Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3). Katja Piel
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„Tut das weh?“
„Nein. Es ist nur sehr ungewohnt. Nach deiner ersten Wandlung kannst du dich immer verwandeln, wenn es dir beliebt. Du wirst dich schnell daran gewöhnen.“
„Wie lange bist du schon... so?“
Adam lächelte schüchtern. „Seit vier Wintern. Ich war noch ein Junge, als Raffaelus mich fand. Mein Vater hatte mich bei einem Gerber in die Lehre gegeben, der mich schlug und mir nichts zu essen gab. Ich bin ausgerissen und habe versucht, mich durchzuschlagen. Er hat mich im ersten Winter vor dem Erfrieren gerettet.“
„Wie mich.“
„Ja.“
„Und du wirst dein Leben lang hier bleiben?“
„Ich weiß es nicht. Ich gehe, wohin Raffaelus geht. Er ist mein Anführer.“
„Aber willst du denn keinen Beruf ergreifen? Eine Frau und Kinder haben?“
„Du denkst noch wie ein Mensch.“ Sibil nickte. „Das gibt sich mit der Zeit“, sagte Adam.
Am Abend beobachtete sie, wie Raffaelus hinüber zu Adams Lager ging. Er drehte Adam auf den Bauch und legte sich auf ihn, und binnen kurzer Zeit hatte er ihn mit seinen muskulösen Armen gepackt und an sich gezogen und stieß in ihn hinein, wie er es auch mit Sibil und Marina getan hatte. Sibil war höchst erstaunt. Sie hatte nicht gewusst, dass zwei Männer das miteinander tun konnten. Adam schien das Geschehen zu genießen, er stöhnte leise und verschränkte seine Finger mit denen von Raffaelus. Sibil sah, wie Raffaelus' Gesicht sich verzerrte. Mit einem lustvollen Schrei verausgabte er sich in Adam und brach dann keuchend auf dem Rücken des Jüngeren zusammen. Einige Atemzüge später richtete er sich jedoch schon wieder auf, zog sich aus Adam zurück und verließ das Lager. Dieser sah ihm verträumt hinterher, während er sein Geschlecht heftig rieb. Sibil verspürte einen Stich des Bedauerns. Sie hätte sich dem Jungen gerne angeboten und herausgefunden, ob auch er mit seinem schlanken, jugendlichen Körper dieses wunderbare Gefühl zwischen ihren Schenkeln hervorrufen konnte, so wie es Raffaelus in ihrer ersten Nacht getan hatte. Doch die Angst und auch Reste der menschlichen Scham hielten sie zurück. Raffaelus beanspruchte jeden im Rudel, den er wollte, und vielleicht würde er wütend werden, wenn sie seine Wege kreuzte. Nicht nur vielleicht, sicher sogar. Sie sah zu ihm hinüber, wie er sich neben Marina auf sein Lager fallen ließ. Sie nahm ihn in den Arm und küsste ihn zärtlich.
Allein in ihrer Ecke, schlief Sibil ein.
Am nächsten Tag brachte Roderik einen toten Mann ins Lager. Die Leiche war angezogen wie ein Köhler, die Kleidung blutverschmiert. Roderik hatte Blut im Gesicht und ein irres Glitzern in den Augen. Vor der Höhle ließ er die Leiche fallen und baute sich stolz daneben auf.
„Frühstück“, sagte er und grinste mit abgebrochenen Zähnen wie ein Wahnsinniger. Raffaelus stieß ihn grob beiseite und verwandelte sich. Gleich darauf stürzte er sich auf den toten Mann, zerfetzte mit seinen messerscharfen Klauen die Kleidung und grub seine Fangzähne in den weichen, weißen Bauch des Mannes. Es gab ein Geräusch, als würde alter, mürber Stoff reißen, als die Haut des Toten sich öffnete. Blut ergoss sich in den Schnee.
„Hm“, machte Marina hinter Sibil. „Noch ganz frisch.“ Sie verwandelte sich ebenfalls und umstrich die Futterstelle. Roderik, mittlerweile auch in Tiergestalt, näherte sich Raffaelus knurrend und wurde von diesem grob verscheucht. Während Raffaelus' Aufmerksamkeit auf Roderik gerichtet war, sprang Marina heran und riss einen Fetzen Fleisch aus der Leiche. Sibil tauchte unter Utz hinweg, der sich ebenfalls näherte, stürzte ins Unterholz und erbrach sich heftig. Als nichts mehr kommen wollte außer bitterer Galle, lehnte sie sich erschöpft an einen Baum. Die grausigen Bilder tanzten vor ihren Augen.
Wo war sie hier? Was war sie? War das der Vorhof zur Hölle? Hatte man sie vielleicht verbrannt, und sie erinnerte sich nur nicht?
„Geht es dir gut?“, fragte eine schüchterne Stimme. Adam.
„Ich habe Angst“, flüsterte sie. „Werde ich auch...? Ich meine, muss ich auch...?“
„Du musst nicht“, flüsterte er. Sie spürte seine Körperwärme. „Nur wenn du bei uns bleiben willst, musst du. Es gibt auch andere Wege, aber wir leben sie hier nicht.“
„Ich bin kein Menschenfresser“, schluchzte Sibil.
„Schsch.“ Adam legte ihr zart einen Finger auf die Lippen. „Du hast die Wahl. Es gibt andere, die leben, ohne zu töten. Aber das ist der härtere Weg, denn das Tier in dir will Blut, und das von Menschen schmeckt am süßesten. Menschenblut macht uns mächtig. Mit Tierblut sind wir lediglich Wölfe.“
„Wie finde ich die anderen?“
„Sie finden dich, wenn du das willst. Aber entscheide nicht zu schnell. Gut und Böse gilt für uns nicht. Wir sind Ausgestoßene, wir machen unsere eigenen Regeln und versuchen zu überleben, so gut es geht.“
„Ich will keine Menschen töten!“
„Er wäre sowieso gestorben. An der Kälte, an der Pest, am Fieber, am Alter. Wir haben sein Schicksal nur beschleunigt, und er musste nicht leiden. Ein kurzer Schreck, und alles war vorbei für ihn. Genau das wünschen sich die Menschen, wenn sie die ersten Beulen unter ihren Armen entdecken.“
„Er war krank?“
„Nein. Wir würden ihn sonst nicht fressen. Aber wer weiß, ob er es nicht bald geworden wäre?“
Voller Abscheu wandte Sibil sich ab.
„Geh fressen, Adam.“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Ich gehe zuletzt, wenn alle satt sind. Ich bin der Rangniedrigste.“
Sie starrte in das trübe Weiß des verschneiten Nachmittages, bis ihr die Tränen kamen. Noch am gleichen Abend fasste sie ihren Entschluss. Sie war dankbar für die Hilfe, die sie durch Raffaelus' Rudel erfahren hatte, aber dieses Leben wollte sie nicht führen. Die teuflischen Kreaturen hatten sich ihr leibhaftig gezeigt, was sie vermutlich zu einer Hexe machte, und sie hatte sogar mit dem Anführer gebuhlt. Wenn sie einen Rest ihres Seelenheiles retten wollte, musste sie das Weite suchen. Vielleicht existierte Gottes Vergebung ebenso leibhaftig wie die Versuchung.
Sie wartete, bis alle schliefen, erhob sich dann lautlos von ihrem Lager und schlich aus der Höhle. Die Nacht war hell und angefüllt mit Geräuschen. Sibil tauchte in die Schatten der Bäume und begann zu laufen. Raffaelus würde ihrer Spur sicher folgen können, also musste sie möglichst schnell eine große Entfernung zurücklegen. Vielleicht verlor er dann das Interesse und ließ sie ziehen.
Sie rannte mühelos. Noch nie hatte sie sich so kräftig gefühlt. Dichtes Gestrüpp und umgestürzte Bäume waren kein Hindernis für sie. Leichtfüßig huschte sie durch den Wald. Eine dünne Schneedecke knirschte unter ihren Füßen. Die kalte Winternacht brannte auf ihrer Haut.
Sie erreichte eine Straße und rannte auf ihr weiter, in der Hoffnung, andere Reisende oder Fuhrwerke würden ihre Geruchsspur überdecken, doch der Schnee auf der Straße war unberührt. Nicht viele Reisende wagten bei diesem Wetter den Weg durch den Wald.
Ein Ziel hatte sie nicht. Nur weg von den teuflischen Kreaturen, weg von allen anderen Menschen, bis sie wusste, was mit ihr los war. Vielleicht würde das seltsame Gefühl vergehen und sie konnte ein normales Leben aufnehmen, irgendwo, wo niemand sie kannte. Sie hatte gehört, dass es Städte