Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer
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Читать онлайн книгу Ehre, wem Ehre gebührt - Charlie Meyer страница 12
»Darf ich fragen, was diese Aufmachung zu bedeuten hat?« Gräfin Wilhelminas scharfe Stimme verloren sich in der Akustik der großen Halle zu ungewohnter Piepsigkeit. Ihr kalter Blick nicht. Er umfing Bonnie von Kopf bis Fuß. Die ungekämmten kupfernen Locken, die vom Weinen rot geränderten Augen, die rote Nasenspitze, der Schlabberpullover, die hochgekrempelten Jeans und die dicken Wandersocken, die sie in den Gummistiefeln getragen hatte.
»Ich war spazieren«, entgegnete sie trotzig. »Oder ist das in euren Kreisen ebenfalls verpönt?«
»Durchaus nicht. In unserem Kreisen ist lediglich Liederlichkeit im Aussehen verpönt. Wie kannst du es wagen, dich ausgerechnet heute in einem derartigen ... Aufzug der Öffentlichkeit zu präsentieren? Du schadest damit der Reputation deines Mannes.«
»Du meinst, eine höhere Reputation macht ihn wieder lebendig?«, fragte Bonnie scharf zurück, während ihr schon wieder das Wasser in die Augen schoss.
»Sei nicht albern, aber die Storkenburgs haben einen ausgezeichneten Ruf zu verlieren, und ich werde dafür sorgen, dass nicht du es sein wirst, die ihn zerstört. Es wäre mir persönlich lieber, dich hinter verschlossenen Türen und Fenstern auf dem Gut zurückzulassen, aber es gehört sich nun mal, dass du im Bestattungsinstitut anwesend bist. Wenn du dich also auf deine Pflicht besinnen könntest, Helene hat dir passende Trauerkleidung auf dem Bett bereitgelegt. Und beeil dich bitte, die Limousine wartet bereits vor den Stallungen.«
»Na toll«, brachte Bonnie mühsam über die Lippen und wandte sich dann, weiß vor Zorn, Leonard zu. »Was ist mit dir, wolltest du mir ebenfalls noch etwas mitteilen?«
»Ja, will ich in der Tat. Wenn ich das nächste Mal höre, dass du meinen Jungen geschlagen hast, findest du dein Gepäck auf der Straße wieder. Noch vor der Beerdigung, damit das klar ist.« Seine Stimme grollte von den Wänden wider. Aus der Sicherheit seines Armes heraus grinste Robin sie hämisch am, bevor er erneut losheulte und sich die Wange hielt.
»Das kannst du dir sparen, ich reise freiwillig und mit dem größten Vergnügen ab. Aber falls dein missratener Sohn vorher noch einmal seine Zwille auf mich richtet, wird er schneller laufen müssen als heute. Wenn ich ihn erwische, bringe ich ihm bei, wie man in meinen Kreisen unverschämte Kinder bestraft. Also halt ihn von mir fern und jetzt gib mir gefälligst den Weg frei Bevor ich irgendwohin fahre, verehrte Gräfin Wilhelmina, werde ich mich an den Küchentisch da drin setzen und eine Tasse Kaffee trinken.« Sie trat, die Fäuste in die Seiten gestemmt, direkt auf Leonard und Robin zu, bebend vor Zorn und wild entschlossen, sie einfach über den Haufen zu rennen. Doch Leonard tat ihr den Gefallen nicht. Er wich in letzter Sekunde aus, den Filius am Kragen.
Die Gräfin in ihrem Rücken gab einen erstickten Ton von sich, der nur eines Vokals bedurfte, um das ganze Ausmaß ihrer Entrüstung preiszugeben. Leonard hingegen brüllte sie an: »Fang besser schon an zu packen, denn sobald sich die Gruft hinter deinem Trottel von Ehemann geschlossen hat, stehst du vor dem Tor.«
Sie fuhr herum und brüllte zurück. »Gut, okay! Das kommt mir ausgesprochen entgegen. Ich könnte es auch kaum aushalten, mit einer Intelligenzbestie wie dir unter einem Dach zu leben. Wie hoch sagst du ist dein IQ?«
Helene, wie immer scheu wie ein Reh, räumte gerade das einsame, nicht genutzte Gedeck vom zerkratzten Küchentisch, das wohl für sie, Quentins Witwe, gedacht gewesen war, und Bonnie war mit einem Satz neben ihr und riss ihr die leere Kaffeetasse aus der Hand. »Danke vielmals, dass du noch diese zwei Minuten hast warten können. Wirklich sehr zuvorkommend. Weißt du, Helene, in eure Familie eingeheiratet zu haben, wird mir auf ewig ein unauslöschliches Erlebnis bleiben. Survival-Training auf einem heruntergekommenen Rittergut. Klasse!« Sie füllte sich Kaffee aus der Glaskanne der Kaffeemaschine ein, ließ sich mit dem Rücken zur Tür auf einen Stuhl plumpsen, stützte die Ellenbogen auf, die Tasse wenig kniggemäßig in beiden Händen, und verbrannte sich beim ersten Schluck den Gaumen. Nach Helenes hastiger Flucht aus dem Raum war der breite Kronleuchter mit den elektrischen Kerzen in eine sanfte Schwingung geraten. Bonnie folgte dem Hin und Her mit nassen Augen und wartete darauf, dass der Hypnotiseur endlich neben sie trat und sie mit einem Schnippen des Fingers aus diesem Albtraum in die Wirklichkeit zurückholte. Dass sie voll Energie und Vorfreude auf den Tag die Füße aus dem Bett schwang, aus dem Fenster ihrer Wohnung am Planufer sah und bei dem vertrauten Anblick des Landwehrkanals mit seinen Brücken und Schwänen drei Etagen tiefer erleichtert seufzte. Dass sie Uschi anrief und sich für den Abend mit ihr auf eine Pizza Frutti di Mare und ein Kristallweizen in der Pizzeria nebenan verabredete. Dass die Kollegen eine E-Mail auf den Weg schickten, der Betrieb in der Bücherei bräche ohne sie zusammen.
Dass sie einfach nur aufwachen und dann wieder neu einschlafen und neu träumen durfte. Eine neue Chance bekam. Doch es kam niemand, sie zu wecken. Der Albtraum ging weiter.
4
»Oberst und Polizeipräsident a. D. Anton Baron von Weißenstein«, lautete die gleichmütige Antwort des Chauffeurs auf Bonnies Frage nach dem Besitzer der Limousine. Mit seinem langen Pferdegesicht sah er Fernandel ähnlich, und dass er ihr tatsächlich antwortete, erstaunte sie. Hinter Gräfin Wilhelmina und Leonard in seinem zu engen schwarzen Anzug schloss sich gerade lautlos die Tür des Bestattungsinstitutes. Es lag inmitten der Fußgängerzone zwischen Juwelier und Hochzeitsausstatter in bester Gesellschaft. Unbedarfte konnten die Schaufensterdekoration auf dem weißen Spitzensatin durchaus für eine kostbare Sammlung Deckelvasen in künstlerisch zusammengestelltem Ensemble halten. Vor der silbernen Urne in der Mitte drapierte eine einzelne blutrote Rose, deren wie zufällig abgefallenes Blütenblatt neben der ansonsten prallen Blüte von matt glänzenden Perlen beweint wurde. Von echten Perlen, so wie es aussah.
Trotz Fahrverbot in der Fußgängerzone stieß sich die Obrigkeit nicht an der langen schwarzen Limousine des Barons vor dem Bestattungsinstitut. Zwei Politessen schlenderten plaudernd vorbei, die Blicke konzentriert in weite Fernen gerichtet. Über der Tür des Ladens stand in schnörkeliger Silberschrift lediglich Noblesse. In stiller aber panischer Verzweiflung suchte Bonnie nach einem Weg, nicht dort hinein zu müssen. Die Augen des Chauffeurs musterten sie emotionslos im Rückspiegel. Hoch erhobenen Kopfes stieg sie aus dem Wagen, ging die paar Schritte zur Eingangstür, und während sie noch mit sich kämpfte, öffnete sich die Tür von innen und der Inhaber des Bestattungsunternehmens Noblesse leitete Bonnie mit gekonnten Bücklingen in sein Institut.
Gräfin Wilhelmina und Leonard saßen auf zierlichen Stühlen mit geschwungen Beinen und empfingen sie schweigend.
Hingegen geriet die Begrüßungs- oder Einleitungsrede des Bestatters zu einer nicht enden wollenden Laudatio auf den Verstorbenen. Seine Plattitüden wie selbst im Tode noch ein Bild von einem Mann oder in der Blüte seiner Jahre aus einer Zukunft gerissen, wie sie nicht hoffnungsvoller hätte sein können, zerrten unerträglich an Bonnies Nerven. Sie versuchte wegzuhören, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, aber diese halbe Stunde im Bestattungsinstitut Noblesse geriet zu einer Tortur, die ihr nie aus der Erinnerung kommen sollte. Später führte die Gräfin die Verhandlungen. Sie erteilte die Anweisungen zur Beerdigung, bestimmte den Blumenschmuck und händigte dem Bestattungsunternehmer die Liste der Gebetenen für die Beisetzung aus. Hinz und Kunz waren unerwünscht. Bei dieser Gelegenheit besprach sie kurz mit Leonard die Gästeliste für das abendliche Buffet auf Gut Lieberthal. Sie wählte die Musik für die Trauerfeier aus, gab den Namen des gewünschten Pfarrers bekannt sowie die Hauptpunkte seiner Predigt.
Bonnie, unfähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen, schluckte an dem Mühlstein in ihrem Hals und rang mühsam nach Fassung. Immer wieder schweiften ihre Blicke im Raum umher, wusste sie doch Quentin mit seinem zerschmetterten Hinterkopf in allernächster Nähe. Als die Gräfin entschied, es sei Zeit, Abschied von Quentin, Baron zu Storkenburg, zu nehmen, brach sie in