Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer
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In einem kleinen geduckten und schmucklosen Fachwerkhaus, dem einzigen in der Zeile, dem ein Stockwerk fehlte und das sich ausnahm wie ein Bettler unter Krösussen, fand sie ein Reisebüro. Ein melodisches Glockenspiel kündigte ihren Eintritt an, und sie kaufte für Mittwoch eine Rückfahrkarte nach Berlin, Abfahrt dreizehn Uhr dreißig. Morgen würde sie die gepackten Koffer in der Gepäckaufbewahrung des kleinen Bahnhofs abliefern und sich gleich nach der Beerdigung ins nächstbeste Taxi werfen.
Als sie am Bestattungsinstitut vorbeikam, stockte ihr Schritt. Quentin lag hinter der Schnörkelschrift Noblesse und den cremefarbenen Jalousien. Durch ihre Auflehnung und den Kaffee gestärkt, spielte sie tatsächlich mit dem Gedanken, dem Tod nun doch noch gegenüberzutreten. War es nicht einfach nur bequem und feige sich zu drücken? Hätte Quentin gewollt, dass sie sich überwand? Jetzt könnte sie es tun, Abschied nehmen, und zwar ohne Beisein der Gräfin. Ohne Leonards spöttische Blicke im Rücken. Niemand würde sehen, wenn sie die Fassung verlor und wie ein Schlosshund losheulte. Niemand würde es hören, wenn sie Quentin beschimpfte, weil er für den Preis einer goldenen Taschenuhr sein Leben verspielt und sie im Kreis seiner unmöglichen Familie allein zurückgelassen hatte.
Die Tür mit der herabgelassenen Jalousie spiegelte ihre Gestalt wider. Eine mittelgroße, nicht ganz schlanke Frau mit roten Locken in grüner Bluse und schwarzem Rock. In einer Hand die vollgestopfte Papiertragetasche des Modegeschäftes, in der anderen eine Plastiktüte mit Helenes soliden Tretern im Schuhkarton. Trotz wild klopfenden Herzens musste sie lächeln. Eine junge Witwe, die mal eben zwischen Kaufhaus und Kaffee ihren toten Mann besichtigen geht. Ich war gerade in der Nähe, Schatz, und da dachte ich, ich schau einfach mal vorbei ...
Sie stieß die Tür mit dem Ellenbogen auf und betrat hoch erhobenen Kopfes das Büro des Bestatters mit seiner silbergrauen Polstergarnitur auf lindgrünem Teppichboden. Ein fünfarmiger Kronleuchter aus Glasplättchen hing tief herab. Der schmächtige Mann hinter dem Schreibtisch sprang auf die Beine und hastete um seinen Arbeitsplatz herum. Es war nicht der schwatzhafte Chef, und der große Stein auf ihrem Herzen bröckelte ein wenig.
»Gnädige Frau, womit kann Ihnen das Institut Noblesse dienen?« Er hörte sich an wie ein Kosmetikberater, und während er dienerte, blickte er irritiert auf die Plastiktüten.
»Ich möchte zu meinem Mann«, stieß Bonnie hervor.
»Entschuldigen Sie, gnädige Frau, aber zurzeit ist niemand außer meiner Wenigkeit anwesend. Ich nehme an, Sie wollten sich mit Ihrem Gatten bei uns treffen, um die Bestattung Ihres Herrn Vater oder Ihrer Frau Mutter zu regeln? Ich kann Ihnen versichern, die lieben Verschiedenen werden bei uns in den besten Händen sein und ...«
Sie unterbrach ihn mit heftigem Kopfschütteln, und er zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Nein«, stieß sie heiser hervor. »Nein, es geht nicht um meine Eltern. Ich ... was ich wollte ist ... ich meine, mein Mann ist da hinten ...« Ihre Stimme versagte, und bevor sie erneut hilflos in Tränen ausbrach, schob sie mit einem gepressten Tschuldigung schniefend den verdutzten Bestattergehilfen zur Seite und drückte die Klinke einer Tür hinunter, dessen schwarz gerahmtes Inlett das Relief einer brennenden Kerze zierte.
Der Angestellte packte sie am Ärmel, aber sie schüttelte seine Hand ab und fuhr herum.
»Quentin von Storkenburg ist mein Ehemann«, brachte sie mühsam über die Lippen, hörte seine gestammelte Entschuldigung und riss die Tür auf. Die Flammen der vier weißen Kerzen in ihren silbernen Haltern an den Ecken des Sarges flackerten im Luftzug und eine verlosch. Quentin lag in einem Rosenholzsarg auf weißem Damast und hielt eine weiße Lilie zwischen den gefalteten Fingern. Die weiße Kappe, die seinen zerschmetterten Hinterkopf bedeckte, hob sich vom Spitzenkissen kaum ab. Er trug einen schwarzen Smoking mit Samtaufschlägen und eine schwarze Fliege auf weißem Hemd. Wangen und Lippen blühten wie nie zuvor im Leben, seine Stirn schien braun gepudert, aber das Schlimmste war, dass er lächelte. Er lächelte, als sie sich mit einem Herzen näherte, das jeden Moment zu zerspringen drohte. Er lächelte, als sie neben ihm stand. Er lächelte immer noch, als sie sich zaghaft über ihn beugte und ihm fassungslos ins Gesicht starrte. Das sollte Quentin von Storkenburg sein? Ihr Quentin? Sie starrte auf das verzerrte Lächeln, die angemalten Lippen und die getuschten Wimpernfächer der geschlossenen Lider. Sie starrte auf seine angemalten Apfelbäckchen, runde, rote Rougeflecken rechts und links der Nase, und das wütende, hilflose Entsetzen raubte ihr das letzte Bisschen Fassung. Sie fuhr zur Wand herum und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die mit weißem Damast bespannte Mauer.
»Alles in Ordnung?«, fragte die Stimme des Angestellten dumpf durch die Tür.
»Alles bestens!«, brüllte sie außer Kontrolle zurück. Der Angestellte schien ihr dann auch nicht zu glauben. Sekunden später hörte sie jenseits der Tür aufgeregtes Murmeln und wusste, jetzt telefonierte er mit seinem Chef. Oder mit der alten Schreckschraube von Gräfin. Oder mit den Männern vom Landeskrankenhaus und riet ihnen, eine Zwangsjacke mitzubringen.
Raus, dachte sie, nichts wie weg. Doch gegen ihren Willen wandte sie sich noch einmal um und blickte auf das fremde Wesen, das Quentin sein sollte.
»Nicht böse sein, Liebling, wo immer du jetzt auch bist«, flüsterte sie, während ihr kalte Schauer den Rücken hinunterliefen, »der Kerl da im Sarg bist du jedenfalls nicht. Das ist nur ein grotesk geschminkter Clown, der mich täuschen soll. Ein grinsender Zombie.« Sie biss sich auf die Lippen und kämpfte gegen das Schluchzen an. »Wie konnten dir diese Idioten so etwas nur antun?«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürzte aus dem Aufbahrungsraum. Der Angestellte im Büro blickte von seinem Telefongespräch alarmiert auf. Die Tür fiel ihr aus der Hand, und als sie den ganzen Bogen beschrieb und gegen die Wand neben dem Rahmen krachte, erloschen die noch brennenden Kerzen am Sarg. Bei dem Krach ließ der Mann den Hörer sinken und etwas wie Grauen breitete sich in seinen Zügen aus. Fürchtete er die Rache des in seiner Ruhe gestörten Toten? Oder die Rache einer erbosten Gräfin, die ihm die Schuld in die Schuhe schob. Bonnie nahm sich keine Zeit für Erklärungen. Sie sauste an ihm vorbei. Raus aus dem Laden, weg vom Zombie. Die Plastiktüte mit Helenes Schuhen fiel ihr aus der Hand, als sie die Tür nach draußen aufriss. Egal. Sollten sie sie doch in einen der Särge stopfen und begraben. Hier liegen die Schuhe von ... Den Rest konnten wir nicht finden.
Sie stolperte aus dem Laden, stürmte tränenblind um eine Hausecke und stieß so hart mit jemandem zusammen, dass sie aufschrie und das Gleichgewicht verlor. Auch der andere geriet ins Straucheln. Einen Moment lang klammerten sie sich schwankend aneinander wie zwei Sumoringer, dann riss sich Bonnie unwillig los und trat zurück. Vor ihr stand ein Mann, der sich mit verzerrtem Gesicht das Kinn rieb.
»Gütiger Himmel«, dröhnte eine Stimme, die sie nur allzu gut kannte und nie wieder zu hören gehofft hatte. »Als Stürmer beim Football wären Sie der Stolz Ihrer Mannschaft, glauben Sie mir. Wissen Sie was, ich gebe Ihnen meine Handynummer. Bevor wir uns das nächste Mal begegnen, einfach kurz anklingeln lassen, dann besorge ich mir ein paar Schutzpolster. Das eine oder andere Teil meines Körpers ist ausgesprochen empfindlich.« Er schielte an sich herab und kreuzte die Beine.
Bonnie lief puterrot an. Mit dem Handrücken wischte sie sich unwillig über die nassen Wangen.
Ausgerechnet