Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer

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Ehre, wem Ehre gebührt - Charlie Meyer

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nicht, ich möchte sie anbaggern, was bei einer trauernden Frau natürlich mehr als unpassend wäre, aber …«

      »Dann lass es und halt die Klappe, Schatz!« Eine langbeinige Blondine in weißem Hosenanzug trat aus einer der Umkleidekabinen und pfefferte ihm einen Push-up-BH vor die Brust. »Du zahlst.«

      »Sicher«, seufzte er und zwinkerte Bonnie zu. »Ich bin ja auch von uns beiden der Krösus. Wiedersehen. Äh - vielleicht versuchen Sie es mal mit einem Kleiderstoff, der nicht von allein steht. Ein netter Sommerstoff. Crêpe de Chine oder Satin oder so. Und nehmen Sie den Nachttopf vom Kopf.« Ein feister Mann in ihrer Nähe verschluckte sich vor Lachen.

      »Wieso nicht gleich Seide?«, fragte sie bissig zurück, wütete gegen sich selbst für dieses mickrige, einfallslose Gegenfeuer und wünschte sich eine Pumpgun in Händen.

      »Nein, keine Seide. Seide ist etwas für alte, verknöcherte Gräfinnen.«

      Während Bonnie entgeistert seinem schmalen, ein wenig gebeugten Rücken nachstarrte, zog ihn die Blondine energisch zur Kasse. Bonnie war ihr überaus dankbar, obgleich sie Frauen, die in Kleidung und Aussehen Barbie idealisierten, nicht ausstehen konnte. Aber immerhin hatte diese Barbie ihren Ken fest im Griff.

      Bonnie wählte mit moralischer Unterstützung ihrer Umkleidekabinennachbarin ein schwarzes Hemdblusenkleid aus, das Oberteil mit schmalen silbergrauen Streifen, der Rock glockenförmig ausgestellt. Ein breiter silbergrauer Gürtel betonte ihre Taille. Nach der Beerdigung würde sie das Kleid mit farbigem Gürtel und Halstuch kombinieren können. Sie fand noch einen engen schwarzen Rock, der auf die Hälfte herabgesetzt war und eine Handbreit über den Knien endete. Dazu eine Bluse, dessen gedämpfter Grünton hervorragend mit ihren roten Locken kontrastierte. Rock und Bluse behielt sie gleich an und ließ das Hemdblusenkleid, Helenes furchterregendes Wollkleid mit dem Spitzenkragen, den grässlichen Hut und die dicke Strumpfhose einpacken. Zum Abschied fragte sie die Verkäuferin nach einem Schuhgeschäft und verließ erleichtert den Laden. Die Zeiten, in denen trauernde Witwen ein Jahr lang in Sack und Asche durch die Straßen schlichen, waren gottlob vorbei. Die Seelenqualen Trauernder gingen niemanden etwas an.

      Der Schuhverkäufer konnte sein gequältes Lächeln nicht schnell genug verstecken, als Bonnie Helenes solide Treter von den Füßen streifte und gegen elegante Pomps eintauschte.

      In der warmen Mittagssonne setzte sich Bonnie in ein Straßencafé, dorthin, wo sie dem Trubel am nächsten war und bestellte Lauchcremesuppe mit frischem Baguette. Obgleich sie seit vierundzwanzig Stunden keinen Bissen mehr zu sich genommen hatte, musste sie Löffel für Löffel zum Mund zwingen. Ihr schmerzender Magen rebellierte, sie drohte vor Schwäche zu kollabieren, doch ein kleiner boshafter Wicht hinter ihrer Stirn verweigerte ihr die Nahrung. Tote konnten schließlich auch nicht mehr essen.

      Was willst du eigentlich?, dachte sie gleich darauf. Dich zu Tode hungern, um gemeinsam mit Quentin begraben zu werden?

      Quentin! Sein Lachen! Wieder schoss ihr das Wasser in die Augen, und ihre Umgebung verschwamm hinter dem Tränenschleier. Sie krallte sich die Fingernägel in die Hand, um nicht laut loszuheulen. Als die Sicht wieder klarer wurde, versuchte sie sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren.

      Die Fußgängerzone rahmten hohe, schmale Fachwerkhäuser mit steilen Giebeln. Verspielte Erker, Verzierungen und in die Giebelbalken geschnitzte Sprüche wechselten mit schnörkellosen Fassaden. Kein Haus glich dem anderen, kein Giebel endete auf der Höhe seines Nachbargiebels. Keiner der verzierten Türstürze fand seinen Zwilling, kein Fachwerk glich in seiner Anordnung schwarzer Balken und weißer Gefache dem Haus nebenan. Keine der Inschriften in den Balken über den Türen wiederholten sich. Gottesfürchtige Sprüche in Niederdeutsch, die Namen der Erbauer, das Zeichen ihrer Zunft - Dat is Timmermann - erbaut im Jahre des Herren Anno Domini 1413 oder 1543 oder wann auch immer. Darüber und darunter geschnitzte Fächerrosetten, Puttenköpfe, szenische Darstellungen biblischer Geschehnisse. Die Musen, die Tugenden, die vier Evangelisten und Christus selbst, geschnitzt, gemalt und kommentiert. Die Eckhäuser an den Einmündungen der schmalen Kopfsteinpflastergassen in die Fußgängerzone hielten sogar mit zwei reich geschmückten Giebelseiten Hof, wobei auf jeder Seite das jeweils höhere Stockwerk das darunterliegende um eine Handbreit überragte.

      Ein paar Backsteinhäuser im für die Gegend typischen Stil der Weserrenaissance durchbrachen das mittelalterliche Bild hie und da. Dort, wo Brände Lücken hinterlassen hatten, vermutete Bonnie und kniff die Augen gegen das gleißende Sonnenlicht zusammen. Pilaster und Säulen mit dorischen, korinthischen, oder ionischen Kapitellen zierten die reich gegliederten Giebel mit ihren filigranen Seitenbegrenzungen. Waagerechte Bänder, schwere Gesimse und Frieszonen lockerten die massiv wirkenden Stockwerke unter dem Giebel auf.

      Gemauerte, im Zickzack angeordnete Blumenrabatten mit noch bunter Sommerbepflanzung - Männertreu, Levkojen und Margeriten - ließen die triste Betondecke der Fußgängerzone freundlicher erscheinen. Das Kopfsteinpflaster war schon in den fünfziger Jahren herausgerissen worden, allerdings mehr durch ein peinliches Missverständnis. Quentin hatte ihr die Geschichte erzählt, als sie zum ersten Mal Arm in Arm durch die Fußgängerzone schlenderten.

      Eine Amerikanerin war auf dem Kopfsteinpflaster umgeknickt und hatte sich den Fußknöchel gebrochen. Im Krankenhaus stellte sich heraus, das es Mabel Eisenhower war, die kleine Schwester von Dwight D., also reichte der Commander der Fourth Division aus den Boston Baracks des nahe gelegenen Kasernenstützpunktes offiziell Beschwerde bei der Stadt ein. Der Stadtrat schicke ein Entschuldigungstelegramm ins ferne Amerika. Das Pflaster, auf dem Mabel Eisenhower umgeknickt war, wurde herausgerissen und durch flache Steine ersetzt. Wochen später kam eine Antwort. Amerika akzeptiere die Entschuldigung der Hohenfurter Stadtväter und hoffe, dass nicht noch eine Amerikanerin zu Schaden komme. Darüber hinaus aber fühle es sich aus pädagogischen Gründen verpflichtet, Deutschland und den in Deutschland stationierten GI’s mitzuteilen, dass Dwight D. Eisenhower keine Schwester namens Mabel habe.

      In höheren Kreisen sprach man nicht gern über diese Peinlichkeit, aber im Volksmund hatte sich eingebürgert, man gehe auf der Mabel einkaufen. Man treffe sich auf der Mabel in dem und dem Lokal. Man parke in einer Seitengasse der Mabel.

      Bonnie ließ gedankenverloren die Blicke schweifen und zwang Löffel für Löffel an die Lippen. Nach der Suppe ließ das innere Zittern ein wenig nach. Sie bestellte sich einen Kaffee und knabberte an dem harten süßen Keks, der neben der Tasse auf dem Unterteller lag. Eine Touristengruppe blieb schräg gegenüber stehen, die Rücken zu ihr, die Gesichter nach oben gerichtet, und sie lauschte mit halbem Ohr den Erklärungen des Stadtführers, der auf ein gelb gestrichenes Fachwerkhaus deutete und irgendetwas von einem gotischen Treppenfries im Tragbalken erzählte, von grünen Dachreitern und neuzeitlichem Schnitzwerk. Von Muschelornamenten und Schmuckbalken mit Drachen und medusenartigen Menschenhäuptern, von vorkragenden Obergeschossen und obeliskenartigen Säulchen. Die gesamte Altstadt sei in den siebziger Jahren restauriert worden, erklärte er mit der Gleichgültigkeit eines Routiniers, der gerade den zehntausendsten Touristen durch die Straßen führt. Dann senkten sich aller Augen und Köpfe wieder, und die Gruppe schob sich weiter.

      Bonnie fühlte sich einsamer denn je. Ausgeschlossen von dem bunten Treiben, zum Zuschauen verdammt und ohne Hoffnung auf die Zukunft. Sie zahlte mit fahrigen Bewegungen, sprang auf und stürzte sich entschlossen in die Menschenmenge. Die Beerdigung war bereits in zwei Tagen. Mittwochmorgen zehn Uhr, die formelle Trauerfeier mit geladenen Gästen und einem kalten und warmen Buffet vom Catering Service am selben Abend im Ballsaal von Gut Lieberthal. Es wurden einhundertfünfzig Gäste erwartet, und niemand hatte sie gefragt, ob es ihr recht sei. Die Gräfin hatte beschlossen, und so ward es Gesetz. Die Honoratioren von Hohenfurt - in ihrer Zahl eher unbedeutend - sahen sich ebenso gezwungen, ihre schwarzen Anzüge auszubürsten wie die Verwandtschaft und der befreundete Adel.

      Einfach abhauen, dachte Bonnie

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