Die Regeln der Gewalt. Peter Schmidt

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Die Regeln der Gewalt - Peter Schmidt

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am Kragen gegen die Lehne zurück.

      Er betrachtete das Einschussloch neben seinem Ohr, eine saubere Wunde. Die umgebende Haut war bläulich aufgestülpt wie der Wulst einer hervortretenden Ader.

      Der kleine Mann hielt seine linke Hand in der Tasche des grauen Kittels, als suche er dort nach irgendetwas. Nicht einmal die Andeutung einer Blutspur war an seinem Kragen zu sehen.

      Nur sein Mund sah etwas entstellt aus – wie der einer Ratte, die der Schlagbügel der Falle getroffen hatte. Und in seinem hochgezogenen Mundwinkel schimmerte ein Goldzahn.

      Danach ging er zur Tür, öffnete sie einen Spalt weit und horchte in den Gang hinaus.

      Alles ruhig …

      Nicht ungewöhnlich, wenn sich keiner um den anderen kümmerte. Die Leute in diesen Wohnsilos hörten nur noch ihre eigenen Stimmen. Es war die Unmenschlichkeit des Systems, die sie so weit gebracht hatte.

      3

      Sie fuhren langsam die Straße entlang, und als Richard vor der roten Ampel hielt, sah sie zum Fenster neben dem Balkon hinauf. Der Blumenkorb – das vereinbarte Zeichen – hing links am Rahmen.

      «Okay», sagte sie. Ihre Stimme klang hart und trocken, wie immer, wenn sie nervös war. Es gab diese Augenblicke, die erfahrungsgemäß kritisch waren: zum Beispiel Einfahrten in Tiefgaragen. Oder Treppen zu U-Bahn-Schächten. Sommer war in der Stadt, das wusste sie. Sie mussten auf eine Spur gestoßen sein.

      Arm arbeitete auf Hochtouren, um sie zu erledigen …

      Diese Burschen machten sich geradezu einen Sport daraus. Es hieß, dass sie freiwillig auf die Bezahlung von Überstunden verzichteten. Und sie gingen an jedes beliebige Telefon, tippten ihren Code ein, wenn sie Informationen vom Zentralcomputer in Wiesbaden abrufen wollten, neueste Daten, um sie jederzeit in Beziehung zu setzen zu dem, was sie gerade erfahren hatten.

      Zu winzigen, beinahe unbedeutenden Fakten, die nur im Zusammenhang einen Sinn ergaben, der dann aber sogar in prozentualer Wahrscheinlichkeit ausgedruckt wurde.

      Angelika steckte ihre Hand in die Umhängetasche, als sie zwischen den Betonsäulen der Tiefgarage ausstieg. Parkende Wagen, durch deren spiegelnde Scheiben man nichts erkennen konnte, jagten ihr immer einen Schauer über den Rücken.

      Richard war da viel unbekümmerter. Er vertraute auf seine schnelle Hand. Anders als sie selbst und Werders glaubte er, dass man Paul Walter ohne Vorbehalte in den engeren Kreis aufnehmen könne.

      Sie hielt Walter für einen Spitzel des BKA. Er war im September auf einer Wahlveranstaltung der Grünen zu ihnen gestoßen, ein junger Mann mit flachem Negergesicht und wulstigen Lippen, obwohl seine Haut so weiß war, als habe er sein halbes Leben in einem verdunkelten Büro zugebracht.

      Er trug fast immer Marengo-Sakkos, für einen Burschen seines Alters ziemlich ungewöhnlich. Falls es ein Spitzel war, würde er erst zuschlagen, wenn er genügend Namen, Standorte und Pläne gesammelt hatte. Deshalb ließen sie ihn lieber in Heidelberg zurück.

      Die Wohnung hier in Frankfurt war eines ihrer sichersten Quartiere. Natürlich gab es keine Beweise. Sie verließ sich lediglich auf ihren Instinkt. Etwas in der Art, wie er sie manchmal anblickte, machte sie stutzig. Es war kein Verbrecherblick. Sie war nicht sonderlich hübsch – erst recht jetzt nicht, mit ihren künstlichen Sommersprossen neben der Nase und dem hochgebundenen, rötlichen Haar. Sie wirkte damit wie eine «junge alte» Matrone.

      Dass sie hier in Frankfurt, im Hurenviertel, zur Welt gekommen war – sozusagen ein Betriebsunfall ihrer Mutter, dem sie nur deshalb ihr Leben verdankte, weil sie sich vor einer Abtreibung gefürchtet hatte –, beschäftigte ihn weitaus mehr.

      «Kinder von Huren sind oft besonders empfindlich für soziale Ungerechtigkeiten», hatte er erklärt. «Manchmal neigen sie sogar zur Gewalttätigkeit. Das beweisen die Kriminalstatistiken.»

      «Sie lesen Kriminalstatistiken?»

      Darauf war er sehr verlegen geworden.

      «Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.» Plötzlich musste ihm bewusst geworden sein, wie ungehörig es war, in dieser Art über ihre Herkunft zu sprechen.

      Richard öffnete die Fahrstuhltür, und sie fuhren hinauf. «Geh du voran und schieß den Gang frei», scherzte er, als sie in der Etage hielten.

      Es gab ein einfaches Zeichen, um sich gegenseitig die Ankunft zu signalisieren, und sie achteten streng darauf, dass es nur im engeren Kreis bekannt war: sie nannten es «steckengebliebene Klingel», ein Dauerton von genau zwanzig Sekunden. Man sah dabei auf die Uhr. Manche Leute neigten dazu, zwei- oder dreimal zu läuten, das war kein verlässliches Signal.

      Werder trug den üblichen grobgestrickten Pullover unter der Jacke, der ihn etwas fülliger aussehen ließ als auf den Fahndungsplakaten.

      Sie sah ihm immer gleich an, wenn etwas nicht stimmte.

      «Da im Sessel», sagte er undeutlich und zeigte mit dem Daumen nach hinten.

      Sie saßen um den runden Glastisch im Wohnzimmer. Angelika hatte Skizzen ausgebreitet. Die Luft im Raum war stickig und der Tote saß noch immer in derselben steifen Haltung da, als sehe er fern. Nur sein Gesicht war um eine Spur fahler geworden: so grau wie sein Kittel …

      «Für Wiesbaden benötigen wir ein neues Standquartier», sagte Richard. Er trug jetzt ein kariertes Flanellhemd und schien der einzige zu sein, der mit Appetit von den Eiern auf Schinken aß, die Angelika für sie gebraten hatte.

      «Sommer erledigen wir noch von hier aus», schlug Werders vor.

      «Dann plädiere ich dafür, Paul Walter in den engeren Kreis aufzunehmen», erklärte Richard, während er weiter aß.

      «Walter ist ein Spitzel», sagte Angelika. «Ich spüre das.»

      «Einbildung. Dein überzogenes Misstrauen.»

      «Lassen wir ihn Sommer erledigen», meinte Werders nachdenklich. «Als Einstand. Das würde er nicht wagen, wenn er für Arm oder das BKA arbeitete.»

      «Wir sollten Charlottes und Lenas Rückkehr aus Frankreich abwarten, ehe wir einen Beschluss fassen», wehrte sie ab.

      Natürlich war das nur eine Ausflucht, und die anderen schienen es zu spüren. Sie hätte auch in Lenas Anwesenheit nicht für Walter gestimmt.

      «Übrigens habe ich gestern Abend hier in einer Bar Lummer getroffen, Sommers rechte Hand», bemerkte Werders.

      «Wir wissen schon, dass sie hier sind», nickte Angelika. «Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Dieses ewige Führungsgerangel ödet mich an. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich die Leitung der einzelnen Aktionen übernehme, solange nicht abgestimmt wird.

       Und ich sage: Paul Walter bleibt draußen.»

      Richard ließ nicht locker: «Nach Birkes Tod benötigen wir frisches Blut ….»

      «Lassen wir ihn Sommer erledigen», wiederholte Werders. «Das qualifiziert ihn für den engeren Kreis.»

      Angelika erhob sich, sie

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