Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht

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Anele - Der Winter ist kalt in Afrika - Marian Liebknecht

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wir tagelang diskutieren können und ich hätte versucht, zu verstehen, warum du so handelst und wir hätten es vielleicht gemeinsam gelöst und wären zusammen geblieben. Aber was soll es jetzt bringen. Irgendwann habe ich einen Schlussstrich unter das Ganze gezogen und ehrlich gesagt bin ich froh, dass mir das überhaupt gelungen ist. Früher hätte ich gerne alles verstanden, jetzt will ich es nicht mehr. Wenn du willst, können wir uns über das Wetter, deine letzten Einkäufe oder sonstwas unterhalten, aber über die Vergangenheit kann und will ich nicht mehr reden.“

      Es war der Zorn, der aus Philipp sprach, nicht sein Herz. Und als er geendet hatte, fühlte er sich schlechter als vorher. Warum nur musste er ihr hier so unvorbereitet begegnen, warum mussten sie dieses Gespräch jetzt führen? Vielleicht wäre unter anderen Umständen manches anders gelaufen.

      „Ich verstehe!“ Sarah wirkte zum erstenmal seit Beginn des Gesprächs resigniert. „Was ich sagen will, hat für dich keine Bedeutung mehr. Vielleicht hast du recht, vielleicht ist es nur für mich wichtig, für dich aber belanglos oder sogar belastend. Wahrscheinlich habe ich auch gar nicht das Recht, Verständnis von dir zu verlangen.“

      Philipp wusste nicht, wie er darauf nun wieder reagieren sollte. Er kannte Sarah, wie sie bis vor neun Jahren gewesen war. Aber diese einsichtige, resignierende Sarah, die jetzt vor ihm saß, kam ihm seltsam fremd vor.

      Der Ober kam an den Tisch und entband Philipp dadurch von der Verpflichtung, auf Sarahs letzte Bemerkung etwas zu erwidern. Er bestellte einen Tee und sie einen Cappuccino. Danach vermied es Philipp, den Faden des Gesprächs wieder aufzunehmen und begann, von seiner Arbeit zu sprechen und den Rationalisierungen, die gerade bei ihm in der Bank wüteten, ohne allerdings seine konkreten Pläne zu erwähnen. Sarah erzählte, dass sie längere Zeit bei einem praktischen Arzt als Sekretärin gearbeitet hatte, aber in den letzten paar Jahren habe sie sich auf ihre Füße gestellt und eine Schwesternausbildung gemacht. Seit etwa einem Jahr arbeitete sie in einem Krankenhaus, aber sie fühlte sich dort nicht so wohl, wie sie gehofft hatte.

      Als der Ober die Bestellung brachte, bezahlte Philipp gleich und verabschiedete sich von Sarah zehn Minuten später wegen eines Termins, was nicht gelogen war, da ihm bis zum Treffen mit Babsi wirklich nicht mehr allzu viel Zeit blieb.

      Als er ging, wandte sich Sarah noch einmal an ihn.

      „Können wir uns wieder einmal sehen?“

      Die Frage überraschte ihn.

      „Ja, sicher, wenn du willst“, antwortete er etwas zögernd.

      „Hier, ich schreibe dir meine Handynummer auf, vielleicht kannst du mir ja deine geben.“ Blitzschnell hielt sie ihm einen Zettel hin, auf den sie etwas gekritzelt hatte und reichte ihm einen zweiten, damit er es ihr gleichtun konnte.

      Philipp eilte raschen Schrittes durch die mittlerweile dunklen Gassen Richtung Stephansplatz. Ganz im Gegensatz zur nachmittäglichen sonnigen Wärme war es jetzt empfindlich kalt geworden, was – neben der knappen Zeit – seine Beine zusätzlich antrieb. Obwohl noch mitten im Herbst, sandte der Winter bereits eisige Grüße und vermittelte das Gefühl, der Geruch von Schnee läge bereits in der Luft. Während er ging, war er in Gedanken noch immer beim Gespräch mit Sarah, das er nur schwer einordnen konnte. Er schwankte zwischen Zorn und Reue. Zorn darüber, dass sie jetzt tat, als ob nichts gewesen wäre, wieder Kontakt suchte, wie es Freunde tun, die sich eine Zeit lang aus den Augen verloren haben. Reue empfand er, weil er gespürt hatte, dass sie das alles nicht aus eigennützigen Motiven tat, was er nicht zuletzt daran erkannt hatte, dass es ihr selbst nicht leicht gefallen war, so auf ihn zuzugehen. Sie wollte damit offensichtlich etwas gutmachen. Diese Möglichkeit hatte er ihr aber genommen, indem er sie nicht einmal anhören wollte.

      Tief in Gedanken war er mittlerweile beim Haas-Haus angekommen. Trotz der Kälte herrschte hier auf dem Stephansplatz reger Betrieb. Jede Menge Spaziergänger, in der Mehrzahl Touristen, waren rund um den Dom und am Graben unterwegs. Auch in den Cafés und Restaurants drängten sich die Massen und mitten am Platz boten mehrere Stände, vor allem Kunsthandwerk, ihre Waren feil und machten offensichtlich gute Geschäfte. Links des Eingangs vom Dom standen, wie immer, eine Hand voll Fiaker, die traditionellen Wiener Kutschen, und warteten auf Kunden. Die Kälte ließ die Pferde aus ihren Nüstern dampfen und verlieh ihnen ein geheimnisvolles Aussehen.

      Philipp blickte die gotische Fassade des Doms hinauf. Von außen war er für ihn ein Anachronismus, der gehegt und gepflegt werden musste, damit er seine Anziehungskraft für Touristen aus aller Welt behielt. Das änderte sich aber stets, wenn er das Innere betrat. In der mystischen Feierlichkeit, die der Innenraum heute noch genauso wie im Mittelalter verbreitete, verloren sich derart profane Gedanken wie ein Schluck Wasser im Ozean der Ewigkeit.

      Philipp überlegte einen Moment, ob sich ein kurzer Abstecher in die Kirche noch ausging, aber da es schon sechs Uhr vorbei war, wartete er lieber auf Babsi.

      Zwei Minuten später stöckelte sie den Graben herauf und er winkte ihr zu, während er ihr entgegen ging. Als sie sich trafen, küssten sie sich flüchtig. Sie beschlossen, gleich in eines der Cafés hier am Platz zu gehen und hatten Glück, ohne allzu langes Warten einen Tisch zu bekommen. Philipp merkte, dass Babsi abgespannt wirkte, nicht so entschlossen und dominant wie sonst.

      „Und, wie geht’s dir mit deiner Arbeit?“, fragte sie beiläufig.

      „Danke, es hat sich nichts Neues ergeben, der Stand ist noch so wie gehabt“, antwortete Philipp.

      „Philipp, ich möchte mit dir reden.“ Bei Babsis Worten fiel ihm wieder ein, dass er heute dasselbe geplant hatte. Aber seit der Unterhaltung mit Sarah hatte er daran überhaupt nicht mehr gedacht, obwohl er genau deswegen ins Kaffeehaus gegangen war, nämlich um sich auf die Begegnung mit Babsi vorzubereiten.

      „Ja, klar, reden wir, willst du anfangen oder soll ich?“, sagte er schließlich.

      „Verarsch‘ mich bitte nicht!“ Durch die Begegnung mit Sarah fiel ihm auf, wie sehr sich Babsi von ihr unterschied. Ihre unverblümte Ausdrucksweise verunsicherte ihn heute fast. Aber war nicht gerade diese direkte und manchmal beinahe rücksichtslose Offenheit gerade das gewesen, was ihm an ihr besonders imponiert hatte?

      „Wieso glaubst du das?“, fragte er.

      „Und hör‘ auf mit solchen dämlichen Fragen, du weißt genau, was ich meine, und du weißt auch, worüber ich heute mit dir reden will. Philipp, ich glaube nicht, dass wir zusammen bleiben sollten. Wir passen nicht zusammen, das Gespräch vor einer Woche hat mir das gezeigt. Du bist wirklich ein netter Kerl, Philipp, aber deine Einstellung zum Leben, zur Arbeit, wie naiv du dich in den wichtigsten Dingen anstellst, das ist nicht wirklich das, was ich mir von einem Mann erwarte.“

      Seltsamerweise war Philipp vom Inhalt der Worte weniger überrascht als von der Art, wie sie gesagt wurden. ‚Wie vorsichtig sie sich ausdrücken kann, wenn sie sich anstrengt‘, dachte er und sagte: „Ich habe gar nicht gewusst, dass du so genaue Vorstellungen hast, was du dir von einem Mann erwartest.“

      „Mir ist klar, dass das, was ich dir sage, nicht leicht einzusehen ist, und ich will auch, dass du weißt, wie sehr ich dich mag, aber zu einer Beziehung gehört meiner Ansicht nach mehr als das. Man muss zumindest in wesentlichen Dingen übereinstimmen. Wenn ein solcher Grundkonsens nicht vorhanden ist, kann eine Gemeinschaft nicht funktionieren“, sagte Babsi, ohne auf seine Bemerkung einzugehen.

      Durch die Behutsamkeit, die Babsi an den Tag legte, als sie ihm das aus ihrer Sicht Notwendige mitteilte, fürchtete Philipp, zu wenig Betroffenheit zu zeigen und strengte sich, so gut es ging, an, ein trauriges Gesicht zu machen. Er begriff, der einzige Grund, der für ihn diese Unterredung mit beklemmenden Gefühlen besetzt hatte,

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