Name unbekannt. J. B. Hagen

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Name unbekannt - J. B. Hagen

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man auf den Straßen eingesammelt hatte. Eine weitere Gruppe bildeten Menschen, die diesen Ort für sich als letzte Ruhestätte auserkoren hatten. Unter ihnen Willi Wohlberedt, der über vierzig Jahre Gräberforschung auf Berlins Friedhöfen betrieb und diese in einem mehrbändigen Werk veröffentlichte. Ausgezeichnet wurde er dafür mit einem Ehrengrab.

      Zu den bekannten Persönlichkeiten, die den Freitod wählten, gehörte der Schriftsteller Clemens Laar. Eines seiner bekanntesten Bücher war: „Meines Vaters Pferde“. Eingedenk dieser Tatsache hatte man wohl folgenden Spruch für sein Grabkreuz gewählt:

      “Mitten im Reiten/ Aus Sonnenseiten/ Erreicht Dich der Ruf./ Und der, der Dich schuf,/ Greift milde nach Dir./ Doch was Du gelebt,/ Es bleibt zurück./ Vom Jubel im Sprung,/ Vom Glühen und Schwung,/ Ein letztes Funkeln/ Im Bügeltrunk./ Und das lachende Wissen,/ Daß Gott uns liebt,/ So lange es auf Erden/ Die Pferde gibt.“

      Bekannt war auch das Grab der Pop-Ikone Nico alias Christa Päffgen. Zusammen mit Marilyn Monroe hatte sie das Actors Studio von Lee Strasberg besucht. In Federico Fellinis „La dolce vita“ spielte sie mit. Ebenso in mehreren Filmen von Andy Warhol, der sie schließlich zur Sängerin von „The Velvet Underground“ machte. Obwohl sie 1988 auf Ibiza vom Fahrrad stürzte und dabei tödlich verunglückte, betrachteten viele ihren Tod als Suizid auf Raten, denn sie war heroin- und alkoholabhängig. Mit achtzehn, zu Beginn ihrer Modelkarriere, soll sie bei einem Besuch des Friedhofs geäußert haben, dort gerne begraben zu werden. Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt, und sie lag nun an der Seite ihrer Mutter dort.

      Andreas verweilte oft stundenlang auf dem Friedhof. Dort, wo manche Gräber hinter Tannen versteckt waren. Wo es keine Grabbepflanzung und keine aufwendigen Grabsteine gab. Stattdessen konnte man auf Plastik-Fähnchen lesen: „Nutzungsdauer abgelaufen. Bitte bei der Friedhofsverwaltung melden“. Und er war keineswegs der Einzige, der dort nachdenklich umherlief. Oft sah er einen alten, gebückt laufenden Mann, der mitunter etwas Ordnung machte. Beim dritten Mal sprach ihn Andreas an.

      »Haben Sie auch jemanden hier liegen?«, fragte er etwas unbeholfen.

      »Nein, nein. Ich genieße nur die ganz besondere Atmosphäre«, lautete die knappe Antwort. »Ich habe Sie vorhin am Grab von dieser Nico gesehen. Können Sie sich vorstellen, dass dort noch immer in Plastik gehüllte Briefchen, Weinflaschen und Blumensträuße abgelegt werden? Sogar einen Weihnachtsbaum habe ich schon auf dem Grab entdeckt. Freilich kein echter, nur ein kleiner aus Plastik mit Batterien, die ihn leuchten ließen. Haben Sie das Grabkreuz vom Oberförster Willi Schulz gesehen? Er gehört zu denen, wo die Todesursache ungeklärt ist. Man sagt, einige Förster seien nicht darüber hinweggekommen, nach der Abschaffung der Monarchie nicht mehr königlicher, sondern nur noch städtischer Beamter zu sein. Seinem Kreuz hat man ein Geweih verpasst. Ins Holz eingeritzt ist: „Jagd vorbei“. Das nennt man dann wohl Berliner Humor.«

      Andreas lächelte gequält.

      »Sind Sie auch kein geborener Berliner?«

      »Nein, aber nach den vielen Jahrzehnten gefühlter.«

      »Den sprichwörtlichen Berliner Humor halte ich auch für etwas gewöhnungsbedürftig«, sagte Andreas.

      »Das dürfen Sie nicht so eng sehen, junger Mann. Vieles ist nicht so schroff gemeint, wie es klingt. In Wahrheit hat der Berliner viel Herz. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass man die aus der Havel gefischten Wasserleichen als „Opfer der Kälte“ bezeichnete. Das kann man ruhig im übertragenen Sinne sehen. Manchmal schrieb man auch nur „Verunglückt“ auf das Kreuz. Dabei war es offensichtlich, dass es sich um einen Lebensmüden handelte. Man hat seinen Tod damit liebevoll verschleiert. Kommen Sie mal am späten Abend hierher, dann können Sie manche noch sehen.«

      Mit dieser seltsamen Aussage verschwand der ältere Herr, als hätte es ihn gar nicht gegeben.

      Noch jemand anderen sah Andreas hin und wieder. Eine junge Frau mit blassem Gesicht und hellblonden Locken. Sie wirkte so ätherisch mit ihrer fahlen Haut und ihrem dünnen Kleid, dass Andreas sich nicht traute, sie anzusprechen. Meist stand sie still vor einem der Gräber wie dem des unbekannten Sohnes. Sein Stein trug die Inschrift:

      „Geliebt - beweint/ Mein frühes Grab, mein frühes Grab/ drum Mutter ruf mich nicht zurück/ ich lebe noch und liebe Dich/ in diesem schönen Himmelslicht“.

      Anschließend ging sie stets zu einem Kreuz der Namenlosen, wo sie lange verharrte, um sich dann beinahe abrupt davon zu entfernen. Andreas kam es vor, als liefe sie nicht, sondern schwebe. Wenn es nicht helllichter Tag gewesen wäre, hätte er geglaubt, ein Geistwesen zu sehen. Aber ließen die sich nicht nur nachts sehen? Auf dem Heimweg ging ihm das Mädchen nicht aus dem Sinn, und er nahm sich vor, den Rat des alten Mannes zu befolgen. Wer weiß, wer oder was ihm spät abends oder nachts dort begegnen würde. Wie recht er mit seiner Vermutung hatte, sollte sich alsbald zeigen.

      Kapitel 2

      Das Unheil nimmt seinen Lauf

      Johanna war mit ihrer schlanken Figur und den goldblonden, aufgesteckten Haaren ein Hingucker. Den männlichen Gästen entging aber nicht, dass Willi, der Sohn des Hauses, ein Auge auf sie geworfen hatte, womit sie für viele tabu wurde. Einer, der sich eiskalt lächelnd darüber hinwegsetzte, war Ferdinand von Hohensee – von seinen Freunden nur Ferdi gerufen –, ein arroganter, von sich überzeugter Jüngling aus reichem Hause, der glaubte, die gesamte Frauenwelt müsse ihm zu Füßen liegen.

      Johanna mochte den Schönling nicht. Trotzdem bediente sie ihn freundlich und zuvorkommend. Auch entging ihr nicht, dass er sie mit den Augen verfolgte und es stets so einrichtete, in ihrem Revier einen Tisch zu belegen. Aber für sie war er einer, den sie nicht einmal erhört hätte, wenn er der einzige Mann auf der Welt gewesen wäre. Und trotz aller Freundlichkeit strahlte sie das auch aus. Ein Umstand, der Ferdi noch mehr anstachelte.

      »Na, Frolleinchen, wo gehen wir denn heute noch hin nach Feierabend?«, fragte er sie ungeniert.

      »Ich weiß nicht, was Sie noch vorhaben. Ich meinerseits werde die müden Füße hochlegen und früh schlafen gehen.«

      »Schlafen ist eine gute Idee, aber nicht allein. Da versäumt man so viel.«

      Ferdis Freunde grölten.

      »Schlafen ist ein wenig wie Sterben. Das kann man nur allein.«

      »Sieh an, das Servierfrollein ist gebildet. Wer hätte das gedacht? Sie hat gelesen, dass der Schlaf als kleiner Bruder des Todes bezeichnet wird. Na, vor dem Schlafen gibt es noch einiges andere, was man tun kann, und das geht allein ungleich schlechter.«

      Wieder grölten Ferdis Freunde, und Johannas Gesicht überzog eine feine Röte.

      »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich hole dann mal Ihre Bestellung, bevor der Schaum vom Bier ganz verschwunden ist.«

      An diesem Abend zechten Ferdinand und seine Freunde noch ausgiebig, und zu später Stunde machte sich ein gefährliches Glitzern in seinen Augen bemerkbar. Johanna war heilfroh, als die unliebsame Gesellschaft endlich von dannen zog. Um zu ihrem Zimmer zu gelangen, musste sie später etwa hundert Meter zurücklegen, denn es befand sich in einem Wohnhaus, das zu der Gastronomieanlage gehörte. Der Weg war nicht besonders gut ausgeleuchtet, sodass Johanna stets eine leichte Gänsehaut befiel. Zu allem Unglück konnte sie Willi diesmal nicht begleiten, weil es noch geschäftliche Dinge mit seinen Eltern zu bereden gab.

      Sie

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