berührt, schloss sich ein eiserner, schmerzhafter Griff um ihr Handgelenk, und sie spürte direkt unter der Kehle etwas Kaltes und Spitzes. Ein Paar graublauer Augen funkelte sie in der Dunkelheit an. Genauso schnell, wie man ihr Handgelenk gepackt hatte, ließ man es wieder los, und das kalte, spitze Objekt verschwand von ihrer Kehle. Leise hörte sie eine ruhige, emotionslose Stimme.
»Tu das nie wieder, kleine Lady! Ich hätte dir aus Versehen fast den Hals durchgeschnitten.« Und dann, mit einem leisen Vorwurf: »Es ist halb vier in der Früh, und du kommst ohne Vorankündigung in das Zimmer eines männlichen Wesens, ohne dich vorher zu überzeugen, ob der Herr in einem schicklichen Zustand ist oder nicht.«
Schemenhaft sah Charlotte in der Dunkelheit, wie zwei Hände blitzschnell das Leintuch über die Schultern zogen. »Dreh dich um, damit ich mich wenigstens wieder anziehen kann ...«, knurrte es nun etwas ungehalten unter dem weißen Stoff hervor. »Was willst du eigentlich?«
»Arthur, ich muss unbedingt mit dir reden! Unter vier Augen«, flüsterte Charlotte. Sie machte keine Anstalten, sich umzudrehen. Schließlich lief ganz Indien halbnackt durch die Gegend, aus Tradition oder wegen der Hitze. Charlotte kannte diese eigentümliche Scheu nicht, die den Offizier in diesem Augenblick plagte. Kalkutta und die Straße nach Benares waren voll mit Saddus, heiligen indischen Männern, die außer einer Blumengirlande um den Hals nichts trugen. Solange sie sich erinnern konnte, hatte sie nackte Menschen gesehen. Es dauerte einen Augenblick, bis Wesley begriff, dass das Mädchen weder provokativ noch schlecht erzogen war. Sie war einfach ein Kind ihrer indischen Welt. Während der ersten Tage in Indien hatten die unbekleideten Saddus Wesley schockiert. Inzwischen beachtete er sie gar nicht mehr. Wie konnte er da von Charlotte erwarten, dass sie sich umdrehte? Leicht beunruhigt kam er unter seinem Leintuch hervor. »Also, ich höre«, flüsterte er, während er den Baumwollstoff um die Hüften schlang und verknotete.
»Du kennst dich hier noch nicht richtig aus, und mit der Sprache hast du auch noch einige Probleme ... Ich dachte, du könntest vielleicht Hilfe brauchen, wenn du diesen militärischen Nachrichtendienst aufbaust ...«
»Kleine Lady, du musst völlig verrückt geworden sein. Überleg mal, was du da gerade gesagt hast. Weißt du, wie gefährlich solche Spiele werden können?« Arthur hatte sich neben Charlotte auf die Bettkante gesetzt und schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Eben, Arthur! Du hast den Punkt getroffen. Solche Spiele können verteufelt gefährlich werden, wenn man nicht weiß, was man tut, oder wenn man nicht weiß, mit wem man es zu tun hat ... Wie willst du überhaupt deine Agenten und Spione finden, wenn du dich nicht vernünftig mit ihnen verständigen kannst? Erwartest du etwa, dass alle hier so gut Englisch sprechen wie dein Diener Vingetty oder Lutuf Ullah?«
Der Kommandeur des 33. Regiments schrak zusammen, als Charlotte den Namen des Pferdehändlers aus Kabul nannte. Er ließ stets allergrößte Vorsicht walten, wenn er Lutuf besuchte, und bis vor wenigen Augenblicken war er felsenfest davon überzeugt gewesen, dass niemand das Geheimnis seiner nächtlichen Ausflüge nach Hoara kannte. »Wie bitte?« fauchte er Sir Edwins Tochter ungehalten an.
»Pssst, Arthur! Du weckst noch meine Eltern auf. Glaubst du etwa, du bist der einzige, der den alten Lutuf besucht? Ich kenne ihn, seit ich gehen kann. Man könnte ihn einen guten Freund nennen. Den Dunkelbraunen hat er mir letztes Jahr geschenkt, weil Papa ihm aus einer ziemlichen Patsche geholfen hat. Ein britischer Offizier wollte ein Pferd nicht bezahlen und hatte Lutuf verklagt, weil der Gaul angeblich schon krank war, als er ihn gekauft hatte ...«
»Hat Lutuf dir erzählt ...?« erkundigte Wesley sich misstrauisch. »Nein. Du kannst beruhigt sein. Der alte Lutuf ist verschwiegen wie ein Grab, aber vor ein paar Tagen war ich zufällig draußen in Hoara. Ich habe mich im Kaschmir-Serai herumgetrieben und gesehen, wie du ihn besucht hast. Mitten in der Nacht und ohne deine rote Jacke ... Sei vorsichtig, Wesley! Dein Goldfuchs ist ein viel zu auffälliges Pferd, um unbeobachtet waghalsige Ausflüge zu unternehmen, und dein Hindustani ... Du gibst dir redlich Mühe, aber schon am Akzent kann man bis auf eine Meile genau bestimmen, in welcher Ecke Irlands du das Licht der Welt erblickt hast.« Charlotte hatte den Kopf schief gelegt und schaute Wesley herausfordernd an. Ihr Blick löste genau die gewünschte Reaktion aus.
»So? Aus welcher Ecke denn?«
»County Meath!« Das junge Mädchen lachte leise. »Vermischt mit