Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer
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»Hi«, brachte sie dümmlich hervor, während ihr Kopf zu dröhnen begann. Sie konnte die Beule an der Stirn förmlich wachse hören.
Er rieb sich noch immer das Kinn und stand mit gekreuzten Beinen. Sein Begleiter feixte breit. Einen Kopf kleiner als der angeschlagene Hüne schien er in seinem schwarzen Maßanzug mit dem blütenweißen Hemd und der silbergrauen Krawatte geradewegs einem teuren Designerkatalog entsprungen. Er wirkte deplatziert neben dem schwarzen T-Shirt, den stone-washed Jeans und den in Sandalen steckenden Barfüßen des Mannes neben ihm.
Vor allem, weil seine teure Ausstaffierung die unglückliche Formung seiner Züge noch unterstrich. Seine Nase war kurz und breit - knubbelig -, die Lippen ein wenig aufgeworfen, und die Augen unter der hohen Denkerstirn brauchten starke Brillengläser, um sie zwinkernd zu mustern. Durch seine Ohren, groß und abstehend, schien die Sonne. Der verbleibende Rest seiner blondwolligen Haare war bereits auf den Hinterkopf gerutscht. Er war beileibe nicht hässlich, aber er erinnerte Bonnie an eine Comicfigur, bei der die markanten Gesichtszüge überproportional herausgearbeitet waren. Eine Karikatur. Als ob er dies wüsste und weiter unterstreichen wollte, hatte er sich unter seiner Knubbelnase einen Schnurrbart wachsen lassen, wie sie in bayrischen Meisterschaften prämiert wurden. Dick, grotesk über die Wangen hinaus abstehend und die Enden zu hochstehenden Widderschnecken eingezwirbelt.
Bonnie sah ihn nur kurz an und gleich darauf wieder weg. Verlegenes Lachen kitzelte ihr in der Kehle.
»Entschuldigen Sie«, wandte sie sich an den Komiker neben ihm, obgleich sie keineswegs vorgehabt hatte, sich zu entschuldigen. Ihr fiel nur nichts anderes ein, um ihr innerliches Kichern im Zaum zu halten. »Ich schätze mal, unser Zusammenstoß war meine Schuld. Ich hatte einen Moment lang nicht aufgepasst, weil ich ...«
»Wie auch?«, grollte der Macho zurück und betastete so sorgfältig sein Kinn, als vermisse er eines seiner Grübchen. »Bei der Überfunktion ihrer Tränendrüsen benötigen sie Scheibenwischer vor den Augen. Ein Rettungsboot im Rucksack wäre auch nicht schlecht, falls Ihnen demnächst das Wasser bis zum Hals steht. Ich muss schon sagen, Sie legen es darauf an. Erst zwingen Sie mit ihren Wollschichten mein ästhetisches Empfinden in die Knie und bei unserer nächsten Begegnung geben Sie sich alle Mühe, mich mitten auf der Straße flachzulegen. Was kommt morgen? Ich bin es zwar gewohnt, dass Frauen um meine Aufmerksamkeit buhlen, aber Sie sollten die Auswahl Ihrer Methoden noch einmal überdenken. Nicht jeder Mann steht auf so was.« Er kratzte sich im Nacken und musterte sie spöttisch. »Schade, dass ich keine Zeit habe, sonst könnten wir Ihre weiteren, mich betreffenden Pläne bei einem Kaffee ausdiskutieren. Für jetzt habe ich blöderweise einen Termin. Schon den Zweiten in dieser Woche, aber was nimmt man als viel beschäftigter Unternehmer nicht alles in Kauf.«
»Armer Kerl!« Sein Begleiter grinste von einem durchscheinenden Ohr zum anderen und zwinkerte Bonnie verschwörerisch zu. »Hör endlich auf, dir selbst auf den Schwanz zu treten und stell dich dem rauen Leben. Nehmen Sie den Kerl bloß nicht ernst. Der Hunger hat sein Gehirn verwirrt. Er ist nur ein armer Kunstmaler, der sich von Brotrinde ernährt und nur dann seine Staffelei verlässt, wenn man ihm eine Lammkeule unter die Nase hält oder einen Feuerwerkskörper unter seinem A... äh, sorry, Popo entzündet. Ihn außerhalb seiner Wohnung anzutreffen, ist, als ob Sie einem Bunyip oder Wolpertinger über den Weg laufen. So märchenhaft unwahrscheinlich, als ob ihm seine Verlobte plötzlich erlauben würde, sich endlich die Haare schneiden zu lassen. Haben Sie Mitleid mit diesem armen, verblendeten Jungen, denn er weiß nicht, was er sagt.«
»Halt bloß die Klappe, du Dummschwätzer. Du setzt eine fünfundzwanzigjährige Freundschaft aufs Spiel und riskierst nicht nur den unversöhnlichen Hass deines zukünftigen Schwagers, sondern vor allem den deiner Schwester. Wetten, das wagst du nicht?«
Sein Begleiter lachte, und das Lachen modellierte sein breites, durch eine tiefe Furche geteiltes Kinn noch stärker heraus. Einen kurzen Moment lang grübelte sie darüber nach, an wen sie dieser Mann mit seiner Knubbelnase erinnerte, dann verlor sie den Gedanken wieder im Gewirr ihrer Emotionen. Er war ihr sympathisch, auch wenn sie Zuzwinkern normalerweise als Zumutung empfand.
Sie ertappte sich beim Mitlachen, bekam prompt Schuldgefühle und biss sich auf die Lippe. Trauernde Witwen lachten nicht in der Öffentlichkeit. »Es tut mir leid, dass ich Sie angerempelt habe«, murmelte sie hastig. »Ich muss jetzt leider weiter, ich habe noch einen Termin einzuhalten.«
»Na hoffentlich ist Ihrer erfreulicher als meiner«, seufzte er und klappte unter dem Rippenstoß seines Freundes abrupt zusammen. »Urgh! - O Mann - äh - leben Sie wohl und - äh - danke!«
»Wofür?«
Er hüstelte. »Dass Sie wenigstens mein ästhetisches Empfinden nicht länger piesacken. Die neuen Klamotten stehen Ihnen nicht übel.«
»Komm du Großmaul, sonst führ ich dich am Ohrläppchen ab. Ich muss mich wirklich für diesen Kerl hier entschuldigen, Gnädigste, aber Analphabeten tun sich eben schwer mit den Anweisungen des Freiherrn von Knigge.« Wieder vibrierten die gezwirbelten Widderschnecken an seinen Bartenden vor Vergnügen.
»Und das gibt nun ein Mensch von sich, der Austern mit Essig beträufelt und Schnecken in Worcestersoße dippt. Pfui Deibel.«
»Nagel dich selbst ans Kreuz, du Blödmann.«
Das Geplänkel ging weiter. Einer suchte den anderen an Esprit zu übertreffen, und die kleinen Gemeinheiten flogen in der Geschwindigkeit geschmetterter Tennisbälle hin und her. Ein Wortgefecht, wie es sich nur gute Freunde leisten können. Bonnie vermutete jedoch bald, dass die Kabbelei gewissermaßen ihr zu Ehren abgehalten wurde. Beide hatten offenbar ein Publikum gesucht und gefunden.
Schließlich packte der schlaksige Hüne den Kleineren am Nacken und führte den sich heftig Sträubenden einfach ab. Bonnie blickte ihnen hinterher und schüttelte den Kopf. Pubertäres Geschwafel, dachte sie spöttisch. Die beiden sollten sich als Komikerduo beim Film bewerben. Stan und Ollie. Sie lächelte ein zweites Mal. Pat und Patachon? Nein, besser: Don Quijote und Sancho Panza. Was für eine Art von Freundschaft mochte sie miteinander verbinden? Hatten sie schon zusammen im Sandkasten gespielt oder dieselbe Berufsausbildung durchlaufen? Eine Eigenschaft verband sie mit Sicherheit. Sie strahlten mehr Selbstbewusstsein aus als Tschernobyl tödliche Strahlung nach seinem Super-GAU. Ebenso gut hätten sie sich Schilder auf die Rücken pappen können: Hohenfurter und Zugereiste - ihr könnt uns alle mal.
Irgendwie beneidenswert. Sie schlenderte durch die engen verwinkelten Gassen der Altstadt mit ihren krummen Fachwerkhäusern, weg vom Trubel der Fußgängerzone, und fühlte sich klein, hässlich und bemitleidenswert. Sie dachte an ihre mehr oder minder unbeschwerte Lässigkeit, mit der sie ihr Leben früher gemeistert hatte, und kam sich wie ein Wurm im Schnabel eines Raben vor. Würde er ihn schlucken oder in der Mitte durchbeißen? Ein Entkommen schien kaum möglich, auch wenn sie Hunderte von Kilometern zwischen sich und Gut Lieberthal brachte. Es kam ihr plötzlich vor, als schmiede ihr die Zeit hier in Hohenfurt eine eiserne Sträflingskugel an den Fuß. Wenn sie nicht Obacht gab, würde sie sich später in Berlin darüber wundern, dass sie nicht vorwärtskam.
Noch zwei Tage bis zur Beerdigung, achtundvierzig Stunden, in denen voraussichtlich unzählige Von‘s und Zu‘s über das Rittergut herfielen wie hungrige Heuschrecken über eine Wüstenoase. Geladene Verwandte und Freunde der Gutsbewohner, alles, was Rang und Namen hatte, um - wenn denn schon nicht ihr - so doch der Gräfin zu kondolieren. Vielleicht waren sie mittlerweile auch neugierig genug, das Kalb mit den zwei Köpfen besichtigen zu wollen. Jetzt, wo es quasi schon geschlachtet war. Es konnte immerhin sein, das