Ein aufgeschobener Kuss. Holly B. Logan
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Nancy hatte eine sieben Jahre alte Tochter. Als Verrückteste von ihren Freundinnen war sie gleichzeitig die großartigste Mutter. Polly war ihr Leben, ihre Liebe, ihr Herz, und obwohl Nancy alleinerziehend und vom Vater des Kindes enttäuscht worden war, vertraute sie Lara einmal an, dass sie fest daran glaubte, eines Tages dem Mann ihrer Träume zu begegnen. Bis dahin wollte sie keine Trübsal blasen, sondern was erleben. "Simon wird nie wissen, wie sehr ich ihn geliebt habe, weil niemand eine verheilte Wunde fragt, ob sie wehgetan hat", hatte sie Lara nach der Trennung von Simon Woodman, Pollys Vater, gesagt. Und trotz ihrer Trauer über die gescheiterte Liebe verlor sie nie den Glauben daran, dass eine neue kommen würde. Den Richtigen, hatte sie ergänzt, trifft man nicht im Supermarkt an der Käsetheke. Allerdings konnte Lara sich auch nicht vorstellen, dass frau ausgerechnet in einem sexangehauchten Tanzschuppen ihrem Traummann begegnen sollte.
"Mein süßes Roller-Girl ist drüben bei Britney", sagte Nancy. "Lara, du weißt, wenn ich von Zeit zu Zeit nicht aus meinem Alltag ausbreche, werde ich immer so gereizt. Ich habe vor, mir heute Abend einen schönen Mann zu gönnen."
"Hilfe noch eins, sich einen Mann gönnen!" Lara quiekte durchs Telefon, "das klingt aber ganz schön sexistisch, meine Liebe! Bist du sexuell so ausgehungert oder wie darf ich das verstehen?" Sie lachte. So kannte sie ihre Freundin, immer ein bisschen übertrieben.
Nancy war eine moderne Frau, die zu ihrer sexuellen Lust stand und sich nicht dahinter versteckte. Nick hatte sie einmal auf einer Party vor allen Leuten als "Schlampe" bezeichnet, er sah es ungern, dass die beiden so engen Kontakt hatten.
"Ich und sexistisch?", flötete Nancy, "im Leben nicht! Süße, du weißt, ich liebe die Männer, und die Männer lieben mich. Also, was ist jetzt? Ich steh’ um Mitternacht vor deiner Tür, okay?"
"Okay, okay, überredet!", sagte Lara, die sich unter diesem Privatclub nicht wirklich etwas vorstellen konnte. Doch wenn ihre Freundin ihn erwähnenswert fand, musste dort einiges los sein. Obwohl Lara eher danach zumute war, sich mit Nick zu versöhnen, verspürte sie bei dem Gedanken an diesen geheimnisvollen Club freudige Erwartung und ein wohliges Kribbeln in der Magengegend. Außerdem war sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr ausgegangen, es war an der Zeit, mal wieder das Tanzbein zu schwingen.
"Also, was ist das für ein neuer Club, in den du mich da locken möchtest?", fragte Lara. "Du sagtest, man könne dort auch tanzen. Ich hoffe, das ist nicht nur ein Alibi und die Bude ist in Wirklichkeit so ein rotlichtiges Dingsbums. Du weißt, ich bin nicht prüde, aber ich bin mit Nick zusammen."
"Herzchen, jetzt krieg dich bitte wieder ein!" Nancy musste lachen, weil Lara sich schon wieder übertrieben viele Gedanken machte. "Ich erkläre es dir: Ja, es ist ein Tanzclub. Und ja, man kann da, außer Tanzen, noch viele andere schöne Dinge tun!"
"Die da wären?"
"Cocktails trinken, sich amüsieren, schöne Menschen sehen ..."
"Also doch einer deiner Fick-Schuppen", nölte Lara etwas gehässig. "Du weißt doch, dass ich mich für solcherlei Locations wenig begeistern kann!"
Aber Nancy ließ sich nicht von ihrer guten Laune abbringen und sagte: "Bis nachher, Honey, lass dich überraschen!"
Dann legte sie mit einem lauten Lachen auf.
Nach wie vor hatte Lara keine Lust, wegzugehen. Andererseits hatte sie sich schon ein paar Mal bei dem Gedanken ertappt, wie bequem sie geworden war. Seit sie mit Nick zusammen war, ging sie abends kaum noch vor die Tür. Stattdessen schauten sie gemeinsam fern. Und es war ja auch nicht so, dass sie das nicht gern tat – sie liebte entspannte TV-Abende zu zweit mit leckerem Wein und schönem Essen – sie und Nick nah aneinander gekuschelt. Schon oft musste sie sich von Nancy deswegen Vorwürfe gefallen lassen, von wegen sie würde zuhause versauern. Aber so lange Lara es nicht ebenso empfand, gab es keinen Grund, irgendetwas an diesem Umstand zu ändern. Sie schaute aus ihrem Fenster, die Stadt roch nach Flieder und Liebe – also weshalb um alles in der Welt sollte sie zuhause glucken und sich grauhaarig ärgern, nur weil ein gewisser Mr. O’Mara der Meinung war, sich nicht bei ihr melden zu müssen? Sie summte Cindy Laupers 'Girls Just Want To Have Fun' vor sich hin und schnippte den Bilderrahmen, der vor ihr auf der Fensterbank stand und Nick bei einem Segeltörn an der Ostküste zeigte, mit einer raschen Handbewegung um.
2. Kapitel
"Da bist du ja endlich! Was hat denn da wieder so lange gedauert? Musstest du deine Klamotten erst noch nähen oder was?" Nancy warf Lara einen genervten Blick zu, als sie ins Auto stieg. "Herzchen, wenn ich sage, Mitternacht, dann meine ich Mitternacht! Und nicht gefühlte zwei Stunden später. Jetzt ist es schon wieder zwanzig Minuten nach! Musst du immer so bummeln? Wir stehen auf der VIP-Liste, da müssen wir pünktlich sein."
Nancy hatte Lara von zuhause abgeholt. Das tat sie allein schon deshalb, weil sie genau wusste, dass sie sich ansonsten wieder rausreden würde. "Nichts da, keine faulen Ausreden", hatte sie gesagt, "du kommst gefälligst mit. Kneifen kannst du ein anderes Mal". Wenigstens war Nancy trotz ihres Gemeckers aufgefallen, dass Lara all ihre Anweisungen befolgt und sich außerordentlich hübsch gemacht hatte. Sie trug ein schwarzes, figurbetontes Kleid und ihre Pumps mit den goldenen Sternchen, die Nick ihr von einer seiner Geschäftsreisen mitgebracht hatte.
Ihr langes Haar hatte sie geflochten, seitlich lugten ein paar Strähnen hervor, die ihre hohen Wangenknochen umschmeichelten. Ihre Augen hatte sie mit Kajal umrandet und auf den Lippen trug sie dezenten Lippenstift. Sie mochte es nicht, wenn sie aussah, als sei sie in einen Tuschkasten gefallen. Lara schminkte sich stets nach dem Entweder-Oder-Prinzip. Wenn sie die Lippen betonte, verzichtete sie auf auffälliges Augen-Make-up und andersrum. Abgesehen von Nancy, die sich je nach Tageslaune auch schon mal nach der Devise schminkte, viel hilft viel.
Obwohl die beiden Freundinnen nicht unterschiedlicher hätten sein können, verstanden sie einander blind und passten, wie Nancy es in ihrer süffisanten Art auszudrücken pflegte, "wie Arsch auf Eimer" zusammen.
"Hey, du siehst ja verschärft aus!", sagte Nancy. "Für das Outfit brauchst du einen Waffenschein!"
Gutgelaunt machten sie sich in Nancys Firmenwagen auf den Weg ins "Lovelight" - dem angeblich heißesten Geheimtipp der Stadt.
"Du meine Güte! Willst du mich veräppeln?", kreischte Lara, als sie auf das Privatgelände rollten. "Ich glaube kaum, dass ich da rein möchte!"
Lara verdrehte die Augen. Schon als sie im Schritttempo durch das große gusseiserne Tor fuhren, traf sie fast der Schlag, als links und rechts an ihrem Wagen halbnackte Menschen vorbeischlenderten. Männer mit freien Oberkörpern und nur in engen Hosen bekleidet, halbnackte Frauen, die nichts bis auf ein Netzkleid trugen – Lara stand der Schock ins Gesicht geschrieben. "Hör mal, Nancy, die Rede war von einem Tanzclub. Und du sagtest, ich solle mich sexy anziehen, aber hier rennen lauter Nackte rum! Ich fühle mich unwohl bei der Sache, ich glaub`, ich will heim!"
"Du spinnst wohl, kommt nicht in Frage!", sagte Nancy im Ton einer Gouvernante, "du kommst gefälligst mit und schaust es dir an! Wenn’s dir nicht gefällt, kannst du dir ja immer noch ein Taxi rufen. Ich zahle das gern, aber ich garantiere dir, das wird nicht von Nöten sein. Vertrau mir!"
Lara machte ein genervtes Gesicht, das sich auch nicht entspannte, als sie sah, während Nancy den SUV in eine der letzten freien Parklücken bugsierte, wie eine Frau ihrer halbnackten Begleitung eine Hundeleine um den Hals legte. Jesus Maria, sagte sie zu sich selbst und verdrehte abermals die Augen, wohin hat diese Irre mich diesmal nur wieder geschleppt?
Vor dem Club