Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Anele - Der Winter ist kalt in Afrika - Marian Liebknecht страница 8
Bernhard und Philipp gingen nach der Veranstaltung noch ein Bier trinken. Es war zwar erst halb sieben, aber die Dämmerung war schon hereingebrochen und auf dem Weg in die Stadt war es dem entsprechend kalt. Der Übergangsmantel, den Philipp trug, war zu dünn, um ihn ausreichend zu wärmen und er zog ihn deshalb so fest zusammen, dass ihm fast die Luft wegblieb. Bernhard wollte unbedingt in ein ganz bestimmtes kleines Bierlokal in der Innenstadt, das ihm offenbar ein Bekannter wärmstens empfohlen hatte, es sollte so eine Art Geheimtipp sein. Als sie eintraten, war es – wohl wegen der frühen Stunde – noch so leer, dass man sich unwillkürlich fragte, warum die nicht eine Stunde später aufsperren. Es war eine Art Kellerlokal, eher karg mit alten Holztischen und –stühlen ausgestattet. An den Wänden hingen Poster mit alter Bierwerbung und darüber verlief ein durchgehendes Regal, auf dem alle Arten von Bierflaschen verschiedenster Länder standen, die sich samt und sonders in der Karte wiederfanden. Dem Angebot der Lokalität entsprechend roch es nach abgestandenem Bier und zusätzlich nach Frittierfett, ein Dampf, der auch durch noch so gründliches Lüften wohl nicht hinauszubekommen war.
Philipp war bei der Kälte zwar eher auf einen Tee eingestellt gewesen, ließ sich dann aber vom Ambiente anregen und entschied sich für ein irisches Kilkenny.
Es entspann sich das gleiche Gesprächsthema, wie schon auf dem Weg hierher.
„Der Afrikaner vom Projekt in Swasiland war wirklich charismatisch“, sagte Bernhard, “das ist mir schon am Anfang aufgefallen, als er mit uns gesprochen hat. Na, wirst du jetzt auch eine Patenschaft übernehmen oder willst du vielleicht gleich nach Afrika gehen? Wenn ich denke, was du alles gefragt hast, scheint das ja gar nicht so unmöglich.“
„Ehrlich gesagt, sind in letzter Zeit einige Dinge passiert, die mich ernsthaft darüber nachdenken lassen, ob ich nicht eine vollkommen neue Richtung einschlagen sollte. Ich hab? dir ja schon erzählt, dass bei uns in der Bank derzeit alles auf den Kopf gestellt wird. Seit zwei Wochen ist unsere Abteilung dran.“ Philipp berichtete Bernhard von seinem Gespräch mit Erich, seinem Chef und die Zukunft, die ihn in der Bank erwartete.
„Ich habe gehört, Kollegen aus anderen Abteilungen wurden bei einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses das doppelte der gesetzlichen Abfertigung angeboten. Das wären bei mir eineinhalb Jahresgehälter. Kündigen können sie uns ja Gott sei Dank nicht so ohne Weiteres. Falls sie mir so ein Angebot machen, würde ich wahrscheinlich nicht lange nachdenken. Nach der Veranstaltung heute frage ich mich wirklich, ob ich nicht die Chance ergreifen sollte, einmal etwas ganz anderes zu machen. Vielleicht war das heute ein Fingerzeig.“ Philipp machte eine Pause, als müsste er über das nachdenken, was er gerade gesagt hatte.
„Und, glaubst du, Babsi würde dabei mitmachen?“, fragte Bernhard.
„Ist das dein Ernst? Ich bin mir hundertprozentig sicher, Babsi würde nicht mitmachen. Um Babsi dazu zu kriegen, bei etwas mitzumachen, muss dabei was rausspringen. Ob das, was du tust, Sinn macht, oder nicht, ist vollkommen egal, und wenn sie die Wahl hätte zwischen einem Job als hauptberuflich beschäftigte Arschwischerin und einem, bei dem sie Kinder vor dem Hungertod rettet, würde sie garantiert den ersten nehmen, wenn dabei auch nur ein Cent mehr rausschaut.“
Philipp war überrascht, dass er beim Namen Babsi so heftig reagierte.
„Ich brauch? wohl nicht zu fragen, ob ihr euch gestritten habt“, bemerkte Bernhard vorsichtig.
Philipp erzählte ihm über sein Gespräch mit Babsi im italienischen Restaurant und dass sie seitdem keinen Kontakt mehr gehabt hatten.
„Es ist komisch, aber manchmal gehen die beruflichen und die privaten Krisen Hand in Hand und du bist gezwungen, dein Leben auf völlig neue Beine zu stellen. Ich habe das Gefühl, ich bin da jetzt genau mittendrin“, sagte Philipp.
„Aber Ihr seid doch immerhin schon fast zwei Jahre zusammen. So etwas wirft man doch nicht einfach weg“, erwiderte Bernhard.
„Was heißt wegwerfen? Seit der Pizzeria weiß ich, dass sie bei der Sache in der Bank nicht zu mir hält, und wenn ich mit so etwas wie heute käme, also als Entwicklungshelfer nach Afrika oder so, dann würde sie mich entweder auslachen oder als verrückten Idioten bezeichnen, der nicht kapieren will, wie die Welt läuft. Wenn ich darüber nachdenke, was uns beide eigentlich verbindet, fällt mir überhaupt nichts mehr ein“, antwortete Philipp mit einem etwas verzweifelten Gesichtsausdruck.
„Also, wenn ich dir einen Rat geben darf, Philipp, ich meine, ich bin nicht in deiner Situation, aber, überstürzen würde ich nichts. Du bist nicht mehr fünfundzwanzig. Und in irgend einem fremden Land, in dem du keine Freunde hast und niemanden kennst, völlig neu anzufangen, das ist nicht so einfach, wie du dir das vielleicht vorstellst. Du musst natürlich selbst wissen, was du willst, aber denk genau darüber nach. Bevor du nicht ganz sicher bist, was dir wichtig ist und worauf es dir ankommt, triff keine Entscheidungen, die du nicht rückgängig machen kannst“, sagte Bernhard eindringlich.
„Keine Angst, bevor ich nicht ganz sicher bin, werde ich nichts entscheiden“, versprach Philipp, aber in seinem Inneren war die Entscheidung schon viel weiter herangereift, als er es selbst wusste.
4.
Für Sonntag hatte Philipp sich vorgenommen, einmal auszuschlafen und anschließend Babsi anzurufen. Er wollte mit ihr über ihre Differenzen beim letzten Zusammentreffen reden und auch über seine Absicht, in seinem Leben einiges zu ändern. Was dabei herauskommen würde, wusste er nicht, aber er wollte unbedingt eine Klärung. Die Tatsache, dass Babsi sich nicht mehr gemeldet hatte, zeigte ihm, dass auch für sie das Gespräch beim Italiener etwas in ihrer Beziehung verändert hatte.
Am Vormittag kam ihm allerdings etwas dazwischen. Um halb zehn läutete es an der Tür und Philipp, gerade aufgestanden, ging noch halb benommen zur Sprechanlage.
„Ja, bitte. Wer ist da?“ fragte er.
„Papa, mach auf, ich bin‘s, Julia. Du klingst ja, als ob du noch geschlafen hast. Na, hätt’ ich mir ja denken können“, kam es zurück.
Es war seine Tochter, die immer dann hereinschneite, wenn er am wenigsten damit rechnete.
Nach der Scheidung seiner Ehe vor neun Jahren war die gemeinsame Tochter Julia ihm zugesprochen worden und er hatte sie auch allein erzogen, was nicht immer leicht gewesen war. Vor einem Jahr war sie volljährig geworden. Etwa sei damals lebte sie zusammen mit ihrem Freund – er hieß Walter – in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Wien. Julia studierte Germanistik an der Uni, ein Fach, das mit dem Lehramt abschloss. Sie war sich selbst aber noch nicht darüber klar geworden, welches Ziel sie mit dem Studium verfolgte. Lehrerin zu werden, konnte sich eigentlich gar nicht vorstellen. Sicher wusste sie nur, dass sie Bücher über alles liebte und immer wieder auch Geschichten verfasste, weshalb sie sich zu diesem Studium hingezogen gefühlt hatte. Im Moment überlegte sie gerade, ihren Schwerpunkt mehr Richtung Journalismus zu verlagern.
Philipp und Julia hatten immer schon ein ganz besonderes Verhältnis zueinander gehabt. Es war seit der Zeit nach der Scheidung nie eine echte Vater-Tochter-Beziehung gewesen, sondern eher ein freundschaftliches Verhältnis, verbunden mit einer Art blindem Verständnis, das durch die Jahre, in denen sie zu zweit gelebt hatten, gewachsen war. Philipp fragte deshalb bei wichtigen Entscheidungen oft auch Julia nach ihrer