Name unbekannt. J. B. Hagen

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Name unbekannt - J. B. Hagen

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Bäder und zwei Kammern zur Wohnung.

      Mandls Frau, Therese, die sich gern mit dem Titel ihres Gatten anreden ließ, während er sich am liebsten Baron nennen ließ, stammte vom Theater. Ein Umstand, den sie erfolgreich verdrängte, war sie doch ohnehin längst nicht mehr im Gedächtnis des Publikums vorhanden. In den prachtvollen Räumen hielt sie mindestens alle zwei Monate einen literarischen Salon ab, bei dem aus bekannten und auch unbekannten Werken vorgetragen und auch musiziert wurde.

      Das Dienstpersonal, das in jenen Zeiten unumgänglich war, bestand aus der Köchin Selma, einer rundlichen, pausbäckigen Frau aus Böhmen, und den Stubenmädchen Elfride und Josefine. Beide trugen schwarze, bodenlange Kleider mit weißen Schürzen und einem Häubchen auf dem Kopf und Schnürstiefel an den Füßen. Selma, die stets in reinstem Weiß gekleidet war, hatte den Vorzug, eine Kammer mit Fenster gleich neben der Küche zu haben, während die beiden Mädchen sich eine enge Kammer ohne Fenster und ohne Heizung teilen mussten.

      Elfride Swoboda, eine blasse, zweiundzwanzigjährige Frau mit dunklen, glanzlosen Haaren, hätte man am treffendsten als hübschhässlich bezeichnen können. Deshalb war sie der Gnädigen auch allemal lieber als die auffallend hübsche Josefine Singer mit ihrem seidigen Blondhaar und den frechen Grübchen. Das war natürlich auch dem Baron nicht entgangen, und er ließ keine Gelegenheit aus, das junge Mädchen mit seinen Blicken zu entkleiden. Therese gab einzig Josefine die Schuld daran. Wahrscheinlich hatte sie wieder so aufreizend verschämt geguckt und den Gatten damit ermuntert. Josefine und Elfride schufteten den ganzen Tag von früh bis spät. Das begann morgens mit dem Befeuern der Öfen und setzte sich mit dem Bohnern des Parketts fort. Zwischendurch mussten sie die Mahlzeiten servieren oder der Gnädigen beim Ankleiden und Frisieren helfen beziehungsweise sie unentwegt bedienen, wenn sie sich lasziv auf dem Diwan räkelte und in der „Gartenlaube“ las, die zeitweilig unter der Leitung eines gewissen Dr. Leopold Sacher-Masoch herausgegeben worden war.

      Diesem Herrn machte Therese alle Ehre, wenn sie sich immer neue nutzlose Aufgaben für Josefine ausdachte. Sodass das Mädchen oft nachts weinend im Bett lag und von Elfride getröstet werden musste. Trösten wollte sie scheinbar auch der Baron. Denn wie anders sollte man sich erklären, dass Josefine ihm nicht nur das Badewasser in seinem persönlichen Bad einlassen musste, sondern ihm auch den Rücken schrubben, wofür er sich mit einem Glas Sekt und zärtlichem Streicheln bei ihr bedankte. Wenn Gattin Therese schon längst in Morpheus’ Armen lag, suchte er sogar gelegentlich Josefine in ihrer Kammer auf. Elfride musste sich für diese Zeitspanne in der Küche aufhalten. Was ihr einesteils ganz recht war, da sie dem finsteren Treiben nicht beiwohnen musste, andererseits bekam sie weniger Schlaf in diesen Nächten und wurde am darauffolgenden Morgen von heftiger Müdigkeit geplagt.

      »Wie hältst du das nur aus?«, fragte sie Josefine, als wieder einmal der Gnädige Thema war.

      »Eigentlich gar nicht«, sagte Josefine, »aber was soll ich denn machen? Schlimmer noch als seine erotischen Attacken sind beinahe noch die Angst vor der Gnädigen und die, irgendwann schwanger zu werden. Die bekommt es fertig, mich in ihrer Wut auf die Straße zu setzen. Und nach Hause zurück kann ich in dem Zustand auch nicht. Mein Vater würde mich totschlagen.«

      »Du armes Hascherl. Ich möchte nicht in deiner Lage sein. Zum Glück bin ich nicht der Typ vom Herrn Baron. Ich wüsste nicht, was ich sonst täte. Aber dass die Gnädige dich fortschickt, glaube ich nicht. Sie hätte viel zu große Sorge, dass es zum Skandal käme. Eifersüchtig scheint sie schon lange nicht mehr zu sein. Sie tut nur so, wenn du mich fragst. Seine erotischen Fähigkeiten dürften ohnehin sehr bescheiden sein. Aber darüber kannst du besser Auskunft geben.«

      »Was willst du hören? Zeitweilig erinnert er mich an ein Karnickel. Eines, das zu früh kommt. Manchmal versagt er sogar völlig. Er redet sich dann mit zu viel Alkoholgenuss heraus.«

      Elfride kicherte unter der Bettdecke.

      »Das kenne ich. Bei manchen Männern ist das so, sagt meine Mutter.«

      »Na ja, der Jüngste ist er ohnehin nicht mehr. Und bei Herren seines Alters ist der Wunsch oft der Vater des Gedankens. Wie dem auch sei, ich bin ihm ausgeliefert. Wenn ich freiwillig das Haus verlassen würde, stünde in meinem Zeugnis mit Sicherheit etwas zwischen den Zeilen, das es mir unmöglich machte, eine andere Stellung zu finden. Also lasse ich die Schmach über mich ergehen und hoffe, er würde irgendwann das Interesse an mir verlieren. Bis dahin werde ich weiter in Angst leben.«

       Heute

      Andreas Wolff hatte eine heimliche Leidenschaft, von der kaum jemand etwas ahnte. Er liebte Spukgeschichten und übernatürliche Phänomene. Zu Hause im Tausendseelendorf Wolfersweiler, in den südlichen Ausläufern des Schwarzwälder Hochwalds gelegen, hatte man ihm zuletzt Gespenstergeschichten erzählt, als er noch ein kleiner Junge war. Später wollte man von so einem Kram nichts mehr wissen. Doch seit es das Internet gab, konnte er nach Herzenslust immer wieder neue Seiten entdecken, die sich weltweit mit den absonderlichsten Phänomenen befassten. Im Dorf hatte es sich an sich recht gut leben lassen. Doch als junger Mann von zwanzig Jahren wollte er mehr erleben als die jährlich stattfindende historische Laurentiuskirmes mit Markttreiben und einigen Veranstaltungen, die den Höhepunkt im Jahreskreislauf bildeten. Deshalb hatte er sich kurzfristig entschieden, nach Berlin zu gehen. Dorthin, wo das Leben tobte und man so anonym, aber auch so einsam wie kaum anderswo sein konnte. Seine hervorragenden Abiturnoten ermöglichten ihm, einen der heißbegehrten Studienplätze zu ergattern. So widmete er sich der Philosophie, den Geisteswissenschaften allgemein und der Germanistik. Wohin das einmal führen sollte, davon hatte er noch keine konkrete Vorstellung. Er verfuhr nach dem Motto: Kommt Zeit, kommt Rat. Er hatte es sich einfacher vorgestellt, eine preiswerte Wohnung in der Hauptstadt zu finden. Aber schließlich war ihm ein Zimmer in einer Dreier WG angeboten worden, und das genügte ihm fürs Erste.

      Manchmal fehlten ihm der Buchwald, der nahegelegene Bostalsee und die vielen Wanderwege und Freizeitmöglichkeiten. Doch Berlin war nicht umsonst eine der grünsten Städte. Mit dem Fahrrad erkundete er den unweit gelegenen Tiergarten oder machte sich auf, den Tegeler Forst, Spandauer Forst oder Grunewald zu entdecken. Bei seiner Online-Recherche stieß er auf ein ganz besonderes Fleckchen Erde im Grunewald: den sogenannten Schandacker, Selbstmörderfriedhof oder auch Friedhof der Namenlosen. Im Jagen 135, nahe dem Schildhornweg, wurde er nach längerem Suchen fündig und war von Anfang an überwältigt von der ganz besonderen Atmosphäre. Dort zwitscherten Vögel und knackten zuweilen Äste, aber sonst war alles friedlich, denn man hörte nicht die aufdringlichen Geräusche des Autoverkehrs.

      Neue Bestattungen kamen auf dem Friedhof kaum noch vor. Und wenn, handelte es sich ausnahmslos um Angehörige bereits Bestatteter. Neben wenigen Grabsteinen mit Namen oder Inschriften, gab es auch besonders schlichte, auf denen, ebenso wie auf den einfachen Metallkreuzen, lediglich „Unbekannt“ stand. Weil die Havel unweit des Friedhofs einen Knick machte, waren dort im Laufe der Jahrzehnte hin und wieder Wasserleichen ans Ufer getrieben worden. In der Mehrzahl Verunglückte oder Selbstmörder, denen die christlichen Kirchen als „Todsündern“ die Beerdigung auf ihren Friedhöfen verweigerten. Somit musste die Forstverwaltung des Grunewalds dafür sorgen.

      Diese beschloss um 1878, die Leichen nahe am Fundort an einer Waldlichtung zu bestatten. Das sprach sich schnell herum, sodass sich alsbald auch Angehörige von Selbstmördern aus der weiteren Umgebung an den Oberförster wandten beziehungsweise ihre Toten kurzerhand selbst im Wald begruben. Daneben gab es Lebensmüde, die ihrer Familie den Ärger mit den ungnädigen Friedhofsverwaltungen ersparen wollten und sich deshalb in Friedhofsnähe umbrachten. Um weitere wilde Bestattungen zu unterbinden, wurde anfangs ein Maschendrahtzaun befestigt, der 1928 einer niedrigen Mauer wich, um dem Ort ein besseres Aussehen und Ansehen zu verschaffen. Als Eingang diente fortan ein Tor in einem etwa vier Meter hohen Bogen mit einer Holzüberdachung.

      Aber nicht nur namenlose Unfallopfer

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