Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer
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»Dann wollen wir mal!« Sie blickte grimmig den Patinaengel an, und der schaute aus seinem grünen Gesicht so duldsam zurück, dass sie ihn am liebsten getreten hätte. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als sie den Weg zum Tor zurück mehr rannte, als ihrer Trauer entsprechend würdig schritt. Fernandel, der Chauffeur, riss ihr unbewegten Gesichtes die Fondtür der Limousine auf. Bonnie dankte stumm nickend, beugte sich in den Wagen und angelte nach ihrer Umhängetasche auf dem Sitz.
»Darf ich fragen ...«, setzte die Gräfin eben an, als ihr Bonnie mit einer unwilligen Handbewegung das Wort abschnitt und Leonard anfauchte, der verblüffend reaktionsschnell ebenfalls nach der Tasche langte.
»Wenn du sie auch nur mit deinem kleinen Finger anrührst, Cousin Leonard, dann werde ich bei der Beerdigung einen Skandal provozieren, von dem sich euer blaues Blut bis zum Sankt Nimmerleinstag nicht mehr erholt. Ich könnte strippen. Ich könnte durchsickern lassen, wir beide, du und ich, hätten ein Verhältnis.« Sie stockte. »Nein, auf das Zweite verzichte ich dankend, aber irgendetwas Nettes wird mir schon einfallen. Also lass die Finger von der Tasche! - Und Sie verziehen sich gefälligst wieder hinter Ihr Lenkrad, Herr Chauffeur!« Er stand noch immer hinter ihr, aber wie zufällig näherte sich seine Hand ihrem Ellenbogen. Bei ihren Worten zog er rasch die Finger zurück und entfernte sich rückwärts, aber in seinen traurigen Hundeaugen blitzte es amüsiert auf.
Bonnie schlug vor der Hakennase der Gräfin die Fondtür zu, aber unmittelbar danach senkte sich lautlos die getönte Scheibe ab, und die Hakennase tauchte wieder auf. Empört zitternd.
»Hat dein seltsames Gehabe einen triftigen Grund oder beabsichtigst du uns lediglich zu brüskieren? Ich befehle dir, auf der Stelle wieder einzusteigen. Du verursachst bereits jetzt einen Skandal.«
»Ich werde einkaufen gehen, Gräfin«, entgegnete Bonnie mit fester Stimme. »Und zwar allein. Zum Gut zurück nehme ich den Bus oder ein Taxi. Vielleicht trampe ich auch oder leihe mir in der Stadt das nächstbeste Fahrrad auf. Auf Wiedersehen, und ich hoffe, nicht so bald.«
Sie blickte sich nicht um, als ihr die Limousine im Schritttempo die Friedhofsstraße hinunterfolgte, die Hakennase der Gräfin noch immer im offenen Fenster. An einem Zebrastreifen wechselte sie vor dem silbernen Kühlergrill mit der zierlichen Galionsfigur die Seite und tauchte in das Grün eines Parks ab. Nachdem sie eine Weile kreuz und quer durch den Park gehetzt war, auf ihrer Flucht vor der Realität, blieb sie keuchend vor Atemlosigkeit neben einer Bank stehen. Nein, dachte sie, nicht setzen, nicht denken und trauern, sich ablenken und handeln. Die Lähmung überwinden, wieder die aktive Frau werden, die sie vor ihrer Ankunft in diesem Restposten des Mittelalters gewesen war. In ihr eigentliches Ich zurückschlüpfen, und die Dämonen aus ihrem Kopf vertreiben.
Unter den befremdlichen Blicken jener Hohenfurter und Touristen, die die Zeit fanden aufzublicken zwischen ihrem Gehetze vom Bäcker zum Friseur oder vom Museum zum Mittagessen, hetzte sie mit heißen Wangen die Fußgängerzone hinunter. Als sie ein Bekleidungsgeschäft fand, dessen Schaufensterauslagen dem Kreditrahmen ihres Kontos angemessen schienen, blieb sie aufatmend stehen. In Berlin hätte man sie vielleicht für einen Grufti mit Geschmacksverirrung gehalten und nicht weiter beachtet. In einer Kleinstadt wie Hohenfurt jedoch würde sie, so wie sie augenblicklich herumlief, als Anblick des Jahres in die Annalen eingehen. Schlimmer noch: als Helenes Klon.
Sie hoffte inbrünstig, niemand möge sie von ihren Spaziergängen und Shopping-Touren mit Quentin wiedererkennen. Doch plötzlich kam ihr in den Sinn, dass sie in den zwei Monaten ihrer Ehe kaum Bekanntschaften geschlossen hatte. Seit ihrer Ankunft hatte es auf Gut Lieberthal keine Einladungen gegeben, ergo war sie auch nicht zu Gegenbesuchen eingeladen worden. Aber auch die wenigen Male, die sie mit Quentin durch die Fußgängerzone geschlendert war, hatten sie selten jemanden getroffen, mit dem er ein paar Worte wechselte. Oder sie als seine frisch gebackene Ehefrau vorstellte. Namentlich und per Handschlag kannte sie nicht mehr als vier oder fünf Hohenfurter, ohne den Eindruck gewonnen zu haben, es handele sich um enge Freunde ihres Mannes. Oder überhaupt um Freunde. Zum ersten Mal fragte sie sich ernsthaft, ob er vielleicht gar keine gehabt hatte.
Nachdenklich zwängte sie sich an hastenden Hausfrauen, müßigen Touristen und Ständern der neusten Kollektion Hohenfurter Wintermäntel vorbei, und bedachte die wenigen Leute, die sie kritisch musterten, mit ihrem grimmigsten Blick. Aufrecht bleiben, Bonita, nur keine Schwäche zeigen. Allerdings knickte ihr Stolz dann doch ganz schnell ein, als sie der Blick eines großen, schlaksigen Mannes streifte, der auf einem der runden Ständer vor den Umkleidekabinen die Blusen Karussell fahren ließ. Er blickte auf, als sie sich näherte, und es war diese schnelle Abfolge unverhüllter Emotionen auf seinem Gesicht, die ihr die Schamröte in die Wangen trieb. Offenbar hatte er jemand anderes erwartet. Seine Frau vielleicht, die aus einer der Umkleidekabinen trat, sich endlich für eine der Blusen entschieden hatte und Komm Schatz, wir gehen sagen würde. Daher spiegelte seine Miene im ersten Moment pure Erleichterung wider. Als er seinen Irrtum bemerkte und stattdessen einer schwarzen Krähe mit grimmigem Blick gegenüberstand, entgleisten seine Züge in unverhohlenes Entsetzen.
»Gütiger Himmel«, stammelte er mit dröhnendem Bass und hielt den Blusenständer abrupt an. Er trug Jeans und ein weißes Hemd, und das blauschattige Kinn mit den schwarzen Stoppeln ließ vermuten, dass er schon seit Tagen vergeblich nach seinem Rasierapparat suchte. Seine glatten Haare waren pechschwarz, nachlässig aus der gebräunten Stirn nach hinten gekämmt und hingen ihm bis auf die Schultern. Bonnies erster Eindruck war der eines großen, ungepflegten und sehr müden Mannes, dem ohne ihr schockierendes Auftreten binnen Sekunden die Augen zugefallen wären.
Drei Tage durchgefeiert, dachte sie mit einem Anflug von Neid und schob das Kinn nach vorn. »Und?«, fragte sie patzig. »Noch nie einen Grufti gesehen oder gibt es in Hohenfurt keine Exoten wie uns? Sollten Sie vorhaben, vor Schreck umzukippen, muss ich Sie warnen. Mein Erste-Hilfe-Kurs liegt schon Jahre zurück. Wenn ich jetzt mal bitte an die Blusen dürfte?«
»Grufti?« Er stolperte rückwärts. »Großer Gott, tut mir leid, ja ... ich meine nein, ... ich meine doch natürlich, aber noch keinen Grufti mit einem derartigen ... Pott auf dem Kopf!«
Ihre Hand zuckte nach oben, doch dann ließ ihr kläglicher Rest von Stolz nicht zu, dass sie sich vor seinen Augen den grässlichen Hut von den Haaren riss. Sie beschied ihn lediglich mit einem wütenden Blick, während sie sich in Gedanken in den Allerwertesten trat. Hätte sie nicht wenigstens den Hut abnehmen und die schwarzen wollenen Strümpfe ausziehen können, bevor sie sich in Hohenfurts beliebteste Einkaufsstraße wagte? Doch dann lächelte sie majestätisch und widmete sich den Blusen. Hier kam Aschenbrödel, die Filzpantoffeln der bösen Stiefschwester gegen einen gläsernen Schuh auszutauschen.
Der Mann hinter ihr räusperte sich und versuchte vergeblich seinem dröhnenden Bass ein Flüstern aufzuzwingen. Seine Worte dröhnten durch den Verkaufsraum, und etliche Köpfe wandten sich zu ihnen um.
»Entschuldigen Sie, ich vermute, Sie sind in Trauer und ... und so. Ich meine, Herr Jesus, wo habe ich nur meine Manieren, mein herzliches Beileid, ich wollte ihnen bestimmt nicht auf die Füße treten, aber finden Sie Ihr Outfit nicht etwas übertrieben. Ich meine selbst für einen Grufti ... Dieser ... na ja, ich weiß nicht, wie ich ihn bezeichnen soll.« Er deutete auf ihren Hut, und Bonnie beschlich das ungemütliche Gefühl, er provozierte sie bewusst, um die Umstehenden zu unterhalten.