Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer

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Ehre, wem Ehre gebührt - Charlie Meyer

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Zügen gelesen zu haben. Hatte sie jemals geglaubt, dem Sohn eines simplen Bauern gegenüberzustehen?

      Aber was auch immer sie sich einbildete oder tatsächlich herauslas, sie liebte ihn vom ersten Faustschlag an.

      Er rief dann doch abends an und lud sie zum Essen ins Hotel Adlon am Brandenburger Tor ein. Allerdings trafen sie sich dann doch nur in einem Steakhaus am Kudamm, weil sie sich dem Adlon an diesem Tag nicht gewachsen fühlte. Ihr kleines Schwarzes sei leider gerade, in der Reinigung, der zahllosen Champagner- und Kaviarflecken wegen. Er hatte am Telefon so ansteckend gelacht, dass sie lautlos und hingerissen den Hörer küsste.

      Nach dem Essen fuhren sie mit einem Taxi zu ihr nach Kreuzberg, wo Bonnie in einer Zweizimmerwohnung am Planufer wohnte, mit Blick auf den Landwehrkanal. Bis Mitternacht tranken sie Wein im Garten der Pizzeria nebenan. Er erzählte von seinem Leben auf dem Land, und natürlich nahm sie an, er lebe auf einem Bauernhof. Großer Gott, dachte sie irgendwann mal mittendrin, ich habe mich in einen Bauern verliebt. Wenn ich nicht aufpasse, melke ich demnächst morgens um fünf die Kühe, rühre bei der Hausschlachtung Blutwurst an und bringe zehn rotbackige Kinder zur Welt. Aber dann schwärmte er von seiner Holländermühle, erzählte von den Späthippies im Aussiedlerhof, von den schönen alten Fachwerkhäusern in Hohenfurt, den Hügeln und Wäldern rund um die Stadt, und von einem hinterhältigen Haflingerpony namens Brutus. Ihre zunehmende Faszination hatte die Bedenken schließlich überwogen.

      Stattdessen verschluckte sie sich vor Lachen am Wein, als er schilderte, wie ihn sein Pony schon zweimal quer über den Hof gejagt hätte. Erschrocken klopfte er ihr auf den Rücken, und sie war trotz ihrer Atemnot nahe daran gewesen, ihm auf der Stelle die Kleider vom Leib zu reißen. Sie lachte und hustete, bis ihr die Tränen über die Wangen rannen. Und nun hockte sie am Ufer des Flusses und heulte, weil ihn dasselbe Pony umgebracht hatte. Wie hieß es so treffend? Ironie des Schicksals.

      Der Nebel hing nur noch als hauchdünner Schleier über dem Wasser. Die ersten Sonnenstrahlen wärmten ihren Rücken, und schließlich fand sie in der Hosentasche ihrer Jeans doch noch ein tränennasses Taschentuch der vergangenen Nacht und schnäuzte sich lautstark. Zwei Enten glitten vom Ufer in den Fluss, der nun nicht mehr silbergrau glitzerte, sondern als braune träge Masse, schlammgesättigt nach den starken Regenfällen der letzten Woche, das Tal hinunterfloss.

      Nach dem Wein an jenem ersten Abend hatten sie sich auf ihrem niedrigen Futon geliebt. Ganz sachte und behutsam, weil er plötzlich so unsicher wirkte, und ihr das Gefühl vermittelte, sich auf ein weitgehend unbekanntes Terrain zu wagen. Auch das noch, war es ihr durch den Kopf geschossen, und von dieser Sekunde an war sie ihm mit Haut und Haaren verfallen gewesen. Sie hatte ihn gestreichelt und seine nackte Haut mit den Lippen liebkost, manchmal sogar seine Hand geführt, bis sie in einem gemeinsamen Höhepunkt zusammenfanden. Das zweite Mal im Morgengrauen war der Liebesakt heftiger ausgefallen, und hatte in ihr das stolze Gefühl zurückgelassen, in ihm eine Lust ohne Ängste geweckt zu haben. Als sie später aufwachte und ein Sonnenstrahl seinen verwuschelten Schopf golden aufleuchten und die weißen makellosen Zähne zwischen den leicht geöffneten Lippen wie Perlen blitzen ließ, hätte sie ihm am liebsten eine überdimensionale Sträflingskugel aus Eisen ums Fußgelenk gekettet, dass er es bloß nicht wagte, ihr abzuhauen.

      Aber er lief nicht weg. Er änderte einfach seine Pläne und blieb. Als er fünf Tage später kniete er mit dieser albernen Rose zwischen den Zähnen vor ihr und sie sagte Ja. Zum ersten Mal nannte er ihr seinen vollen Namen und erzählte von dem Rittergut derer von Storkenburg. Sie sah ihn als Ritter in glänzender Rüstung, sich selbst als strenge aber gütige Gutsherrin an seiner Seite über Haus und Gesinde wachen, und der Reiz, in ein Märchen einzuheiraten, von dem jedes kleine Mädchen träumte, tat ein Übriges. Sie sah sich quasi als Scarlett O‘Hara, seine Hand an ihrem Ellenbogen, in einem Ballkleid eine imposante Freitreppe hinunterschreiten, während ihr aus der großen Halle der geladene Adel bewundernd applaudierte. Sie sah sich mit Quentin in zufriedenem Glück das Füllhorn des Lebens leeren, bis sie dereinst, weißhaarig und gebeugt ...

      Bis dass der Tod euch scheide, und das Märchen zu Ende ist. Aber eigentlich, in gewisser Weise, hatte sie das Märchenbuch bereits kurz nach Ankunft wieder zugeklappt. Leise und heimlich versteht sich. Es langte schließlich, wenn sie sich selbst auslachte.

      In einem Punkt, so musste sie sich gleich als Erstes bei ihrem Eintreffen auf Gut Lieberthal, wenn auch widerwillig, eingestehen, hatte Quentin sie schamlos belogen. Dieser Punkt hieß Wilhelmina Magdalena Elisabeth Gräfin von Hohenried zu Wildenschloß. Bonnie warf Steinchen in die braune Brühe zu ihren Füßen. Niemand, nicht einmal ein taubstummer Blinder, würde in Versuchung geraten, die alte Gräfin mit einer gütigen Großtante aus einem Märchen zu verwechseln. Ihr hatte mitnichten das Wohlwollen aus dem greisen Antlitz geleuchtet, als sie, Bonita Alvarez, Tochter einer deutschen Fabrikarbeiterin und eines mallorquinischen Lebenskünstlers, achtundzwanzig Jahre alt, nur mäßig hübsch und angestaubte Bibliothekarin, als Quentins rechtmäßig angetraute Ehegattin und Erbin vor den gräflichen Lehnstuhl trat.

      Bis zu ihrem Tod würde sie das Entsetzen im Gesicht der Greisin nicht vergessen, dieses Entsetzen, dass sich ganz schnell in gnadenlose Ablehnung, ja sogar Abscheu verwandelte. Ihre ersten kalten Worte an Quentin Darf ich dich mal kurz unter vier Augen sprechen, mein Junge, das aufgeregte Gemurmel aus der Bibliothek, während sie gegenüber im kleinen Salon auf der äußersten Kante des Kanapees hockte, sein halbes Lächeln und der eisige Blick der Gräfin, als er später bei einem improvisierten Festessen die Ente tranchierte. Nicht einmal das Strahlen seiner kornblumenblauen Augen hatte Bonnies spontane Wut mildern können. Wenn sie ehrlich war, grollte sie Quentin noch immer für die erlittene Demütigung. Mal ganz davon abgesehen, dass sich das Märchengut ihrer Träume in der Realität als marode Bruchbude entpuppte, die offenbar nur die Furcht vor der gestrengen Gräfin davon abhielt, einfach in sich zusammenzuklappen. Aber das war das bei Weitem geringere Übel gewesen.

      »In einer Woche seid ihr mich endlich los«, murmelte sie und schlug die Kapuze des Parkas zurück. »Spätestens.«

      Nur wohin auf die Schnelle? Zu ihren Eltern konnte sie schlecht ziehen. Zwischen Quentins und ihrer Kindheit gab es eine Parallele. Auch ihr Vater hatte sie früh zur Waise gemacht. Als sie acht war, fällte er mit dem Familienauto, einem Ford Transit, einen dicken Ahorn am Rand der Landstraße und gab sich alle Mühe, mit einem Schlag die gesamte Familie Miguel Alvarez auszulöschen. Die Leichen von Diego und Nando, den elfjährigen Zwillingen, seiner Frau Magda und schließlich auch seine eigene musste die Feuerwehr mit riesigen Metallscheren aus dem Wrack schneiden. Jahre später hörte Bonnie ihre Großmutter am Telefon zu jemandem sagen, ein Feuerwehrmann habe damals gewitzelt, es sei für alle Beteiligten sinnvoller, den blutenden Metallklumpen in Gänze zu begraben. Bonnie überlebte den Untergang ihrer Familie nur, weil sie kurz vor dem Ausflug Windpocken bekam und ihrer Großmutter zur Pflege übergeben wurde. Derselben Großmutter, die sie dann auch groß zog und, als hätte sie nur darauf gewartet, am Tag ihrer Volljährigkeit tot umfiel.

      Aber Uschi nahm sie bestimmt für zwei oder drei Wochen auf und gab ihr Zeit, sich wieder eine eigene Bude zu suchen. Bonnies Stelle in der Lichtenradener Hauptbücherei war für ein Jahr eingefroren worden, hatte ihr die Freundin erzählt. Im öffentlichen Dienst in Berlin gab es mal wieder eine Haushaltssperre mit den üblichen Forderungen nach Einsparungen. Es würde schwer sein, als Bibliothekarin eine neue Stelle zu finden, immer mehr der kleinen Stadtteilbüchereien wurde geschlossen. Sie würde ihre Wertpapiere verkaufen müssen. In ihrer verliebten Kurzsichtigkeit hatte sie ihr Sparbuch abgeräumt und das Geld Quentin gegeben. Und der investierte es in einen Motor für die holländische Windmühle, damit er sie auch bei Flaute betreiben konnte. Nein, schalt sie sich gleich darauf. Keine verliebte Kurzsichtigkeit sondern Liebe und die Verwirklichung eures gemeinsamen Traumes. Gemeinsam jedenfalls in ihren Planungen, in der Realität hatte Quentin sie seltsamerweise gar nicht so gern in der Windmühle gesehen. Jedenfalls nicht sonntags, wenn die Touristen kamen. Anfangs war sie gekränkt gewesen und plagte sich eine Weile mit Begriffen wie Loslassen und Freiräumen ab, bevor

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