DIE GABE. Michael Stuhr
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Vorgestern war der Großsegler am Horizont aufgetaucht und vor der Küste vor Anker gegangen. Sofort war ein kleineres Boot zu Wasser gelassen worden, das nacheinander verschiedene Yachten besucht hatte, die in die Kanalzone einliefen. Thakur hatte sich gefragt, was das bedeuten konnte, aber das hatte sich schon am Abend geklärt. Etliche der Motoryachten hatten den Schutz der Kanalmündung verlassen und sich näher an den Großsegler herangeschoben. Beiboote jeder Größe hatten Gruppen von Menschen auf die King Caetan gebracht.
„Natürlich! Eine Party“, hatte Thakur geflüstert und wie zur Bestätigung seiner Worte war auf dem Segler die Beleuchtung eingeschaltet worden. Bis in die Masten hinein war das ganze Schiff plötzlich ein Lichtermeer gewesen, und wer es noch nicht gewusst hatte, der war spätestens jetzt darauf aufmerksam geworden, dass hier etwas Besonderes lief. Sicherlich hatten sich auf diese Art noch ein paar Extragäste anlocken lassen. Spender von Lebenskraft für den unersättlichen Appetit des Königs und seiner Gefolgsleute.
Das Teleskop hatte Thakur in gnadenloser Deutlichkeit die Strategie der Darksider gezeigt. Sie schläferten die Aufmerksamkeit der Partygäste ein und nahmen sie hypnotisch unter ihren Zwang, bis sie alles mit sich machen ließen. Frauen hatten sich mit hochgeschobenen Sonnentops an die Körper von Darksidern gepresst, während sich ihre Männer innig von den Darksider-Frauen hatten umarmen lassen. Die Gäste hatten sich förmlich an die Gastgeber herangedrängt und ihre entrückten Gesichter waren in der Lust erglüht, die sie dabei empfanden.
Thakur hatte nur sehen können was an Deck geschah, aber er hatte sich vorstellen können, dass es auf dem ganzen Schiff so zuging. Plötzlich war eine wilde Wut in ihm aufgeflammt. Warum konnte er nicht einer von denen sein? Warum war er dazu verdammt, zu altern und zu sterben, während die sich immer wieder nach Belieben mit Lebenskraft voll pumpen konnten? Blass vor Zorn und Neid war er von dem Teleskop zurückgewichen und hatte sich auf das Bett gesetzt. Nur langsam hatte er sich wieder beruhigen können. Das Schicksal hatte ihn auf die andere Seite gestellt, da konnte man nichts machen. Man konnte nur Eines tun: Sie töten, wo immer man sie traf!
Das alles war am ersten Tag gewesen. Jetzt lag Caetans Schiff schon mehr als achtundvierzig Stunden auf Reede. Es schien so, als wenn es diese ergiebigen Jagdgründe nicht so schnell verlassen würde.
Am späten Nachmittag klopfte es an der Tür. Thakur legte die Tageszeitung beiseite, stand auf und öffnete.
Greta kam herein. „Izzy noch nicht da?“, fragte sie sofort. „Hallo Thakur.“
„Hallo Greta. Du bist schnell! Nein Izzy ist noch nicht hier. Von Tel Aviv kommt man nicht so einfach weg wie von Brüssel. Das alte Lied.“
„Wenn ich die ganze Zeit zurückbekäme, die ich schon auf Izzy gewartet habe, dann könnte ich glatt zwei Monate Urlaub machen“, meinte Greta.
„Wo wohnst du?“
„Im Decápolis, Zimmer 414.“
Thakur nickte zufrieden. So konnte man sie kaum in Verbindung bringen, falls jemand mal auf die Idee kommen sollte, sich die Buchungen der Hotels näher anzusehen.
In Paris hatten sich ihre Wege zunächst getrennt, und jeder von ihnen hatte ein paar Wochen in seinem Heimatland verbracht. Da man nie weiß, wer gerade die Telefon- und Datenleitungen überwacht, hatten sie in dieser Zeit keinerlei Kontakt miteinander gehabt. Vor zwei Tagen hatte Thakur dann unter dem Nickname „greyscale“ in einem bekannten Blog ein Bild des Miramar-Plaza gepostet. Das Bild hatte die Bezeichnung „panama-city-1932.jpg“ gehabt, was ein Hinweis auf Ort und Zimmernummer gewesen war. „Redcrab“ hatte mit einem Link zu dem Song „Leaving on a jetplane“ geantwortet und „swordfish“ blieb mit dem Link zu „give me a ticket for an aeroplane“ voll im Thema. Die Verständigung hatte gut geklappt. Zwei Tage nachdem Thakur die Nachricht gepostet hatte, saß Greta ihm schon gegenüber und wollte mehr über den Fortgang des Auftrags wissen.
„Die King Caetan liegt vor der Küste und er ist an Bord“, erzählte Thakur.
„Woher weißt du das?“
„Komm mit ins Schlafzimmer und ich zeig’s dir.“
Greta stand auf und folgte Thakur. „Wow!“, entfuhr es ihr, als sie das riesige Teleskop auf dem schweren Stativ entdeckte, das in der Nähe des Fensters stand. Sofort steuerte sie auf das Gerät zu.
„Warte noch!“ Thakur setzte sich auf den Stuhl vor das Teleskop, schaute durch das Okular und richtete das Gerät neu aus. Die Elektromotoren summten kurz auf und richteten die Optik wieder genau auf das Schiff. Unmerklich schwenkte das Teleskop um ein paar hundertstel Grad nach rechts. „So, jetzt!“ Thakur gab das Okular frei und stand auf.
Greta setzte sich, beugte sich zu dem Gerät hinab und konnte ein zweites „Wow!“ nicht unterdrücken. „Zum Greifen nah!“, staunte sie. „Man kann die Glieder der Ankerkette erkennen. Gib mir mal die Fernbedienung.“
Thakur händigte ihr das Kästchen mit den Steuerelementen für die X- und Y-Achse sowie die Zoom- und Schärfefunktion aus.
Greta machte sich kurz mit dem Gerät vertraut und ließ dann die Motoren schnurren. Was immer man ihr sonst nachsagen konnte: Berührungsängste mit technischen Anlagen kannte sie nicht. Offenbar suchte sie das ganze Schiff mit maximaler Vergrößerung ab.
„Ah, da ist er ja!“, knurrte sie plötzlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
„Caetan?“
„Caetan!“, bestätigte Greta. „Ich könnte die Knöpfe an seinem Hemd zählen. Wie kräftig er aussieht. Man möchte schwören, dass er noch keine Fünfzig ist.“ Sie richtete sich auf und reckte sich. „Tolles Gerät!“, meinte sie. „Gibt’s die nicht auch mit Kamerafunktion, sodass das Bild auf einem Monitor erscheint?“
„Gibt es“, bestätigte Thakur, „aber der Verlust an Bildschärfe ist zu groß. Pure Optik ist besser. Übernimmst du mal die Überwachung? Ich hab schon einen total steifen Hals. Es müsste gleich losgehen.“
„Was geht los?“ Greta beugte sich wieder über das Okular und strich sich die halblangen, roten Haare in den Nacken.
„Die Party. Schätze, Caetan bekommt gleich jede Menge Besuch.“
„War das gestern auch so?“ Greta sah Thakur kurz an.
„Ja! Lauter Touristen, die er von seinen Leuten einladen lässt.“
„Ich lade dich zum Essen ein, und du wirst das Essen sein“, meinte Greta und wandte sich wieder dem Teleskop zu.
„So sieht das aus!“ Thakur verließ den Schlafraum und machte es sich im Wohnzimmer gemütlich. Seine Nackenwirbel knirschten bei jeder Bewegung des Kopfes wie eingerostete Türangeln. - Vielleicht wäre eine Observierung über Okularkamera und Monitor doch besser gewesen.
Es dauerte nicht lange und aus dem Nebenraum kam die erste Meldung: „Da legen Motorboote an und noch so einige sind aus der Kanalzone unterwegs.“
„Genau wie gestern.“ Thakur versuchte immer noch, seinen verspannten Nacken wieder geschmeidig zu bekommen. „Schau genau hin. So nah ist man selten dran.“
Wenig später schien die Party schon voll im Gange zu sein. „Völlig hemmungslos!“, ließ Greta sich hören. „Die wissen gar nicht mehr, was sie tun. – Widerlich! - Die armen Leute!“
„Hm“,