Der Teufel trug Jeans. Tibor Simbasi
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Auch bei den Kindern auf der Strasse konnte man den nun langsam aufkommenden Wohlstand erkennen. Sie kamen mit Rollschuhen oder mit einem Tretroller daher. Ältere nannten gar ein Fahrrad ihr Eigen.
Überall war es zu sehen wer fleißig ist dem stehen alle Türen offen, der kann sich was leisten, kommt voran, hat Erfolg, wird was erreichen, steigt beruflich sowie gesellschaftlich auf, ist angesehen. Der Aufschwung war nun auch beim kleinen Mann, beim Volk angekommen.
Bei uns kam leider von alledem nichts an. Nur die Schläge die kamen an, immer häufiger, immer heftiger, immer brutaler. Man konnte meinen als sollte damit die Wut bekämpft werden. Die Wut der Ohnmacht über das eigene Unvermögen, das Versagen der eigenen Person, der Faulheit. Wir schrieben nun das Jahr 1964, das Jahr in dem Rainer geboren wurde, das 8. Kind der Familie. So war also doch noch etwas angekommen.
Zu dieser Zeit gab es kaum Zentralheizungen, sie waren fast unbekannt in Privathaushaltungen. In den Wohnungen standen Herde und Öfen die mit Holz oder Kohle beheizt wurden. Fast alle Familien hatten daher im Hof hinter dem Haus, mehrere Ster Holz zum Trocknen liegen. Je nach Terminabsprache kam ein Mann mit der großen, auf einen Traktor befestigten Säge, um die meterlangen Stücke in gebrauchsfertige Scheite zu schneiden. Natürlich mussten die Besitzer das Zerkleinern vom Holz bezahlen. Aus Geldmangel konnten wir aber kein Holz kaufen oder gar das Zersägen bezahlen. Zum Glück arbeitete der Vater wenige Monate in einer Holzägerei vor Ort. Der Besitzer war ein sehr feiner Mensch. Obwohl ihm die Faulheit des Vaters nicht verborgen blieb, schenkte er diesem wiederholt eine Ladung Ausschussholz, das beim Zuschneiden von Brettern und Bohlen übrig blieb. So hatten wir wenigstens Heizmaterial. Anstatt für diese Großzügigkeit des Arbeitgebers dankbar zu sein nörgelte der Vater nur herum. Überall und an allem hatte er was auszusetzen. Wie immer, wenn er keine Lust zum arbeiten hatte, waren die anderen zu blöd, zu dumm zu eingebildet, verstanden ihn überhaupt nicht. Er hatte nur noch schlechte Laune und diese wurde daheim abgeladen. Mutter bekam damals 5 !! DM am Tag zugeteilt und sollte damit eine Familie von 10 Personen satt bekommen. Als der Vater nun eines Tages in der Mittagspause zum Essen nach Hause kam konnte die Mutter ihm nur einen Teller Gemüsesuppe mit Einlage anbieten. Mit den Worten: „für so einen Fraß arbeite ich nicht“, warf er wütend den vollen Teller an die Wand. Kurz darauf war der Vater wieder arbeitslos.
Nun hatte er alle Zeit der Welt, hätte eventuell das Holz hacken können. Doch wie es oft so ist, der Faule will anderen Menschen arbeiten beibringen. So war es nun meine Aufgabe mit der Axt das Holz zu zerkleinern und in den Keller zu bringen. Auch der Garten hinter dem Haus war mein Aufgabengebiet. Im Frühjahr musste der Boden im Garten umgegraben und mit einem Gartenrechen schön geebnet und in einzelne Beete aufgeteilt werden. Das säen der verschiedenen Gemüsearten war Chefsache. Unkraut jäten, gießen war nun wieder meine Aufgabe, wobei das Bewässern sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Das Wasser wurde mit einer Gießkanne aus der Waschküche geholt, und diese war gut 100 Meter entfernt. Bis der ganze Garten mit einer 10 Liter Gießkanne gegossen war musste ich die Strecke schon sehr oft hin und her laufen. Zur Erntezeit tauchte dann wieder der Chef auf. Das hat er sich nicht nehmen lassen. Wenn möglich ging er nun immer genau dann ernten, da auch andere Anwohner in ihren Gärten waren. Geschickt wurde ein Gespräch eingefädelt und die Angeberei begann. Das Gemüse sei nur deswegen so groß und schön gewachsen, weil er eben ein Fachmann ist. Er wisse genau wo, wann und wie dieses oder jenes Gemüse angepflanzt, gehegt und gepflegt werden müsse. Er war der absolute Könner, der beste Gärtner überhaupt. Bei ihm gedeihe jede Pflanze. Dass er sich damit lächerlich machte, merkte er gar nicht. Die Leute grinsten hinter seinem Rücken. Sie waren ja nicht dumm und sahen doch auch, dass er nur zum Säen oder bei der Ernte im Garten war.
Bei Personen, welche ihn nicht so genau kannten, führten die Märchen aber hin und wieder zum Erfolg. So verfolgte ich mal hinter der Tür vom Hauseingang stehend ein Gespräch, das er mit einem Mann vom Kirchenchor führte. Wie schwer es doch sei eine Familie mit 8 Kindern zu ernähren, erzählte er diesem. Der Mann, der sichtlich beeindruckt schien, schenkte dem Vater 20 DM. Der aber berichtete munter weiter, wie teuer doch die Kleidung der Kinder sei. Was die Schuhe so kosten und das Mobiliar wäre auch noch nicht komplett und mehr als Tag und Nacht arbeiten könne er doch nicht. Daraufhin bat der Mann um Rückgabe der 20 DM und gab Vater nun einen 50 DM Schein. Ich konnte es nicht fassen! Tag und Nacht arbeiten hatte er gesagt. Ausgerechnet er, den die Arbeit nie einholen konnte, da er doch immer schneller war als diese. Hier wurde ein gutgläubiger, hilfsbereiter Mensch arglistig getäuscht und hinters Licht geführt. Das gefiel mir nun überhaupt nicht.
Wer oft Zuhause ist und keiner Beschäftigung nachgeht hat viel Zeit zum Nachdenken und so war das auch beim Vater. Um einen Grund vorzuweisen, nicht mehr arbeiten zu können war er mal wieder erfindungsreich. Plötzlich hatte er Schmerzen im linken Handgelenk konnte dieses nicht richtig bewegen und hatte kaum noch Gefühl darin. Zur Unterstützung seiner Aussagen nahm er mehrmals am Tag ein Schmerzmittel ein. Damit die Hand überhaupt bewegt werden kann, so die Begründung, bastelte er ein dickes Lederarmband, das nun ums Handgelenk geschnürt wurde. Dabei hat er die Riemen so stramm gezogen bis die Blutzirkulation behindert und die Hand dadurch angeschwollen ist. Nun konnte es jeder sehen. Der arme Mann ist krank und kann nicht arbeiten. Stand mal wieder ein Arztbesuch an wurde das Armband entfernt. Nach tage- oder wochenlanger Störung der Blutzufuhr ging die Schwellung nicht so
schnell zurück. Der Doktor konnte keine Diagnose stellen. So wurde er von einem Facharzt zum nächsten Spezialisten überwiesen. Keiner konnte die Ursache finden. So ging es nun 2 Jahre.
In der Schule hatte ich so nach und nach einige Freunde gewonnen. Die schenkten mir hin und wieder auch mal ein Buch, so dass es leichter wurde dem Lehrplan zu folgen. Langsam entwickelte sich auch mein Interesse an Büchern. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Oft lief ich, wann immer möglich, zu der außerhalb des Ortes liegenden Müllkippe und suchte dort nach allem möglichen Lesestoff. Fremde Länder, Kulturen, die Geschichte der Menschheit, das Weltall, alles wollte ich darüber wissen. Ich sog es regelrecht wie ein trockener Schwamm auf. Lesen wurde mein erstes Hobby. Jemand sagte mal: „lesen bildet“. Das hat sehr großen Einfluss auf die Entwicklung und den Charakter eines jeden Menschen in der Zukunft. Recht hat er. Im Gegenteil zu anderen Kindern ging ich gerne zur Schule. Man konnte sehr viel lernen und ich war nicht daheim. So hatte ich meine Ruhe. Leider konnte ich nie an einer Klassenfahrt teilnehmen, auch der Theaterbesuch, jährlich zur Weihnachtszeit war nicht möglich. Es fehlte das Geld.
Meine Suche nach Büchern auf der Müllkippe stellte ich aus gutem Grund bald wieder ein. Eines Tages, ich war allein auf der Müllhalde, durchwühlte die riesigen Berge von Unrat nach Lesbarem, stand mir plötzlich ein unbekannter Mann gegenüber. Wahrscheinlich hielt er mich für den Sohn vom Gemeindearbeiter, welcher öfters die Woche nach dem Rechten sah. Dieser Mann war aber an dem Tag nicht auf der Halde. Der Fremde hatte eine kleine Pistole in der Hand und fragte mich, ob es erlaubt sei auf dem Gelände Schießübungen durchzuführen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Zu dieser Zeit herrschte große Unruhe