Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht

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übte ihre Teilzeitarbeit weiter aus, während sie im Studium gute Fortschritte machte. Die ganze Situation war aber gespannter als vorher, da sie die dreifache Belastung durch die Betreuung von Julia, ihre Arbeit und das Studium immer stärker spürte. Es ergab sich immer öfter, dass sie am Abend noch weg war, um mit ihren Kommilitonen zu lernen oder eine Arbeit zu schreiben, was dazu führte, dass Philipp die Aufgabe erbte, Julia zu betreuen und zu Bett zu bringen. Die Ablenkung Sarahs von ihren häuslichen Pflichten führte in regelmäßigen Abständen zu abendlichen Streitgesprächen, bei denen sie immer weniger Verständnis dafür aufbrachte, vor allem auf ihre Mutterrolle fixiert zu werden, was Philipp nicht akzeptieren konnte, da er sich zwar seinerseits sehr um Julia kümmerte, dies aber auch von seiner Frau erwartete.

      Dann passierte es, dass Sarah wieder schwanger wurde. Philipp freute sich anfangs darüber, merkte jedoch bald, dass Sarah seltsamer Weise dieses zweite Kind von Anfang an als großen Unglücksfall betrachtete. Ihm wurde klar, dass sie dieses Kind nicht haben wollte und er warf ihr Egoismus vor, erreichte damit aber nur, dass sich das Verhältnis zwischen ihm und seiner Frau zusehends verschlechterte. Damals hatte er das Gefühl kennengelernt, wie es war, wenn sein Glück ihm zwischen den Fingern zerrann und es nichts gab, was er dagegen tun konnte.

      Schließlich kam Sarah eines Abends nach Hause und war so müde und zerstört, dass sie kaum ansprechbar war. Von Philipp nach dem Grund gefragt, eröffnete sie ihm, dass sie ihr Baby abgetrieben hatte. Für Philipp brach damals eine Welt zusammen. Er konnte seine Frau und ihre Handlungen, die nur darauf ausgerichtet waren, ihre Ehe zu zerstören, nicht mehr verstehen. So oft er auch mit Sarah sprach, er erfuhr nichts darüber, warum sie so gehandelt hatte. Als sie schließlich die Scheidung verlangte, war dies für ihn der letzte, schwerste einer Reihe von Schlägen, die langsam, aber sicher sein Leben zerstört hatten. Das Seltsame daran war, dass er bis zum Schluss bei Sarah das unbestimmte Gefühl hatte, ihre Liebe wäre immer noch da. Um so unverständlicher erschien ihm deshalb auch ihr Handeln.

      Nach der Scheidung begann für Philipp eine sehr schwere Zeit. Im beiderseitigen Einvernehmen war festgelegt worden, dass Julia bei ihm bleiben sollte. Aber nicht die Verantwortung für die Erziehung seiner Tochter war die größte Schwierigkeit für ihn, sondern seine unverminderten Gefühle für Sarah. Sie verhinderten lange, dass er wieder zu sich finden und Freude empfinden konnte. Erst langsam, nachdem er erkannt hatte, dass er nicht aufhören würde sie zu lieben, begann er zu lernen, diesen Teil seines Wesens auf die Seite zu stellen, anderes wichtiger werden zu lassen, einfach weil er anders nicht mehr weiter machen konnte. Nur auf diese Art war es ihm auch gelungen, eine neue Beziehung aufzubauen, ohne dass seine Gefühle für Sarah ihm bei jedem Schritt im Weg waren. Aber wenngleich er das alles geschafft hatte, wusste er dennoch, dass dieser Schmerz jederzeit wieder aufbrechen konnte, und genau das war geschehen, als ihm Julia heute über ihr Treffen mit Sarah erzählt hatte und über deren Wunsch, ihn zu sehen. Er fürchtete ein Zusammentreffen mit ihr, doch auf gewisse Weise sehnte er sich danach.

      Das Klingeln des Telefons holte Philipp aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Er nahm den Hörer ab und Babsis Stimme drang ihm entgegen. Im ersten Moment fühlte er ein schlechtes Gewissen, da doch er sie hatte anrufen wollen. Seine Worte kamen deshalb etwas stockend, als ob er etwas zu verbergen hätte. „Hallo, Babsi, wie geht’s? Schön, dass du dich einmal meldest!“

      „Wenn ich darauf warten würde, dass du es tust, würd’ ich wahrscheinlich schwarz werden. Mir geht’s ganz gut, Danke! Und wie geht’s dir?“ sagte Babsi.

      „Danke, geht so. Ich hab‘ in letzter Zeit leider sehr viel zu tun gehabt, deshalb bin ich gar nicht dazu gekommen, mich bei dir zu melden. Wann sehen wir uns einmal?“ Als er sprach, hatte Philipp das Gefühl, dass er log, obwohl es, allgemein betrachtet, gar nicht so falsch war, was er sagte.

      „Wenn du willst, können wir uns morgen Abend sehen. Ich habe das Gefühl, wir sollten reden!“ Diese Aussage von Babsi verwirrte Philipp. War meinte sie mit diesem eigenartigen ,Wir sollten reden’? Er war es doch, der die Beziehung in Frage stellte und sich deshalb mit ihr aussprechen wollte. Aber war es im Grunde nicht besser, wenn das Gespräch von beiden Seiten aus demselben Blickwinkel geführt wurde?

      „Wenn du willst, können wir uns um sechs am Stephansplatz vor dem Haas-Haus treffen. Dann können wir noch immer entscheiden, wohin wir gehen“, sagte er nur.

      „Gut, treffen wir uns um sechs. Also dann, bis morgen, tschüss.“

      „Bis morgen dann, Wiedersehen, Babsi.“

      Als er aufgelegt hatte, bekam Philipp Angst vor seiner eigenen Courage. Bei wichtigen Entscheidungen in seinem Leben zog er gerne den Schwanz ein, besonders dann, wenn zu erwarten war, dass dadurch die Gefühle anderer verletzt werden konnten. Es war so eine Art „Stillhalteparole“, nicht bewegen, es wird schon irgendwie vorbeigehen. Seit seiner Scheidung war es besonders schlimm geworden, damals hatte er gekämpft, ohne den Strom der Ereignisse auch nur einen Millimeter von seinem Weg abzubringen. Doch jetzt sollte es anders sein. Er schwor sich, dieses Mal der Entscheidung nicht aus dem Weg zu gehen, auch wenn es weh tat.

      5.

      Am nächsten Tag rief Philipp vom Büro aus gleich um halb neun morgens bei D.C., der Organisation, die er Samstag Abend beim Treffen mit Bernhard kennen gelernt hatte, an. Eine Frauenstimme meldete sich, worauf er von der Veranstaltung erzählte und angab, sich für eine Tätigkeit als Projektmitarbeiter in Afrika zu interessieren, weshalb er sich so ausführlich wie möglich über diese Arbeit und alles, was damit zu tun hatte, informieren wolle. Die Dame am anderen Ende der Leitung erklärte ihm, dafür sei Herr Dr. Schuster zuständig, der aber momentan einen Termin außer Haus habe und erst gegen Mittag komme. Da es wohl am besten sei, gleich einen Termin mit ihm zu vereinbaren, schlug sie heute 15 Uhr vor, was Philipp nach einem Blick auf seinen Terminkalender bejahte. Mit Babsi hatte er sich erst um sechs Uhr abends verabredet und es schien ihm nur von Vorteil zu sein, wenn er dann schon abschätzen konnte, ob seine Idee mit der Arbeit im Projekt überhaupt Aussicht auf Verwirklichung hatte.

      Philipp hatte seinem Zimmerkollegen Thomas angekündigt, heute früher zu gehen und winkte ihm deshalb nur kurz zu, als er etwa um zwei aufstand, seinen Mantel überwarf und die Bank verließ. Beim ersten Schritt ins Freie musste er kurz blinzeln, denn nach einer Durststrecke von einigen Nebeltagen schien erstmals wieder die Sonne. Er war recht früh weggegangen, so dass ihm noch etwas Zeit für einen kleinen Umweg blieb. Deshalb beschloss er, einen Spaziergang über den Naschmarkt mit seinen vielen exotischen Ständen und Imbissbuden zu machen. In der Bank hatte er heute nichts gegessen und da sein Magen schon seit Mittag knurrte, bestellte er sich bei einer der Buden einen Salat mit Schafskäse, Weißbrot und Oliven und genoss das Ganze an einem der Tische im Stehen. Es war heute nicht so kalt wie an den letzten Tagen und er fühlte behaglich die wärmenden Sonnenstrahlen, die ihm das Gesicht vergoldeten und deren wohltuende Wirkung nicht nur seinen Körper, sondern auch sein Gemüt durchdrang. Dabei übersah er fast die Zeit. Am Ende musste er die letzten Bissen hastig hinunter schlingen und sich beeilen, zum Büro von D.C. zu kommen, das noch etwa zehn Minuten entfernt war.

      Zwei Minuten nach drei Uhr kam Philipp bei D.C. an. Das Büro war in einem Altbau untergebracht, einem jener Jugendstilhäuser mit ihren verspielten Ornamenten, auf die man in den inneren Bezirken Wiens fast in jeder Straße stößt. Als Philipp im fünften Stock aus dem Lift stieg, trat er in ein auffallend ungepflegtes Stiegenhaus, das einen neuen Anstrich schon vor ein paar Jahren nötig gehabt hätte. Um so überraschter war er, als am Ende eines längeren Ganges auf sein Klingeln die Tür geöffnet wurde und sich vor ihm ein sehr modernes Büro ausbreitete. Er wurde im Vorraum von einer jungen Dame empfangen.

      „Guten Tag, Sie müssen Herr Engelbrecht sein, mein Name ist Artner. Wenn Sie bitte einen Moment Platz nehmen. Ich werde Herrn Dr. Schuster sagen, dass Sie da sind. Ihren Mantel können

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