Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer

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Ehre, wem Ehre gebührt - Charlie Meyer

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eilends in den Laden zitierte Chauffeur mit dem Pferdegesicht brachte sie zur Limousine zurück und bugsierte sie auf den Rücksitz, wo er ihr eine Packung Kleenex in die Hand drückte. Währenddessen betraten die Gräfin und ihr bürstenhaariger Großneffe Leonard den das Aufbahrungszimmer. Als sie der Bestatter zehn Minuten später unter den Bücklingen des Bestatters auf die Straße geleitete, waren Bonnies Tränen versiegt, und sie hing nur mehr erschöpft in einer Ecke der Polster und ließ den stummen Tadel ebenso stumm über sich ergehen.

      Es gab nichts mehr aufzubegehren. Was die Schicksalsgöttinnen und Wilhelmina Magdalena Elisabeth Gräfin von Hohenried zu Wildenschloß bestimmten, wagte kein gewöhnliches Menschenkind infrage zu stellen. Ihr Zorn vom Morgen war zu einem Häufchen widerspruchsloser Hilflosigkeit zusammengeschmolzen. Ihr Kopf schmerzte, ihre Augen brannten und das Wollkleid juckte. Dann begannen auch noch ihre Kiefermuskeln zu zucken, so sehr presste sie die Zähne zusammen, aus Angst noch einmal vor der blaublütigen Verwandtschaft die Haltung zu verlieren. Mit knirschenden Zähnen hockte sie in ihrer Ecke der Limousine, als sie durch die verwinkelten Gassen der Altstadt mit ihren schiefen Fachwerkhäusern kurvten, während Leonard, der ihr auf der Bank gegenübersaß, demonstrativ zwischen Bonnie und Gräfin hindurch aus dem Rückfenster spähte. Einmal sah sie ein leises Lächeln über seine Züge huschen. Lebte er sich schon in seine neue Rolle als Rittergutsbesitzer ein?

      Mit zusammengepressten Zähnen folgte sie ihm Minuten später auf den städtischen Friedhof. Gräfin Wilhelmina wartete im Auto, während Quentins grobschlächtiger Cousin mit knapper Handbewegung auf die schwere schwarze Grabplatte mit dem Familienwappen wies, die die Gruft der Storkenburgs abdeckte und von einem pathetisch blickenden Engel in menschlicher Größe bewacht wurde. Er war schon beinahe grün vor Patina und hielt das Wappenschild der Familie in Händen. Ein diagonal geteiltes Schild. Zwei gekreuzte silberne Lilien auf blauem Grund oben links, ein blauer Löwe auf Silber unten rechts. Über beidem ein Helm, den mächtige Federn zierten. Ein stolzes Wappen, das jedoch, wie der Engel, dringend einer liebevollen Aufbesserung bedurft hätte.

      Hinter der Grabplatte ragte schwarzer Marmor in Form einer dreischiffigen Basilika auf, deren Mittelschiff die beiden nach außen hin schräg abfallenden Seitenschiffe um einen geschwungenen Spitzbogen überragte. Von allen drei Teilen leuchteten ihr in Goldgravur die Namen der in der Gruft unter der Grabplatte beigesetzten Mitglieder des Adelsgeschlechtes derer von Storkenburg entgegen. Das älteste Begräbnis datierte aus dem Jahr 1832. War nicht Goethe in dem Jahr gestorben? Ob die Kollegen in der Lichtenrader Bücherei manchmal an sie dachten? Bonnie schluckte und zwang sich, auch die anderen Daten und Namen zu lesen, aus Pietät vor den Verstorbenen oder weil sie dachte, Leonard und die Gräfin erwarteten dies von ihr - sie wusste selbst nicht warum. Sie umklammerte die Spitzen des schmiedeeisernen Gitters, das die Grabstelle weiträumig umgab und in dem in regelmäßigen Abständen und abwechselnd die beiden Heroldsbilder des Wappenschildes auftauchten: Lilie und Löwe als Symbole von Reinheit und Wehrhaftigkeit. Wo ruhten diejenigen, deren Todesjahr vor 1832 lag? In der Gruft unter der maroden Gutskapelle? Sie war nie über die Absperrung gestiegen aus Angst, die Kapelle krache just in diesem Moment in sich zusammen.

      Die Namen der toten Frauen und Männer auf den drei Marmorplatten der Basilika lasen sich wie der Index eines Adelsverzeichnisses. Bonnie fiel auf, das vor Quentin kein einziger Spross der Familie Storkenburg, egal ob Männlein oder Weiblein, unter seinem Stand, sprich eine Bürgerliche oder einen Bürgerlichen, geheiratet hatte. Möglicherweise hielten sie sich aus diesen Kreisen Liebhaber oder Mätressen, doch geehelicht wurde ausnahmslos adlig. Mit mit dem Namen Laetitia Eulalia, Baronin von Storkenburg, geborene Gräfin von Hohenried zu Wildenschloß gesellte sich zu der Schar niederer Freifrauen und Baroninnen, Freiinnen und Baronessen 1938 so etwas wie Hochadel. Quentins Großmutter lag also hier, die lächelnde junge Frau vom Ölbild im Damensalon, Gräfin Wilhelminas Schwester, die nur Monate nach der Geburt von Quentins Mutter an Schwindsucht gestorben war. Die letzten beiden Namen auf den Marmortafeln lauteten Roland von Storkenburg und Justus von Storkenburg, Quentins und Leonards Väter also, die Zwillingsbrüder.

      Quentins Mutter lebte vielleicht noch, aber laut Quentin wurde auf Gut Lieberthal eher kollektiver Selbstmord begangen als ihr Name ausgesprochen. Elisabeth von Storkenburg, geb. Freiin von Rosenthal, war kurz nach dem vierten Geburtstag ihres einzigen Sohnes am Hohenfurter Bahnhof mit leichtem Gepäck - dem Familienschmuck - in einen Zug gestiegen und an irgendeinem Schnittpunkt des europäischen Schienennetzes wieder ausgestiegen, um mit zweiundzwanzig Jahren ein neues, ein gräfinnenloses Leben zu beginnen. Bonnie konnte es ihr nicht verdenken. Übel nahm sie ihr allerdings, einen so kleinen, leicht beeinflussbaren Knaben zwischen den Zähnen des Drachen zurückgelassen zu haben. Obgleich offenbar ein Teil der gräflichen Erziehung einfach an ihm abgeprallt sein musste. Der Teil mit dem Dünkel beispielsweise.

      Als sie sich nach Leonard umdrehte, marschierte er bereits wieder den Hauptweg zum Friedhofstor hinunter, vor dem, schwarz, fett und makellos poliert, die überlange Limousine parkte. Bonnie, so plötzlich allein zwischen den Gräbern, starrte der gedrungenen Gestalt mit den hängenden Schultern nach und tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihm alle Charaktereigenschaften fehlten, Quentins Platz als Gutsherr des Rittergutes Lieberthal auszufüllen. Er wies absolut nichts auf, was ihn zu einem Repräsentanten einer stolzen Dynastie befähigte. Weder Charme, noch Selbstbewusstsein, weder Redegewandtheit noch Menschenkenntnis. Vor allem kein Quentchen Humor. Quentin war es ein Leichtes gewesen, Menschen jeglicher Couleur und Herkunft um den Finger zu wickeln und mit ihnen zusammen zu lachen. Leonard würde ihnen auf die Füße treten mit seinen klobigen Gummistiefeln, die für schlammige Felder, nicht jedoch für das Parkett der Diplomatie gedacht waren.

      Sie beobachtete, wie er sich schwerfällig auf den Beifahrersitz der Limousine zwängte, und fragte sich plötzlich, warum keiner von beiden neben ihr stand. Steckte eine Absicht dahinter? Sollte sie vielleicht sogar öffentlich zur Schau gestellt werden als die komische Witwe, über die man schon seit Wochen tratschte. Quentins Mesalliance? Wollte man sie der Lächerlichkeit preisgeben in ihrem schwarzen Wollkleid mit dem unmöglichen Hut?

      Was sollte sie hier? Mit dem Engel Zwiesprache halten und ihm sagen, dass seine grünen Patinaflügel dringend einer Bürste bedurften? Sich bei den aristokratischen Geistern, die sie jetzt sicherlich aus angemessener Entfernung missbilligend musterten, dafür entschuldigen, Quentin - einen Adeligen hoch über ihren eigenen Kreisen - zu sich herabgezogen zu haben? Einen naiven unbedarften Landjunker bezirzt, verführt und schließlich soweit verhext zu haben, dass er sie in einem Anfall geistiger Umnachtung ehelichte? Von einer Sekunde zur anderen beobachtete sie sich selbst, wie sie da vor dem mit einer dicken Kette gesicherten Tor der Grabstelle stand und die Namen anstaunte. Aber war das wirklich sie, diese Frau mit dem verschwollenen Gesicht, in diesem formlosen schwarzen Wollkleid mit schwarzem Spitzenkragen, das in Schnitt und Kragen fatal dem der Greisin in der Limousine ähnelte? Dieses eingeschüchterte Wesen mit den kupferroten Locken, die sie auf Befehl einer Fremden, die ihr gar nichts zu befehlen hatte, unter einem altmodischen Pott von Hut hochgesteckt trug, damit sich niemand in der Trauer an dem Rot störe? Trug sie wirklich ein Kleid von Helene, einen Hut von Helene, eine dicke, schwarze Strumpfhose von Helene und diese soliden schwarzen Birkenstock-Halbschuhe von Helene? Erst brüllte sie sie in der Küche an, weil sie ihr die Kaffeetasse vor der Nase abräumte, dann ließ sie sich von derselben Person widerstandslos als Aschenputtel verkleiden. Kaum zu glauben. Seit Quentins Unfall spielten ihre Emotionen verrückt. Manchmal, von einer Sekunde zur anderen, rettete sich ihr Geist aus der grausamen Wirklichkeit in ein Paralleluniversum hinüber, in dem es keine Schmerzen gab. Ihr Körper blieb und ließ sich willenlos herumschubsen. In diesem Augenblick jedoch, als sie sich als die schwarze hässliche Krähe mit diesem schrecklichen Pott auf ihrem rotem Kopfgefieder sah, zu der sie geworden war, fragte sie sich, ob ihr Geist nicht schon für immer umgezogen war. Vielleicht hatte er nur eine Marionette zurückgelassen, deren Fäden eine stolze alte Frau mit mittelalterlichem Ehren- und Moralkodex in ihren Fingern hielt.

      Bonnie atmete tief durch.

      »Ihr könnt mir kreuzweise den Buckel runterrutschen«, sagte sie ruhig.

      Sie

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