DIE GABE. Michael Stuhr
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„Ich will da hin!“ Greta kam durch die Tür und zeigte hinaus auf das Meer, wo das große Segelschiff gemächlich in der Dünung auf und ab schwang. Mit bloßem Auge betrachtet war es so klein, dass man es mit dem Daumen der ausgestreckten Hand hätte abdecken können. „Ich habe einen Plan und ich will auf das Schiff!“
„Lass uns das bereden, wenn Izzy da ist“, schlug Thakur vor. So hatten sie es immer gemacht und daran würde sich auch nichts ändern. „Für heute ist Feierabend. Was meinst du, wollen wir uns ein nettes Restaurant in der Stadt suchen? Ich lade dich ein.“
„Ich bin dabei.“ Greta hatte sofort begriffen, dass es sinnlos war, mit ihrem Plan vorpreschen zu wollen, solange sie noch nicht vollzählig waren. Vielleicht hatte Izzy ja einen noch viel besseren Vorschlag. „Außer Bordverpflegung habe ich heute noch nichts gehabt. Mit was willst du mich denn füttern?“
„Schauen wir mal.“ Thakur setzte sich vor sein Notebook. Greta kam heran und sah ihm über die Schulter. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ein Lokal gefunden, das ihren Ansprüchen genügte. Es wurde sogar ein kleines Unterhaltungsprogramm geboten, und Thakur reservierte sofort online einen Tisch für neun Uhr.
„Ein bisschen Zeit haben wir noch. Vorher einen kleinen Stadtbummel? Wir nehmen uns ein Taxi, lassen uns schon mal in die Nähe des Restaurants bringen und laufen ein bisschen rum.“
„Gern!“ Greta griff nach ihrer Handtasche, steuerte auf das Bad zu und schloss die Tür hinter sich. Nach zwei Minuten tauchte sie wieder auf. „Kann losgehen!“, verkündete sie. „Meinst du, dass noch ein paar Läden auf haben?“
„Aber sicher!“ Gut gelaunt ließ Thakur seiner Kollegin an der Zimmertür den Vortritt. Er war zufrieden. Der Job lief gut an und das Restaurant, das sie ausgesucht hatten, war fast schon eine Garantie für einen unterhaltsamen Abend. Greta machte einen hochmotivierten Eindruck und jetzt musste nur noch Izzy auftauchen. Aller Erfahrung nach würde das morgen der Fall sein, und dann konnten sie darangehen, einen Plan auszuarbeiten. So langsam wurde das Jagdfieber in Thakur wach. Caetan war so gut wie tot. Die ganze gestohlene Lebenskraft würde ihm nichts nützen. Thakur konnte es kaum erwarten, ihn sterben zu sehen.
Gegen Mittag des nächsten Tages stand Izzy vor der Tür des Zimmers im neunzehnten Stock. Nach kurzer Begrüßung führte Greta ihn ins Schlafzimmer, wo Thakur gerade Schichtdienst am Teleskop machte. Im Moment war auf der King Caetan nicht viel los. Wie ein Totenschiff dümpelte der Viermaster in der Mittagshitze. Nur eine dünne, bläuliche Abgasfahne am Heck verriet, dass der Generator lief, der die Bordelektrik mit Strom versorgte. Noch nicht einmal Wachen waren zu sehen. Thakur vermutete, dass die Überwachung der Umgebung über Kameras in der Takelage lief.
Izzy zeigte sich bei weitem nicht so beeindruckt von dem Teleskop wie Greta. Während seiner Militärzeit hatte er auf Zerstörern ebenso leistungsfähige Optiken kennengelernt, die von der Schiffsartillerie zur Zielortung und Entfernungsbestimmung benutzt wurden. „Hi, Thakur“, grüßte er nur. „Na, lohnt sich die Quälerei? Warum lässt du das nicht über einen Monitor laufen?“
„Ist besser so!“, brachte Thakur säuerlich hervor. Es war ganz offensichtlich, dass er einen Fehler gemacht hatte, aber dass seine Leute ihm das so deutlich sagten, konnte er nur schwer ertragen. „Lass uns rübergehen. Ich gebe es auf. Da drüben ist ja doch nichts los. – Hast du einen Schlachtplan mitgebracht?“
„Sicher doch!“ Izzy verließ den Raum schon wieder, während Thakur sich noch mühsam aufrichtete und reckte. „Lass uns über den Job reden.“
„Schlachtplan“ traf es genau, denn Izzy war für eine recht brachiale Lösung. Er schlug vor, Caetan im Wasser aufzulauern. Schließlich war es das Fest des Wassers, da verlangte der Ritus es, dass der König ins Meer stieg und den Göttern dankte. Izzy bot sich an, die Sache bei dieser Gelegenheit mit Pressluftharpune und Explosivpfeilen klarzumachen, wie er sich ausdrückte. Für ihn als ausgebildeten Kampfschwimmer wäre das sicher ein gangbarer Weg gewesen, aber es blieben Unsicherheiten: Allein würde der König bestimmt nicht sein, und wenn seine Leute Izzy vorzeitig entdeckten, sah es schlecht aus für ihn – und für den Plan. Wenn der König bemerkte, dass man es auf ihn abgesehen hatte, würde er mit Sicherheit sofort in den Weiten des Pazifiks verschwinden und so schnell nicht wieder auftauchen.
Nein, so eine Vorgehensweise widersprach Thakurs Naturell zutiefst. Er blieb lieber auf Distanz und erledigte die Jobs, die der Heilige Pakt ihm gab, mittels Scharfschützengewehr oder ferngezündetem Sprengsatz. Da kam es dann aber sehr darauf an, wo Caetan sich gerade befand. Würde er den Ritus auf dem Stück Strand vor seiner Villa in Chile abhalten, oder im offenen Wasser von seinem Schiff aus? Man wusste es nicht. Völlig undenkbar auf hoher See von einem schwankenden Boot aus einen sauberen Schuss zu platzieren. Genauso unmöglich, gleich die ganze King Caetan VII in die Luft zu sprengen. Schließlich bestand die Besatzung nicht nur aus Darksidern, und da keine Menschen zu Schaden kommen durften ... Bedauerlich!
Als bester Vorschlag stellte sich der von Greta heraus. Beim Fest des Wassers würden sich die Darksider kaum die Gelegenheit entgehen lassen, nach dem Ritus ein großes Fest zu feiern. Egal, ob an Land oder auf dem Schiff: Es würden auch Menschen dort sein, an deren Lebenskraft man sich ein wenig bedienen konnte. Darauf basierte Gretas Plan. Sie wollte sich in Thakurs Begleitung an Caetan heranmachen, und wenn er sie berührte, würde sie auf seinem Körper eine tödliche Überraschung hinterlassen. Sollte das nicht klappen, war immer noch Thakur da, der dem König kurzerhand das Genick brechen konnte. Möglich war das allemal, wenn es dem Inder auch überhaupt nicht behagte, dass er sich so nah an sein Opfer heranwagen sollte. Was nutzte ihm der tote König, wenn dreißig Darksider auf ihn losgingen, und er die Sache selbst nicht überlebte? Schließlich hatte Caetan ein ganzes Rudel Bodyguards. – Aber auch dafür hatte Greta so etwas wie eine Lösung parat, denn Izzy sollte mit einem sehr schnellen Boot in der Nähe sein, und sie notfalls freischießen.
Thakur hatte seine Zweifel. Eigentlich war die Sache ihm zu gefährlich, aber da es keinen besseren Plan gab, stimmte er zu.
An den nächsten beiden Tagen wechselten sich Greta, Thakur und Izzy bei der Observierung der King Caetan ab. Thakur hatte in der Stadt eine hochauflösende Kamera und einen Adapter für das Teleskop besorgt. Als das Zeug angeschlossen war, konnte die Überwachung per Notebook-Display erfolgen, und die verkrampfte Haltung über dem Okular gehörte der Vergangenheit an.
Sie stellten fest, dass die Bordpartys immer nach dem gleichen Muster abliefen. Tagsüber verteilte Caetans Team Einladungen an die Besatzungen der Yachten und am Abend wurde frische Lebenskraft getankt. Der rege Verkehr in der Mündung des Panamakanals sorgte für steten Nachschub.
Einmal hatte es einen Zwischenfall gegeben: Ein Mann, der seine widerstrebende Frau hinter sich her zerrte, hatte das Schiff mit allen Anzeichen der Empörung verlassen und war mit seinem Motorboot davongerauscht. Niemand hatte ihn aufgehalten, aber für Thakur und sein Team war es interessant, dass es offenbar Menschen gab, die sich dem Einfluss der Darksider entziehen konnten.
Greta konzentrierte sich besonders darauf, welchen Frauentyp Caetan bevorzugte. Es stellte sich heraus, dass er eher die Dunkelhaarigen und Brünetten liebte, die auch gern eine etwas größere Oberweite haben durften.
„Das kriege ich hin“, meinte Greta, während sie prüfend an sich hinuntersah. „Mach mir mal einen Termin im Friseursalon.“
Thakur griff zum Telefon und eine Stunde später kam Greta mit hellblonden Haaren zurück. „So, das ist erst mal Tarnung genug“, stellte sie fest. „Sobald die Party anfängt, können wir rausfahren, und uns die Sache aus der Nähe ansehen.“
Thakur hatte immer noch Bedenken. „Du begibst dich in Gefahr, das weißt du.“
„Sicher.“