DIE GABE. Michael Stuhr

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DIE GABE - Michael Stuhr

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zu können, so als wäre ich hypnotisiert worden von ... ja von wem eigentlich? Vielleicht habe ich überhaupt nur deshalb so lange dort alleine gestanden?

      Mich fröstelt es erneut, weil mir der Mann wieder einfällt, der später aus dem Ausgang der Katakomben kam. Den hatte ich dort unten gar nicht gesehen.

      „Was ist denn mit dir, Chérie, hast du dich erkältet?“ Maman sieht mich besorgt an.

      „Nein, nein, ich dachte nur gerade an all diese Knochen und Schädel.“

      „Also ich hätte da Angst“, sagt Didier leise und sieht mich treuherzig an.

      „Sind doch nur alte Schädel“, meint Papa und schiebt dabei seine abgegessenen Geflügelreste auf den Extrateller. „Dieses Hähnchen hat auch mal gelebt und seine Knochen hier machen dir doch auch keine Angst.“

      „Stimmt schon“, gibt Didier zu und betrachtet mit zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn den Knochenteller. Plötzlich blitzen seine Augen und er meint grinsend: „Aber gruselig wäre es doch schon, wenn sich daraus jetzt mit einem Mal ein Geisterhähnchen ...“

      „Oh! Ich glaube, es hat sich schon bewegt!“ Ich deute auf den Teller und Didier hält erschrocken inne, während Papa leise auflacht.

      „Lana!“, schimpft meine Mutter.

      „Er hat angefangen!“, verteidige ich mich.

      „Geisterhääähnchen!“, brummt Didier mit tiefer Stimme und weit aufgerissenen Augen, wobei er mit den Armen ganz langsam eine flatternde Bewegung antäuscht. Das sieht so lustig aus, das Papa und ich laut auflachen.

      „Nun ist es aber gut, Didier!“ Erbost fährt Maman dazwischen, „Sonst kannst du heute Nacht wieder nicht schlafen!“

      Didier grinst uns triumphierend an. - Na, der wird auch immer frecher!

      „Wie war es denn im Louvre? Habt ihr dort ein Bild gefunden?“, fährt Maman an mich gewandt fort und blinzelt dabei gleichzeitig ziemlich böse, um mir zu signalisieren, dass sie das Thema Geisterhähnchen nicht zu vertiefen wünscht. Das gelingt ihr zwar, aber der Lachanfall, den sie mit dieser Frage provoziert, ist noch viel größer. Papa kann sich kaum halten. Laut lachend lehnt er die Stirn an meine Schulter.

      „Im Louvre ein Bild gefunden“, keucht er.

      „Ja, eins schon!“, antworte ich so ernst wie möglich.

      Papa drückt sich seine Serviette an den Mund, um ein erneutes Prusten zu unterdrücken.

      Maman verdreht die Augen und stöhnt auf: „Ich räum jetzt den Tisch ab!“ Entschlossen steht sie auf.

      „Ich helfe dir!“, ruft Didier und sieht uns mit zusammengezogenen Augenbrauen an, während Papa und ich albern rumkichern. Draußen hören wir Didiers leise Stimme: „Was war denn da jetzt so witzig?“ Da prustet auch Maman los.

      Ratlos kommt Didier wieder herein und räumt das Geisterhähnchen und die Bestecke weg. Dabei schaut er Papa und mich immer wieder misstrauisch und leicht beleidigt an, während wir immer noch rumglucksen.

      „Der war gut“, keucht Papa schließlich und wischt sich mit seiner Serviette die Augen.

      Maman bringt Obst und Käse auf den Tisch. „Habt ihr im Louvre ein Bild gefunden - Ne blödere Frage hätte ich auch wirklich nicht stellen können“, murmelt sie und grinst, während sie sich hinsetzt.

      „Ich will auch mal lachen“, mault Didier und nimmt sich einen Pfirsich.

      Papa schenkt sich und Maman noch ein Glas Rotwein zu dem Käse ein. „Na ja“ erklärt er dabei schmunzelnd „wenn man bedenkt, dass der Louvre das drittgrößte Museum der Welt ist, sollte man doch wohl mehr als ein Bild dort vermuten, oder?“

      „Ach so!“, kichert Didier, aber so unsicher, wie seine Augen zu Maman und wieder zu uns wandern, hat er den Witz der Sache - vermute ich mal - immer noch nicht erkannt.

      08 DER VERDACHT

      Todmüde krabbele ich später in mein Bett, nachdem ich endlich die Matheaufgaben fertig habe. Ich mache das Nachtlicht aus und lege mich auf den Rücken. Über mir kleben ein paar Leuchtsterne an der Decke. Ein Überbleibsel aus Kindertagen, wie überhaupt mein ganzes Zimmer ein Überbleibsel aus Kindertagen ist. Angefangen mit dem blaugrauen Teppich mit lauter gelb-orangefarbenen Bärchen mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen. Und dann die Tapete: Auch wenn ich noch so viele Poster an die Wände klebe, sie können die bunten Kindermotive, die darauf gedruckt sind, leider nicht überall verdecken.

      Ich habe mich daran gewöhnt und manche Sachen von früher will ich auch gar nicht weg haben. Zum Beispiel den kleinen Kindersessel aus Bambus, auf dem meine beiden Lieblingskuscheltiere ihren Platz haben, oder der alte Strohhut aus Port Grimaud, der einen meiner beiden CD-Ständer ziert. Und dann gibt es da auch noch das kleine Regal voller Erinnerungsstücke aus früheren Zeiten ...

      Ich schaue auf die sanft schimmernden Sterne über mir und überlege, was ich mit all dem Zeug mache, wenn ich nach Berkeley gehe.

      Berkeley ... Bilder tauchen vor meinen Augen auf: Wie ich über die Campuswiese auf Diego zu laufe. Wie er mich in seinen Armen liebevoll auffängt. Diese Traumbilder erscheinen immer in warmem Sonnenlicht.

      Ich stehe am Strand und es ist gar nicht mehr warm. Es bläst ein kühler Wind und die Möwen kreischen über mir. Da ist ein Mann, der mit einer Armbrust durch den spärlichen Bewuchs der Dünen schleicht. Er hat die Waffe im Anschlag. Sein grauer Umhang weht im Wind. Er kniet hinter einem Busch nieder, streicht sich die halblangen Haare aus dem Gesicht, zielt und schießt.

      Ich sehe, wie der Pfeil durch die Luft schwirrt. Er trifft auf den nackten Rücken eines anderen Mannes. Mit einem knackenden Geräusch zerschmettert er Fleisch und Knochen. Dort, wo der Pfeil sich in den Körper gebohrt hat, wird alles rot von austretendem Blut.

      Ich ducke mich hinter einen Strauch. Warum ist der andere Mann halb nackt? Er kommt mir irgendwie bekannt vor.

      Der Mann mit dem grauen Umhang steht auf und geht auf den Verletzten zu, der mittlerweile ganz langsam in den Sand gesunken ist. Der Mann mit der Armbrust steht nun vor dem Verletzten wie ein Jäger, der seiner Beute den Todesstoß versetzen will. Seine erneut gespannte Armbrust zielt auf sein Opfer.

      Was macht denn das kleine Mädchen da? Erschrocken fahre ich herum. Es steht ganz oben auf dem Kamm einer Düne. Die blonden, lockig aufgebauschten Haare leuchten vor dem bleigrauen Himmel in einem ganz unnatürlichen, goldenen Licht.

      Was tut sie da? Warum sieht sie dieser Szene zu, und was ist das für ein merkwürdiger Schlitten neben ihr? Es ist doch gar kein Winter. Sie sieht so zierlich und verletzlich aus, und sie ist in Gefahr!

      Ich will zu ihr laufen, will sie zu mir in die sichere Deckung ziehen, aber meine Beine gehorchen mir nicht. Ich versuche zu rufen, aber es kommt kein Ton aus meinem Mund.

      Gefangen in meiner stummen Unbeweglichkeit beobachte ich, wie der Verletzte langsam aufsteht. Er lässt den Jäger nicht aus den Augen. Der hebt erschreckt seine Armbrust. Aber er ist langsam, viel zu langsam. Es wirkt, als müsse er einen Widerstand überwinden.

      Mit erschrocken umherirrendem Blick versucht der Jäger

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