DIE GABE. Michael Stuhr
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„Keiner von ihnen wird mich berühren.“ Greta griff in ihre Handtasche und brachte ein kleines Fläschchen hervor. „Mein Abwehrzauber“, gab sie bekannt und hielt den Flacon hoch. „Wirkt besser als Knoblauch gegen Vampire. Willst du gleich auch was, wenn es losgeht?“
„Ich nehme ein wenig Schiffsdiesel. Das hemmt den Appetit genauso gut. Du wirst dich stark parfümieren müssen.“
„Genau das werde ich auch machen.“
„Dann kommt mir bloß nicht zu nahe.“ Izzy sah seine Kollegen streng an. „Menschliche Stinkbomben sind mir zuwider. Da kann ich unsere Darksider-Freunde gut verstehen.“
„Sich zu parfümieren ist Ausdruck höchster Kultur“, wies Greta ihn zurecht.
„Wölfe wälzen sich im Kot von Pflanzenfressern, um den Raubtiergeruch zu überdecken. Ausdruck höchster Kultur, ja?“
Greta lächelte. „Beim Anschleichen an die Beute haben sie ihre Erfolge damit. Intelligenz besiegt Instinkt. Noch Fragen?“
Thakur telefonierte derweil mit der Rezeption und sorgte dafür, dass gleich im Yachthafen des Hotels ein großes Motorboot für sie bereitlag.
„It’s partytime“, knurrte Izzy, und Greta sprühte sich schon mal ein wenig Parfüm auf die Handgelenke und das Brustbein.
Keiner von ihnen hatte auch nur den geringsten Zweifel daran, dass man Greta und Thakur auf das Schiff des Königs lassen würde. – Direkt in die Höhle des Löwen.
06 HERCULE
Im neuen Jahrtausend war es weltweit schwieriger geworden, sich eine andere, glaubhafte Identität zuzulegen. Das bedeutete aber nur, dass man über die neueste Technologie verfügen musste, um die Behördencomputer zu überlisten. Wie immer und überall ebnete auch hier Geld den Weg, und so war die Familie Montenaux, die in San Francisco ankam, eine andere als die, die aus Marseille abgereist war.
Ein ewiges Problem bei den Darksidern war, dass sie sich jung erhalten konnten, und die meisten von ihnen das auch taten. Diego wusste nicht, wie alt seine Eltern wirklich waren. Sie sprachen von der spanischen Inquisition, als seien sie selbst dabei gewesen, aber sie wirkten wie ein Ehepaar Mitte dreißig. Um vor den normalen Menschen zu verbergen, dass sie nicht alterten, war es immer wieder nötig gewesen, das Land oder sogar den Kontinent zu wechseln, und jetzt war es wieder mal so weit.
Diego war herangewachsen, und langsam wurde es unwahrscheinlich, dass so junge Eltern einen Sohn um die Zwanzig hatten. – Zeit, die Dinge mal wieder ein wenig gerade zu rücken, wie Diegos Vater es ausdrückte; also hatten sie auf hoher See alle alten Ausweispapiere vernichtet. Synchron dazu waren Dutzende von Amtscomputern manipuliert worden, um die Daten der Familie an die neuen Identitäten anzupassen. Aus den neuen Pässen konnte man jetzt herauslesen, dass René Felipe Montenaux aus Bretonville, Kanada, fünfzehn Jahre älter war, als sein Bruder Diego. In Zukunft würde Diego sich also als der Bruder seines Vaters ausgeben müssen, seine Mutter war offiziell zu seiner Schwägerin geworden, und er selbst war nun ein in Montreal geborener Franco-Kanadier. Nun, ja, er würde sich daran gewöhnen.
Als die Manhattan unter Führung eines Lotsen in die San-Fancisco-Bay einlief, war es später Abend. Die Golden-Gate-Bridge war erleuchtet und die Kuppel aus Streulicht über der Stadt schimmerte im Wasser, genau wie die Lichter der Stadt selbst. Langsam steuerte die große Yacht auf den Tiefwasserhafen zu und machte an einem abgelegenen Kai bei dem Montenaux-Containerterminal fest. Der Lotse ging von Bord und wurde von einer Barkasse abgeholt.
Diego entschloss sich, die letzte Nacht an Bord im Salzwasserpool zu verbringen. Die nächsten Tage würden anstrengend werden. Die Prüfungen würden Einiges an Kraft kosten, und es war ungewiss, wann er wieder Zeit finden würde, im Meer zu schwimmen.
Irgendwann mitten in der Nacht drang ein Poltern an Diegos Ohr und er öffnete kurz die Augen. Die Nachtschicht der Hafenarbeiter holte wohl gerade sein Fahrzeug aus dem Frachtdeck. Er schloss die Augen wieder, ließ sich weiter in dem angenehm temperierten Wasser treiben, während sich sein Körper durch die Haut mit den wichtigen Salzen und Nährstoffen aus dem Meer auflud. Er kümmerte sich nicht weiter um das leise Gerumpel, das hin und wieder durch den Schiffskörper bis in den Pool drang. In einem dämmrigen Halbschlaf drifteten seine Gedanken weit in die Vergangenheit zurück:
Die Manhattan war mehr als ein Jahrzehnt lang fast so etwas wie Diegos Gefängnis gewesen, nachdem er als Fünfjähriger das Mädchen aus Versehen getötet hatte. Seine Eltern waren mit ihm auf dieser Yacht um die ganze Erde gereist. Sie hatten versucht, auf diese Weise der Vergangenheit zu entkommen und neues Unheil zu verhindern.
Diego kannte hier jeden Winkel und für lange Zeit waren Erwachsene die einzigen Personen gewesen, mit denen er hatte reden können. Es hatte da einen strengen Privatlehrer namens Ferris gegeben und ab und zu war auch ein Geistlicher aus Diegos Volk an Bord gekommen und hatte mit ihm über die Alte Schuld gesprochen, die der Junge seiner Ansicht nach viel zu früh auf sich geladen hatte.
Das alles war aber verblasst durch Diegos eigene Erinnerung an den unseligen Nachmittag, an dem das Mädchen in seinen Armen gestorben war. Immer wieder war die Kleine in seinen Träumen aufgetaucht. Diego hatte sich als Verlorenen gesehen, der es nie wieder wagen konnte, einen Menschen innig zu berühren. Dieses Gefühl hatte bis jetzt immer im Vordergrund gestanden. Mehr als einmal hatte er mit dem Schicksal gespielt und sein Leben mutwillig aufs Spiel gesetzt, bis er eines Tages in einem Strandlokal Lana gesehen hatte.
Von diesem Tag an war alles anders geworden. Er hatte es gewagt, Lana anzusprechen, und sie war der Inbegriff von allem, was Diego sich wünschte. Alles hätte gut werden können, aber dann hatte Dolores, seine Cousine, sich nicht beherrschen können und Lanas Freundin so viel Lebenskraft genommen, dass sie über Nacht zu einer verwirrten, alten Frau geworden war.
Lana hatte die Sache aufklären wollen, und er hatte ihr gestehen müssen, dass er in gewisser Weise darin verwickelt war. Sie hatten sich gestritten und er hatte dafür gesorgt, dass Dolores für dreißig Jahre nach Sweetwater, in das Gefängnis der Darksider, geschickt worden war.
Lana hatte das alles verstanden. Sie wusste, dass er einer anderen Rasse angehörte, dass sein Volk nach eigenen Regeln lebte, und sie hatte das akzeptiert. – Und nun waren sie wieder getrennt. Sie lebte in Paris, tief im Binnenland, mitten in Europa, und er würde sich für die nächsten Jahre an der Westküste Nordamerikas aufhalten müssen.
Diego wollte daran glauben, dass sie auf ihn warten würde. Er wünschte es sich so sehr, aber wenn er die Sache richtig überdachte, war es nahezu hoffnungslos.
Um die Mittagszeit saß Diego allein auf dem Oberdeck, las ein wenig in einem amerikanischen Magazin und genoss die Sonne. Er sah kurz auf, als sein Porsche mit dem typisch heiseren Motorgeräusch aus der Stadt zurückkam. Einer der Angestellten des Containerterminals war mit dem Wagen bei der Umweltschutzprüfung und auf der Zulassungsstelle gewesen. Alles war problemlos gelaufen und die brandneuen, kalifornischen Nummernschilder funkelten in der Mittagssonne.
„Schönes Auto!“, sagte der Mann, nachdem er an Bord gekommen war und Diego die Schlüssel überreicht hatte. Offensichtlich hatte der Job ihm Spaß gemacht.
Diego bedankte sich und machte sich bereit, die Manhattan zu verlassen. Zwei Reisetaschen und sein Laptop, das war alles, was er brauchte. Die Fachbücher würde ihm ein Kurierdienst direkt nach Berkeley bringen. Diego hatte einfach keine Lust, die etwa fünfzig Kilo schwere