Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht

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und wenn, dann gehöre ich eben dazu. Meine Arbeit bedeutet mir was, ja, ich gebe es zu. Für dich ist alles nur ein Machtspiel, bei dem die gewinnen, die am Wenigsten durch so unnötige Skrupel wie Moral oder Gewissen behindert sind. Wenn es das ist, was du anstrebst, dann viel Erfolg! Dann bist du eine von denen, die den Hals nie vollkriegen, um sich mit fünfzig zu fragen, wofür sie eigentlich gelebt haben.“ Philipp entwickelte bei dieser Diskussion einen Enthusiasmus, der sogar Babsi überraschte.

      „Kannst du mir sagen, was du heute hast, kannst du plötzlich keine Kritik mehr vertragen? Wenn du die Wahrheit nicht erträgst, dann frag mich nicht, wie ich über etwas denke. Mir scheint, du möchtest deine Aggressionen gegen die Firma jetzt an mir auslassen. Aber da täuschst du dich. Ich bin sicher nicht dein Mülleimer“, entgegnete Babsi.

      Philipp hätte nicht gedacht, Babsi einmal gekränkt zu sehen, aber heute hatte er es tatsächlich geschafft. Obwohl er sich vollständig im Recht fühlte, wollte er doch keinen offenen Streit mit ihr.

      „Jetzt sei doch nicht gleich beleidigt, man wird doch wohl noch diskutieren dürfen“, sagte er, um die Situation zu entschärfen, „so kenne ich dich gar nicht.“

      „Ich kenne dich auch nicht so, wie du dich heute gegeben hast. Du wolltest meine Meinung, und die hast du bekommen. Du weißt, dass ich dir immer offen die Wahrheit sage. Wenn du das nicht ertragen kannst, darfst du mich eben nicht fragen.“ erwiderte Babsi.

      Noch immer sprach aus jedem Wort und auch aus Babsis Miene deutlich, dass sie sich verletzt fühlte. Sie war es bei Philipp nicht gewöhnt, einzustecken und merkte deshalb gar nicht mehr, wie viel sie austeilte. Er ging auf die letzte Bemerkung nicht mehr ein. Die Pizza kam und machte dem Dialog ein Ende. Philipp bestellte bei dieser Gelegenheit ein Glas Chianti. Nach der erzwungenen Unterbrechung hatte keiner von beiden Lust, das Gesprächsthema von vorher wieder aufzunehmen. Nach dem Essen blieben sie noch eine Weile sitzen, zahlten schließlich und gingen dann wieder die Kärntner Straße hinunter. Meistens kam Babsi nach solchen Abenden noch mit zu Philipp, aber heute hatten beide keine Lust dazu. Philipp begleitete sie noch zu ihrer Wohnung, was für ihn einen Umweg von ungefähr fünfundzwanzig Minuten bedeutete, aber er war froh, noch ein Stück allein in der kalten klaren Luft gehen zu können. Dabei konnte er über alles noch einmal nachdenken. Bei der Oper stieg er in die Straßenbahn, die ihn zurück in seine Straße brachte. Als er sich an diesem Abend ins Bett legte, fühlte er sich so allein wie schon lange nicht mehr.

      3.

      Am Samstag traf Philipp sich mit seinem Freund Bernhard, mit dem er schon zusammen das Gymnasium besucht hatte. Er war der Einzige von damals, mit dem er noch regelmäßigen Kontakt pflegte. Der aktive Teil von beiden war meist Bernhard. Üblicherweise meldete er sich, worauf eine Zeit lang über alte Zeiten geredet und schließlich ein Treffen vereinbart wurde, bei dem es einmal ins Kino, dann wieder ins Kaffeehaus, oft auch ins Theater oder eben sonst wohin ging, wo gerade etwas Interessantes los war.

      Diesmal hatte Bernhard sich etwas Besonderes ausgedacht. Er hatte seit Kurzem ein Kind in Afrika. Nicht sein eigenes, sondern eine dieser Patenschaften, bei denen man regelmäßig einen bestimmten Betrag - im Grunde lächerlich wenig - einzahlt. Sozusagen als Gegenleistung nimmt man Anteil an der Entwicklung des Kindes, bekommt Briefe, zunächst von einem Projektarbeiter und später vom Kind selbst. Wenn man will, kann man seinem Schützling irgendwann auch einen Besuch abstatten, allerdings nur einmal – es soll keine persönliche Bindung entstehen, das ist nicht Sinn der Sache.

      Insgesamt gesehen erfüllten diese Patenschaften ihren Zweck recht gut. Sie brachten regelmäßiges Geld für jene, die es dringend benötigten, und der Pate hatte ein Gesicht, dem er seine Spenden zuordnen konnte. Das Geld verlor sich nicht in einem anonymen Topf, der einem das Gefühl gab, das meiste versickere irgendwo in der Verwaltung. Wer möchte schon die Beschaffung von Klopapier für die Büros irgend einer riesigen Organisation finanzieren. Nein, jeder möchte sehen, wie aus dem Geld, das er sich Monat für Monat abspart und überweist, das Pflänzchen eines kleinen, aber beständigen Glücks heranwächst, für das man sich zumindest mitverantwortlich fühlen kann. Diese Sehnsucht ist es, die mit einer solchen Patenschaft gestillt wird.

      Heute fand eine Veranstaltung jener Organisation statt, über die Bernhard zu seiner Patenschaft gekommen war. Sie hieß „D.C.“. Es sollte über die Verwendung der Spendengelder berichtet werden. Daneben gehörte es immer auch zum Zweck dieser Veranstaltungen, neue Paten für Kinder zu werben. Das vor allem war auch das Ziel, das Bernhard mit dem Vorschlag, dorthin zu gehen, verfolgte. Er wollte Philipp ebenfalls als Paten für D.C. gewinnen, da er von der Idee, die den Patenschaften zu Grunde lag, begeistert war. Philipp hatte sich zunächst nicht besonders angetan gezeigt, willigte dann aber ein, mitzugehen, da er ein gewisses Interesse an diesen Dingen nicht ganz verleugnen konnte. Von Babsi hatte er seit dem Treffen in der Pizzeria nichts mehr gehört und auch er selbst hatte kein Bedürfnis gespürt, sie anzurufen. Solche Phasen einer ungeklärten kurzzeitigen Entzweiung hatte er mit ihr schon zwei- oder dreimal mitgemacht. Die letzten paar Male hatte es sich dann immer wieder dadurch eingerenkt, dass Babsi wegen irgend etwas Nebensächlichem angerufen hatte, mit dem unvermeidlichen Ergebnis einer bald darauf folgenden Verabredung. Diesmal dauerte diese Situation allerdings schon recht lange. Was Philipp dabei am meisten zu denken gab, war, dass ihm das Ganze vollkommen gleichgültig war. Erst vor Kurzem war ihm zu Bewusstsein gekommen, dass er volle zwei Tage so gut wie gar nicht an Babsi gedacht hatte. Sonst hatte er sich während solcher Phasen der Trennung immer irgendwie schuldig gefühlt und hin- und herüberlegt, ob er nicht etwas Falsches gesagt oder getan hatte. Diesmal fehlten solche Selbstzweifel gänzlich.

      Sie waren inzwischen am Schottentor angekommen und gingen noch ein paar hundert Meter bis zur Universität, wo das Treffen stattfinden sollte. Am Haupteingang leuchtete ihnen ein Schild entgegen, das den Weg zum Veranstaltungssaal wies. Beim Betreten des Gebäudes aus dem späten neunzehnten Jahrhundert trat Philipp ein Geruch nach Holztüren und alten Büchern in die Nase. Er fühlte sich unwillkürlich in seine Schulzeit zurückversetzt und dachte an Hefte, frisch gespitzte Bleistifte und seine Lehrer von damals, die ihm das Leben schwer gemacht hatten.

      Nach ein paar weiteren Hinweisen erreichten sie schließlich den Saal. Obwohl sie eine Viertelstunde zu früh eingetroffen waren, war schon alles vorbereitet. An der hinteren Wand hingen mehrere Bilder, die das Leben in einem afrikanischen Land zeigten, Menschen bei der Arbeit, Schulkinder, Vieh, Getreidefelder und weitere sehr beredte Motive. Ebenfalls an der Wand, gleich neben dem Eingang, stand ein Tischchen mit Salzgebäck, einem Krug Wasser und irgendwelchen ziemlich exotisch aussehenden Süßspeisen.

      Sie brauchten nicht lange zu warten und ein freundlich lächelnder Schwarzafrikaner kam federnden Schrittes auf sie zu. Er mochte ungefähr 45 Jahre alt sein, hatte ausgesprochen ebenmäßig geschnittene Gesichtszüge und einen gepflegten Bart. Er erinnerte Philipp an den ehemaligen UNO-Generalsekretär. Der Afrikaner begrüßte die beiden sehr freundlich in stark akzentbehaftetem, aber sonst einwandfreiem Englisch und stellte sich ausführlich vor. Er hieß Moses und kam aus Swasiland. Ungefragt begann er zu erzählen, dass er dort zehn Jahre als Lehrer gearbeitet hatte. Als ein groß angelegtes Projekt der Organisation in Swasiland gestartet wurde, hatte er den Lehrerberuf aufgegeben und begonnen, in diesem Projekt mitzuarbeiten. Jetzt stellte er sozusagen den Kontaktmann von D.C. in Swasiland dar, der die Projekte auch mit der Regierung abzustimmen hatte, was, wie er sagte, nicht immer leicht war.

      Danach wandte er sich direkt an Philipp, fragte, woher er komme und aus welchen Beweggründen er hier sei. Philipp, dadurch etwas überrumpelt, wusste im ersten Moment nicht, was er sagen sollte, da er im Grunde ja nur als Begleiter von Bernhard da war. Aber er musste schließlich antworten.

      „I am from Vienna and I am very interested about your project.“

      Noch während er sprach, kam ihm sein Englisch wesentlich schlechter als jenes

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