Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht
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„Vielleicht hast du recht, wenn es auch schwer einzusehen ist“, sagte er, in der Hoffnung, die richtige Mischung von Betroffenheit und Einsicht zu finden. Er selbst fand sich nicht sehr überzeugend.
„Ehrlich gesagt, hatte ich bei unserem letzten Treffen das Gefühl, dass du ähnlich über unsere Beziehung denkst. Vielleicht bin ich dir ja nur damit zuvor gekommen, Schluss zu machen. Ist da was Wahres dran?“ Ganz dumm war Babsi also auch nicht.
„Ich habe mir natürlich Gedanken über uns gemacht, war mir aber nicht sicher, was ich eigentlich wollte. Vielleicht seht ihr Frauen in solchen Dingen klarer als wir. Ich weiß jetzt auch nicht einmal, ob ich traurig sein soll“, antwortete Philipp und hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl, irgend etwas vorspielen zu müssen.
„Ich möchte, dass wir Freunde bleiben. Ich weiß, das klingt furchtbar banal, aber es ist so. Wir können uns auch öfters sehen, du brauchst ja nur anzurufen.“
Philipp blieb gar nichts anderes übrig, als einverstanden zu sein.
Der Rest des Abends verlief äußerst harmonisch, vielleicht, weil alles gesagt war, was zu sagen war. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, dachte sich Philipp auf dem Nachhauseweg, wie einfach alles doch gewesen war, so einfach, wie es eben ist, wenn nicht allzu viel Liebe den Blick verstellt.
6.
In den nächsten Wochen hatte Philipp Zeit, nachzudenken. Auch wenn er die Trennung von Babsi selbst gewollt hatte, merkte er jetzt doch eine unangenehme Nebenwirkung davon, an die er vorher nicht gedacht hatte, nämlich dass er allein war. Er hatte niemanden, den er anrufen konnte, wenn er Lust hatte, etwas zu unternehmen oder einfach zu reden. Mit Freunden und Kollegen ging er zwar hin und wieder weg – so traf er sich weiter in unregelmäßigen Abständen mit Bernhard –, aber das war etwas anderes als mit jemandem zusammen zu sein, den man fast täglich sieht und an den man sich jederzeit wenden kann. Gelegentlich kamen ihm die Worte von Babsi in den Sinn, dass er sich bei ihr melden solle und sie sich weiterhin sehen könnten. So schnell, wie dieser Gedanke kam, verdrängte er ihn aber und verschob ihn auf irgendwann später, wenn etwas Zeit vergangen wäre, wohl wissend, dass dieses „später“ wahrscheinlich niemals kommen würde. Wenn etwas aus war, war es aus. Er gehörte nicht zu denen, die eine Beziehung, die einmal gekocht hatte, auf kleiner Flamme weiterführen wollten.
Zu diesen etwas ernüchternden Erfahrungen in seiner privaten Situation gesellte sich die Tatsache, dass die Pläne, seinen Berufswechsel betreffend, längere Zeit keinerlei Fortschritte zu machen schienen. Zwischendurch rief er bei Dr. Schuster von D.C. an, erfuhr aber immer nur, dass noch kein Termin für die Schulung feststehe und wurde mit der Bemerkung vertröstet, man werde ihn unverzüglich verständigen, wenn es so weit sei.
Auch was seine Arbeit betraf, tat sich zunächst wenig. Lediglich der junge Kollege vom Controlling, Herr Mag. Hecht, kam zwischendurch zu ihm und fragte ihn immer wieder, wie einzelne Abläufe in der Kreditabteilung funktionierten. Philipp war zwar nicht offiziell bekannt, welcher Zweck hinter diesen Besuchen stand, es konnte aber nur um die zahlenmäßige Untermauerung des vom Management festgelegten Einsparungsvolumens gehen. Philipp erzählte ihm alles, was er wissen wollte, konnte sich dabei aber des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Gesprächspartner in erster Linie das hörte, was er hören wollte und was zu seinem Auftrag passte. An tiefer gehenden Informationen war der eingefleischte Controller zumeist gar nicht interessiert, was nach Philipps Meinung zwar nicht im Interesse der Sache sein konnte, andererseits aber die Arbeit für ihn sehr leicht machte.
Anfang Dezember war die erste Phase des so genannten Umstrukturierungsprojektes in der Bank aber abgeschlossen und Philipp wechselte von seinem Zimmer im dritten Stock in einen großen Raum vier Etagen höher, der sich in unmittelbarer Nähe der Generaldirektion und des Controllings befand. Mit ihm zusammen arbeiteten dort sieben Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeitsplatz ebenfalls wegrationalisiert worden war und für die dieses Büro eine Art Zwischenlager auf unbestimmte Zeit darstellte. Die in diesem Zimmer vereinigte, bunt zusammen gewürfelte Truppe wurde mit völlig unvorhersehbaren Aufträgen des Managements konfrontiert. So musste Philipp zwischendurch Berechnungen für die Kreditabteilung machen oder jüngere Kollegen in ausgesuchten Teilbereichen schulen. Oft bekam er auch von der Controlling-Abteilung Aufträge für Rentabilitätsberechnungen und sonstigen Analysen und dazwischen gab es immer wieder lange Phasen, in denen er überhaupt nichts zu tun hatte. Den anderen ging es ähnlich. Er fragte sich, ob die Firma irgendwann mit dem ominösen „Golden Handshake“ antanzen würde oder ob er selbst aktiv werden sollte. Nach einiger Überlegung beschloss er, zunächst zuzuwarten, wie sich das Ganze mit D.C. entwickeln würde. Erst wenn er eine eindeutige Zusage als Entwicklungshelfer hatte, ging er kein Risiko mehr ein, plötzlich in der Luft zu hängen. Das Gespräch mit Dr. Schuster war ihm da noch zu wenig. Durch die an mehreren Fronten ungeklärte Situation verschlechterte sich Philipps Stimmung in dieser Zeit zusehends, wobei der Adventrummel, der auf den Straßen voll eingesetzt hatte, nicht dazu angetan war, ihn aufzuheitern. Die von den großen Einkaufsketten verordnete Fröhlichkeit auf amerikanische Art, die ihm jedes Jahr noch eine Nummer aufdringlicher und übertriebener schien als das Jahr zuvor, stand in diametralem Gegensatz zu seiner Befindlichkeit, weshalb er nach der Arbeit mehr als einmal einen Umweg in Kauf nahm, um den Hauptstraßen mit ihrem Trubel zu entgehen.
Schließlich kam drei Tage vor Weihnachten der erlösende Anruf von Dr. Schuster, der ihm mitteilte, dass der Beginn der Ausbildung für Anfang Jänner festgesetzt worden war. Er musste also nur noch die Weihnachtsfeiertage hinter sich bringen.
Für den vierundzwanzigsten Dezember abends hatten ihn dieses Jahr Julia und Walter eingeladen, nachdem seiner Tochter zu Ohren gekommen war, dass er sich von Babsi getrennt hatte. Nun war es bei Philipp so, dass sich bei ihm besonders seit dem Ende seiner Ehe zu seiner Abneigung gegen den unentrinnbaren Adventtrubel auch eine ausgeprägte Geringschätzung des Weihnachtsfestes gesellt hatte. Dennoch hatte er nach einiger Überlegung Julia und Walter zugesagt, da ein Abend mit seiner Tochter und ihrem Freund noch erträglicher schien als die Alternative, die ihm offen stand, nämlich allein zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen. Wenigstens bestand bei den beiden nicht die Gefahr, Weihnachtslieder singen zu müssen.
Der Heilige Abend kam und von allem, was dieser Tag zu bieten hatte, genoss Philipp am meisten die Tatsache, dass er ungehindert ausschlafen konnte. Schließlich stand er am späten Vormittag auf und machte sich, wie jedes Jahr an diesem Tag, auf den Weg zu seiner Mutter.
Sie war seit dem Tod seines Vaters vor sechs Jahren in ein Pensionistenheim in Liesing, einem südlich gelegenen, von eher gut situiertem Volk bewohnten Stadtteil Wiens gezogen, wo sie sich von Anfang an sehr wohl gefühlt hatte. Es war ein neues Haus, das in kleine Apartments unterteilt war, die wiederum aus einem Wohnraum mit Kochnische und einem Schlafzimmer bestanden. Daneben gab es Gemeinschaftsräume und einen großen Speisesaal, in dem das Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie am Nachmittag eine Kaffeejause serviert wurden. Martha, so hieß seine Mutter, ging fast immer in den Speisesaal essen, nur manchmal, wenn ihr das Menü nicht zusagte, kochte sie sich selbst etwas im Apartment. Sie war zwar schon zweiundsiebzig, aber noch bei bester Gesundheit und nahm an fast allen Veranstaltungen, die im Heim angeboten wurden, teil. So hatte sie erst vor kurzer Zeit mit großer Begeisterung Bridge gelernt, da ein paar Kundige eine Bridge-Runde auf die Beine gestellt hatten, in der auch neue Gesichter gerne aufgenommen wurden. Mit ein paar anderen Heimbewohnern hatte sie sogar eine Reisegruppe ins Leben gerufen, die mit mehreren Reisebüros in Kontakt stand und, wenn sich Gelegenheiten boten, Besichtigungsfahrten zu erschwinglichen Preisen organisierte. Aus diesem Grund war sie auch mindestens zwei Mal im Jahr mehrere Tage unterwegs.
Als Philipp das Pensionistenheim betrat, war es elf Uhr. Aus dem Speisesaal hörte man bereits das Klappern