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Bonnie nahm den Weg durch das rückwärtige kleine Tor in der Mauer zum Fluss hinunter. Nebel hing über den Flussauen, den Wiesen und Weiden. Einmal glaubte sie durch das Grau die Silhouette eines Ponys hinter einem Weidezaun zu erkennen, aber als sie mit flatterndem Magen ein zweites Mal hinblickte, war da wieder nichts als eine graue Nebelwand. Ein Pony, das tötete, nahm auf dem Rittergut Lieberthal eine höhere Stelle ein als die Witwe dessen, den es getötet hatte, soviel war ihr mittlerweile klar geworden. Es gehörte zur Familie, während sie nach wie etwas behandelt wurde, das die Katze ins Haus getragen hatte.
Sollte sie Uschi bitten, zu kommen? Sich Beistand für die Beerdigung holen? Eine schnoddrige Berliner Schnauze, die der Gräfin Kontra gab und mit ihrer Unverblümtheit Helene in abgrundtiefe Verlegenheit stürzen würde? Nein, besser nicht. Es war vielleicht einfacher, den Horror ohne beste Freundin durchzustehen. Auf sich selbst gestellt, widerstanden Körper und Geist eher der Versuchung zusammenzuklappen und als heulendes Elend an einer vertrauten Schulter herumzuhängen. Außerdem gehörte Uschi, finanziell gesehen, zur Spezies der Pleitegeier. Sie war keine Diplom-Bibliothekarin wie Bonnie, sondern nur Bibliotheksassistentin, verdiente nicht gerade üppig, gab aber ihr Gehalt in einer Geschwindigkeit wieder aus, die schon an Panik vor einem Bankencrash grenzte. Und sie gab es fast ausschließlich für Kleidungsstücke und Körperschmuck wie Zungenpiercing und Pobackentattoos aus. Je schriller, desto schöner. Zurzeit waren ihre Haare neonorange. Bonnie stellte sich das gesammelte Storkenburg’sche Entsetzen angesichts des schillernden Paradiesvogels vor, während sie durch das kniehohe Gras der beinahe zugewachsenen Feldwege stapfte. Nach einer Weile bog sie auf den Trampelpfad ein, der von der Straße zum Fluss hinunterführte. Am Tag ihrer Ankunft war sie genau hier mit Quentin übermütig über die Wiesen getollt. Später waren sie lachend und erschöpft zwischen Mohn und Kornblumen, zwischen Schafgarbe und Wiesenschaumkraut zu Boden gesunken und hatten sich geliebt.
Sie biss sich auf die Lippen und schniefte laut. Kein Taschentuch im Parka. Na und?, dachte sie schluchzend und aufsässig und schniefte extra laut. Sollten doch dem gräflichen Drachen die Ohren abfaulen. Was kümmerte sie das? Von sofort an würde sie schniefen, wo und wann es ihr passte, und wer sich daran störte, sollte ihr gefälligst aus dem Weg gehen. Sie trat voll Zorn nach einem Stein auf dem Weg und schrak zusammen, als eine fette graue Kröte quer über ihre Füße hopste. Alles war noch grau in dieser Stunde nebeligen Zwielichtes. Selbst der Fluss floss grau und träge der See zu, während Bonnie zusammengesunken auf einem Baumstumpf hockte und aufs Wasser starrte. Ab und an tauchten zwischen vorüberziehenden Nebelschwaden bizarr geformte Trauerweiden am anderen Flussufer auf und versanken dann wieder im Nichts.
Sie fror, stülpte sich die Kapuze über den Kopf und schnupperte hoffnungsfroh am dicken, karierten Futter. Nichts. Gar nichts. Nicht einmal der Hauch eines Geruches, der sie an Quentin erinnerte. Kein Aftershave, kein Eau-de-Toilette, nicht einmal Schweiß. Der Parka roch nur muffig. Nass geworden und im Garderobenschrank unzureichend getrocknet.
Während die Nebelschwaden durchscheinender wurden, dachte sie an Berlin und ihre erste Begegnung mit Quentin. Es war im Großen Tiergarten gewesen, zur Rosenblüte, und ihm war die Rolle des ritterlichen Helden und ihr die der bedrohten Jungfrau zugefallen, auch wenn Letzteres nicht ganz wörtlich zu nehmen war. Ein Stricher entblößte sich vor ihr, um zu beweisen, was für aufrechte Freuden sie bei einem Nümmerchen hinter dem nächsten Busch erwartete. Ein arbeitsloser Tischler, der, wie sie später erfuhr, tagtäglich seine Runden durch den Tiergarten drehte und diverse Liebesdienste anbot. Ein Opfer der neuen Sozialreformen, dem plötzlich die staatliche Beihilfe versagt wurde, weil es da seine Frau gab, die verdiente. Seine Frau, eine Friseurin, die der Staat kurzerhand dazu verdonnerte, ihren Gatten finanziell zu unterhalten. Dieser Tischler jedenfalls stieg neben ihr vom Fahrrad und fragte sie nach dem Weg zum Potsdamer Platz. Während sie ihn ihm beschrieb, wandte er sich einen Moment lang von ihr ab, und als er sich wieder umdrehte, stach ihr unter aus offener Hose sein erigiertes Glied entgegen.
Quentin, der querfeldein über eine Wiese gejoggt kam und unmittelbar vor ihnen auf den Weg stürmte, hatte er nicht kommen sehen. Quentins Faust ebenfalls nicht. Er lag auf dem Rücken, bevor er das Werkzeug seiner Dienstleistung wieder in die Hose zurückstopfen konnte. Nach dem ersten Schock und der überstürzten Flucht des panischen Tischlers war Bonnie in hysterisches Gelächter ausgebrochen.
»Oje, tut mir schrecklich leid. Ich hoffe, der Kerl war nicht ihr bester Freund«, hatte Quentin in gespielter Zerknirschung gesagt und sie mit seinen kornblumenblauen Augen angelächelt. »Aber bei uns auf dem Land gibt es leider nur diese eine Antwort auf ein derart unentschuldbares Verhalten einer Dame gegenüber. Das geht da noch zu wie im Wilden Westen.« Er trug ein ledernes Handtäschchen an einer Schlaufe ums Handgelenk und einen Fotoapparat um den Hals. Sie war vor Lachen beinahe erstickt, aber bevor er sich pikiert davonschleichen konnte, hatte sie es geschafft, ihm gebührend zu danken.
Danach war eins zum anderen gekommen. Ihr gemeinsamer Weg aus dem Tiergarten, wobei er drohend die Büsche musterte, als ob hinter jedem ein geschäftstüchtiger Stricher lauere, ihr kurzer Stopp an dem Polizeiwagen, in dem ein Uniformierter in ein Döner Kebab biss, die Jacke schon mit Soße und Tomatenstückchen bekleckert, und ohne großes Interesse Quentins empörten Worten lauschte. Es folgten die Fetuccini im Marlene am Potsdamer Platz, schräg gegenüber des Musicaltheaters und schließlich, zum Abschluss des Tages, ein 3-D-Film über Dinosaurier im I-Max, alberne Pappbrillen auf der Nase. Beim Abschied gab sie ihm ihre Telefonnummer, obgleich er durchblicken ließ, dass er wohl keine Zeit für eine Verabredung finden werde, er müsse schon am nächsten Tag nach Hohenfurt zurück. Nur ein Wochenende in Berlin. Das war an einem Sonntag gewesen. Enttäuscht fragte sie ihn, was noch auf seinem Besichtigungsplan stünde, und als ihm spontan Flughafen Tegel entfuhr, musste sie sich auf die Lippen beißen um nicht mit einem Toll, da komm ich mit herauszuplatzen. Obgleich sie genau genommen Flughäfen ebenso wenig abgewinnen konnte wie Bahnhöfen, es sei denn, man fuhr sie gezielt an, um zu verreisen. Aber sie drängte sich ihm dann doch nicht auf und sah mit Befremden eine gewisse Erleichterung in seiner Miene auftauchen. Wieder nichts, hatte sie frustriert gedacht, der Typ will dich nur noch loswerden.
In der U-Bahn, auf dem Weg nach Kreuzberg, war er ihr trotzdem nicht aus dem Kopf gegangen. Sein offenes Wesen, sein Humor, die kräftige Gestalt in Lederjacke und Cordhosen, der dichte goldblonde Schopf, die kornblumenblauen Augen, eine Faust, die nicht zögerte, einer bedrängten Frau beizustehen ... Beim dritten sehnsuchtsvollen Seufzer hatte ihr Nachbar, ein übergewichtiger Türke, sie angesprochen: »Deutsche Männer nix gut in Liebe«, und seinen Neffen Murad angepriesen wie Sauerbier. Noch so ein Ladenhüter wie du, hatte sie voll Selbsthass gedacht und war am Kottbusser Tor in einer so sichtbar miesen Laune ausgestiegen, dass ein Obdachloser, der ihr den Straßenfeger verkaufen wollte, hurtig den Rückzug antrat. Später taten natürlich noch Quentins vollständiger Name und sein Adelstitel ein Übriges, aber das war erst viel später, unmittelbar vor der Hochzeit gewesen: Quentinius Albertus Baron von Storkenburg vom Rittergut Lieberthal bei Hohenfurt. Tatsächlich kannte sie bis zu seinem Heiratsantrag nur seinen Vornamen. Quentin. Quentin, der Sohn des Bauern Sowieso. Hatte sie zumindest angenommen. Doch dann kniete er plötzlich vor ihr, eine rote Rose in der Hand, und begann: »Ich Quentinius Albertus Baron von Storkenburg bitte dich Bonita Alvarez ...« Und dann kam all der romantische Quatsch, bei dem sie vorm Fernseher genervt nach der Fernbedienung suchte und nun, da es ihr selbst geschah, mit Tränen der Rührung in den Augen Ja doch, ich will